Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite
II. 7. Der athenische name.

Das klingt befremdlich, aber die logik des rechtes ist unerbittlich.
der sclave kann keine ehe eingehen, also entbehrt der im hause geborene
des vaters und der aus der fremde eingeführte barbar erst recht. der
metöke geniesst in Athen des vorrechtes, in einem quasigentilicischen
verbande zu stehen und nach dem attischen familienrechte behandelt zu
werden, er hat also einen vater. aber das gilt eben erst seit Kleisthenes,
der die private clientel durch die des staates ersetzt hat. ich habe das
früher aufgeführt und gezeigt, dass die officielle bezeichnung Daos en
Melite oikon ist. das ist das genaue analogon zu Euthudomos Meliteus,
und in der tat führen die metöken auch später officiell keinen vaters-
namen. bevor der attische staat die metöken in seine clientel nahm,
war für sie der patron was der herr für den sclaven und freigelassenen,
der vater für den bürger war. trat aber vollends der metöke oder auch
der peregrine, der noch ein anderes vaterland gehabt hatte, in die ge-
meinde der Athener, so verlor er damit notwendigerweise seine frühere
familienverbindung, er konnte also ihre bezeichnung entweder nicht mehr
führen, oder aber er musste dem vater die bezeichnung seiner heimat
geben, also sein neubürgertum eingestehn. die römische analogie macht
das sofort deutlich. der freigelassene führt den namen des patrons, der
neubürger kann gar keinen vatersnamen führen, oder aber er gesteht seinen
stand ein, indem er den unrömischen vatersnamen einsetzt, was in der
griechischen welt nicht selten geschieht. Leukios Solpikios Lusi-
makhou uios auf Delos, L. Tarquinius Demarati f. in der legende, das ist
eine bezeichnung, die wirklich exelegkhei tous neopolitas.

Wie radical Kleisthenes gegen den adel eingeschritten ist, wird durch
diese massregel ganz besonders sinnfällig. aber die hellenische sinnesart

schämt sich also seiner nicht; Anakreons vater hiess auch Skythinos. in den spätern
zeiten dringen natürlich fremdnamen ein, obwol die meisten ausländer sich sehr
rasch der attischen onomatologie anschliessen. da liest man z. b. Serambos II 1978,
Emaphus, was ich nicht accentuiren kann, II 1844. im jahre 333 heisst der sophronist
der Kekropis Adeistos (Bull. Corr. Hell. 13, 255), ein name, den ich vergeblich zu
verstehen versuchte; ein anderer träger des namens ist bürger in der ersten hälfte
des vierten jahrhunderts II 945, 21. aber II 3440 ist ein Adeistos fremder oder
sclave, und 2781 steht Adistos Amphipolites, den für einen Adistos zu halten die
mundart von Amphipolis verhütet. der name wird also makedonisch sein, und zu
ihm der makedonische kurzname Adaios mit dem femininum Adaia gehören; so
hat die königin Eurydike wol eher geheissen als Adea, wie bei Photius bibl. 70b 6
steht. -- beiläufig, kurz vor dem Adeistos verbessert Köhler 3436 Ato Arkhidamou
in Ago: das ist nicht nötig, Ato ist kurzname zu dem paphlagonischen Atotos,
das ich auch nicht accentuiren kann.
II. 7. Der athenische name.

Das klingt befremdlich, aber die logik des rechtes ist unerbittlich.
der sclave kann keine ehe eingehen, also entbehrt der im hause geborene
des vaters und der aus der fremde eingeführte barbar erst recht. der
metöke genieſst in Athen des vorrechtes, in einem quasigentilicischen
verbande zu stehen und nach dem attischen familienrechte behandelt zu
werden, er hat also einen vater. aber das gilt eben erst seit Kleisthenes,
der die private clientel durch die des staates ersetzt hat. ich habe das
früher aufgeführt und gezeigt, daſs die officielle bezeichnung Δᾷος ἐν
Μελίτῃ οἰκῶν ist. das ist das genaue analogon zu Εὐϑύδομος Μελιτεύς,
und in der tat führen die metöken auch später officiell keinen vaters-
namen. bevor der attische staat die metöken in seine clientel nahm,
war für sie der patron was der herr für den sclaven und freigelassenen,
der vater für den bürger war. trat aber vollends der metöke oder auch
der peregrine, der noch ein anderes vaterland gehabt hatte, in die ge-
meinde der Athener, so verlor er damit notwendigerweise seine frühere
familienverbindung, er konnte also ihre bezeichnung entweder nicht mehr
führen, oder aber er muſste dem vater die bezeichnung seiner heimat
geben, also sein neubürgertum eingestehn. die römische analogie macht
das sofort deutlich. der freigelassene führt den namen des patrons, der
neubürger kann gar keinen vatersnamen führen, oder aber er gesteht seinen
stand ein, indem er den unrömischen vatersnamen einsetzt, was in der
griechischen welt nicht selten geschieht. Λεύκιος Σολπίκιος Λυσι-
μάχου υἱός auf Delos, L. Tarquinius Demarati f. in der legende, das ist
eine bezeichnung, die wirklich ἐξελέγχει τοὺς νεοπολίτας.

Wie radical Kleisthenes gegen den adel eingeschritten ist, wird durch
diese maſsregel ganz besonders sinnfällig. aber die hellenische sinnesart

schämt sich also seiner nicht; Anakreons vater hieſs auch Skythinos. in den spätern
zeiten dringen natürlich fremdnamen ein, obwol die meisten ausländer sich sehr
rasch der attischen onomatologie anschlieſsen. da liest man z. b. Σήϱαμβος II 1978,
Ἐμαφυς, was ich nicht accentuiren kann, II 1844. im jahre 333 heiſst der sophronist
der Kekropis Ἄδειστος (Bull. Corr. Hell. 13, 255), ein name, den ich vergeblich zu
verstehen versuchte; ein anderer träger des namens ist bürger in der ersten hälfte
des vierten jahrhunderts II 945, 21. aber II 3440 ist ein Ἄδειστος fremder oder
sclave, und 2781 steht Ἄδιστος Ἀμφιπολίτης, den für einen Ἅδιστος zu halten die
mundart von Amphipolis verhütet. der name wird also makedonisch sein, und zu
ihm der makedonische kurzname Ἀδαῖος mit dem femininum Ἀδαία gehören; so
hat die königin Eurydike wol eher geheiſsen als Ἀδέα, wie bei Photius bibl. 70b 6
steht. — beiläufig, kurz vor dem Adeistos verbessert Köhler 3436 Ἀτὼ Ἀϱχιδάμου
in Ἀγώ: das ist nicht nötig, Ἀτώ ist kurzname zu dem paphlagonischen Ἀτωτος,
das ich auch nicht accentuiren kann.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0180" n="170"/>
          <fw place="top" type="header">II. 7. Der athenische name.</fw><lb/>
          <p>Das klingt befremdlich, aber die logik des rechtes ist unerbittlich.<lb/>
der sclave kann keine ehe eingehen, also entbehrt der im hause geborene<lb/>
des vaters und der aus der fremde eingeführte barbar erst recht. der<lb/>
metöke genie&#x017F;st in Athen des vorrechtes, in einem quasigentilicischen<lb/>
verbande zu stehen und nach dem attischen familienrechte behandelt zu<lb/>
werden, er hat also einen vater. aber das gilt eben erst seit Kleisthenes,<lb/>
der die private clientel durch die des staates ersetzt hat. ich habe das<lb/>
früher aufgeführt und gezeigt, da&#x017F;s die officielle bezeichnung &#x0394;&#x1FB7;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F10;&#x03BD;<lb/>
&#x039C;&#x03B5;&#x03BB;&#x03AF;&#x03C4;&#x1FC3; &#x03BF;&#x1F30;&#x03BA;&#x1FF6;&#x03BD; ist. das ist das genaue analogon zu &#x0395;&#x1F50;&#x03D1;&#x03CD;&#x03B4;&#x03BF;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C2; &#x039C;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B9;&#x03C4;&#x03B5;&#x03CD;&#x03C2;,<lb/>
und in der tat führen die metöken auch später officiell keinen vaters-<lb/>
namen. bevor der attische staat die metöken in seine clientel nahm,<lb/>
war für sie der patron was der herr für den sclaven und freigelassenen,<lb/>
der vater für den bürger war. trat aber vollends der metöke oder auch<lb/>
der peregrine, der noch ein anderes vaterland gehabt hatte, in die ge-<lb/>
meinde der Athener, so verlor er damit notwendigerweise seine frühere<lb/>
familienverbindung, er konnte also ihre bezeichnung entweder nicht mehr<lb/>
führen, oder aber er mu&#x017F;ste dem vater die bezeichnung seiner heimat<lb/>
geben, also sein neubürgertum eingestehn. die römische analogie macht<lb/>
das sofort deutlich. der freigelassene führt den namen des patrons, der<lb/>
neubürger kann gar keinen vatersnamen führen, oder aber er gesteht seinen<lb/>
stand ein, indem er den unrömischen vatersnamen einsetzt, was in der<lb/>
griechischen welt nicht selten geschieht. &#x039B;&#x03B5;&#x03CD;&#x03BA;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2; &#x03A3;&#x03BF;&#x03BB;&#x03C0;&#x03AF;&#x03BA;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2; &#x039B;&#x03C5;&#x03C3;&#x03B9;-<lb/>
&#x03BC;&#x03AC;&#x03C7;&#x03BF;&#x03C5; &#x03C5;&#x1F31;&#x03CC;&#x03C2; auf Delos, <hi rendition="#i">L. Tarquinius Demarati f.</hi> in der legende, das ist<lb/>
eine bezeichnung, die wirklich &#x1F10;&#x03BE;&#x03B5;&#x03BB;&#x03AD;&#x03B3;&#x03C7;&#x03B5;&#x03B9; &#x03C4;&#x03BF;&#x1F7A;&#x03C2; &#x03BD;&#x03B5;&#x03BF;&#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03AF;&#x03C4;&#x03B1;&#x03C2;.</p><lb/>
          <p>Wie radical Kleisthenes gegen den adel eingeschritten ist, wird durch<lb/>
diese ma&#x017F;sregel ganz besonders sinnfällig. aber die hellenische sinnesart<lb/><note xml:id="note-0180" prev="#note-0179" place="foot" n="2)">schämt sich also seiner nicht; Anakreons vater hie&#x017F;s auch Skythinos. in den spätern<lb/>
zeiten dringen natürlich fremdnamen ein, obwol die meisten ausländer sich sehr<lb/>
rasch der attischen onomatologie anschlie&#x017F;sen. da liest man z. b. &#x03A3;&#x03AE;&#x03F1;&#x03B1;&#x03BC;&#x03B2;&#x03BF;&#x03C2; II 1978,<lb/>
&#x1F18;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C6;&#x03C5;&#x03C2;, was ich nicht accentuiren kann, II 1844. im jahre 333 hei&#x017F;st der sophronist<lb/>
der Kekropis &#x1F0C;&#x03B4;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C3;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; (Bull. Corr. Hell. 13, 255), ein name, den ich vergeblich zu<lb/>
verstehen versuchte; ein anderer träger des namens ist bürger in der ersten hälfte<lb/>
des vierten jahrhunderts II 945, 21. aber II 3440 ist ein &#x1F0C;&#x03B4;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C3;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; fremder oder<lb/>
sclave, und 2781 steht &#x1F0C;&#x03B4;&#x03B9;&#x03C3;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F08;&#x03BC;&#x03C6;&#x03B9;&#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03AF;&#x03C4;&#x03B7;&#x03C2;, den für einen &#x1F0D;&#x03B4;&#x03B9;&#x03C3;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; zu halten die<lb/>
mundart von Amphipolis verhütet. der name wird also makedonisch sein, und zu<lb/>
ihm der makedonische kurzname &#x1F08;&#x03B4;&#x03B1;&#x1FD6;&#x03BF;&#x03C2; mit dem femininum &#x1F08;&#x03B4;&#x03B1;&#x03AF;&#x03B1; gehören; so<lb/>
hat die königin Eurydike wol eher gehei&#x017F;sen als &#x1F08;&#x03B4;&#x03AD;&#x03B1;, wie bei Photius bibl. 70<hi rendition="#sup">b</hi> 6<lb/>
steht. &#x2014; beiläufig, kurz vor dem Adeistos verbessert Köhler 3436 &#x1F08;&#x03C4;&#x1F7C; &#x1F08;&#x03F1;&#x03C7;&#x03B9;&#x03B4;&#x03AC;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C5;<lb/>
in &#x1F08;&#x03B3;&#x03CE;: das ist nicht nötig, &#x1F08;&#x03C4;&#x03CE; ist kurzname zu dem paphlagonischen &#x1F08;&#x03C4;&#x03C9;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2;,<lb/>
das ich auch nicht accentuiren kann.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0180] II. 7. Der athenische name. Das klingt befremdlich, aber die logik des rechtes ist unerbittlich. der sclave kann keine ehe eingehen, also entbehrt der im hause geborene des vaters und der aus der fremde eingeführte barbar erst recht. der metöke genieſst in Athen des vorrechtes, in einem quasigentilicischen verbande zu stehen und nach dem attischen familienrechte behandelt zu werden, er hat also einen vater. aber das gilt eben erst seit Kleisthenes, der die private clientel durch die des staates ersetzt hat. ich habe das früher aufgeführt und gezeigt, daſs die officielle bezeichnung Δᾷος ἐν Μελίτῃ οἰκῶν ist. das ist das genaue analogon zu Εὐϑύδομος Μελιτεύς, und in der tat führen die metöken auch später officiell keinen vaters- namen. bevor der attische staat die metöken in seine clientel nahm, war für sie der patron was der herr für den sclaven und freigelassenen, der vater für den bürger war. trat aber vollends der metöke oder auch der peregrine, der noch ein anderes vaterland gehabt hatte, in die ge- meinde der Athener, so verlor er damit notwendigerweise seine frühere familienverbindung, er konnte also ihre bezeichnung entweder nicht mehr führen, oder aber er muſste dem vater die bezeichnung seiner heimat geben, also sein neubürgertum eingestehn. die römische analogie macht das sofort deutlich. der freigelassene führt den namen des patrons, der neubürger kann gar keinen vatersnamen führen, oder aber er gesteht seinen stand ein, indem er den unrömischen vatersnamen einsetzt, was in der griechischen welt nicht selten geschieht. Λεύκιος Σολπίκιος Λυσι- μάχου υἱός auf Delos, L. Tarquinius Demarati f. in der legende, das ist eine bezeichnung, die wirklich ἐξελέγχει τοὺς νεοπολίτας. Wie radical Kleisthenes gegen den adel eingeschritten ist, wird durch diese maſsregel ganz besonders sinnfällig. aber die hellenische sinnesart 2) 2) schämt sich also seiner nicht; Anakreons vater hieſs auch Skythinos. in den spätern zeiten dringen natürlich fremdnamen ein, obwol die meisten ausländer sich sehr rasch der attischen onomatologie anschlieſsen. da liest man z. b. Σήϱαμβος II 1978, Ἐμαφυς, was ich nicht accentuiren kann, II 1844. im jahre 333 heiſst der sophronist der Kekropis Ἄδειστος (Bull. Corr. Hell. 13, 255), ein name, den ich vergeblich zu verstehen versuchte; ein anderer träger des namens ist bürger in der ersten hälfte des vierten jahrhunderts II 945, 21. aber II 3440 ist ein Ἄδειστος fremder oder sclave, und 2781 steht Ἄδιστος Ἀμφιπολίτης, den für einen Ἅδιστος zu halten die mundart von Amphipolis verhütet. der name wird also makedonisch sein, und zu ihm der makedonische kurzname Ἀδαῖος mit dem femininum Ἀδαία gehören; so hat die königin Eurydike wol eher geheiſsen als Ἀδέα, wie bei Photius bibl. 70b 6 steht. — beiläufig, kurz vor dem Adeistos verbessert Köhler 3436 Ἀτὼ Ἀϱχιδάμου in Ἀγώ: das ist nicht nötig, Ἀτώ ist kurzname zu dem paphlagonischen Ἀτωτος, das ich auch nicht accentuiren kann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/180
Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/180>, abgerufen am 29.03.2024.