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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 3. Chronologie der Pentekontaetie.
aber müssen auf diese rechnung, aus der sie stammen, reducirt werden,
um so mehr als der attische jahreswechsel in die ereignisse selbst auf
das stärkste eingreift. die olympiadenjahre haben gar keine andere be-
deutung, als dass spätere rechnungsmässig ein attisches amtsjahr mit dem
viertel einer olympiade geglichen haben. es ist eine gänzlich unwissen-
schaftliche spielerei, wenn man sich eine berechtigung zu eigener willkür
dadurch zu schaffen versucht, dass man den späteren schriftstellern künst-
liche umrechnungen aus einer in die andere aera zuschreibt. es ist
einfach schwindel, wenn jemand von der attischen zeitrechnung dieser
periode mehr wissen will, als dass es eine unvollkommene oktaeteris mit
schaltungen war, von denen er weder das system kennt, noch die über-
haupt ein system fest befolgten. praktisch sind wir gezwungen, aus-
schliesslich mit attischen jahren zu rechnen und ein solches jahr mit
dem ersten neumond nach der sommersonnenwende zu beginnen, für
unsere an das julianische gewöhnte vorstellung also etwa von juli bis
juli zu rechnen, mit anderen worten es so zu machen wie Aristo-
teles (oben I 5).

2) Absolut bindend ist für uns die relative chronologie des Thuky-
dides, aber nur so weit, wie er die ereignisse ausdrücklich in relation
setzt. wo er das nicht tut, hat er keine genauere bestimmung geben
wollen als in der anordnung seiner erzählung liegt. ein jahr ist für
ihn ein kriegsjahr, d. h. im allgemeinen eins wie er sie später rechnet,
von frühling zu frühling, was praktisch ziemlich dasselbe ist wie ein
julianisches, da die letzten wintermonate für die kriegerischen ereignisse
selten in betracht kommen. aber er selbst hat die überlieferung in einer
rechnung nach attischem kalender überkommen.

3) Die vorlage des Diodoros war nicht annalistisch in ihrer er-
zählung. ob sie trotzdem attische archonten gab, oder er nur für ein-
zelne ereignisse solche datirungen sonst vor sich hatte und danach selbst
den stoff verteilte, macht für die sache kaum etwas aus. er selbst ist
ein mensch, der durch seinen eigenen unverstand verschuldet hat, dass
seine angaben an sich sehr geringes gewicht haben, also immer nur
subsidiär zugezogen werden können. aber es ergibt sich, dass namentlich
in dem späteren teile dieser periode seine daten gut sind.

4) Plutarch ist ein stilistisch hervorragender, historisch urteilsloser,
chronologisch unbekümmerter mann. also erfordern seine angaben eine
sehr umsichtige exegese, deren aufgabe es ist, seine eigene verarbeitung
zu beseitigen, um dann die ihm vorliegenden berichte zu verwerten.
diese waren ganz ausgezeichnet.


III. 3. Chronologie der Pentekontaetie.
aber müssen auf diese rechnung, aus der sie stammen, reducirt werden,
um so mehr als der attische jahreswechsel in die ereignisse selbst auf
das stärkste eingreift. die olympiadenjahre haben gar keine andere be-
deutung, als daſs spätere rechnungsmäſsig ein attisches amtsjahr mit dem
viertel einer olympiade geglichen haben. es ist eine gänzlich unwissen-
schaftliche spielerei, wenn man sich eine berechtigung zu eigener willkür
dadurch zu schaffen versucht, daſs man den späteren schriftstellern künst-
liche umrechnungen aus einer in die andere aera zuschreibt. es ist
einfach schwindel, wenn jemand von der attischen zeitrechnung dieser
periode mehr wissen will, als daſs es eine unvollkommene oktaeteris mit
schaltungen war, von denen er weder das system kennt, noch die über-
haupt ein system fest befolgten. praktisch sind wir gezwungen, aus-
schlieſslich mit attischen jahren zu rechnen und ein solches jahr mit
dem ersten neumond nach der sommersonnenwende zu beginnen, für
unsere an das julianische gewöhnte vorstellung also etwa von juli bis
juli zu rechnen, mit anderen worten es so zu machen wie Aristo-
teles (oben I 5).

2) Absolut bindend ist für uns die relative chronologie des Thuky-
dides, aber nur so weit, wie er die ereignisse ausdrücklich in relation
setzt. wo er das nicht tut, hat er keine genauere bestimmung geben
wollen als in der anordnung seiner erzählung liegt. ein jahr ist für
ihn ein kriegsjahr, d. h. im allgemeinen eins wie er sie später rechnet,
von frühling zu frühling, was praktisch ziemlich dasselbe ist wie ein
julianisches, da die letzten wintermonate für die kriegerischen ereignisse
selten in betracht kommen. aber er selbst hat die überlieferung in einer
rechnung nach attischem kalender überkommen.

3) Die vorlage des Diodoros war nicht annalistisch in ihrer er-
zählung. ob sie trotzdem attische archonten gab, oder er nur für ein-
zelne ereignisse solche datirungen sonst vor sich hatte und danach selbst
den stoff verteilte, macht für die sache kaum etwas aus. er selbst ist
ein mensch, der durch seinen eigenen unverstand verschuldet hat, daſs
seine angaben an sich sehr geringes gewicht haben, also immer nur
subsidiär zugezogen werden können. aber es ergibt sich, daſs namentlich
in dem späteren teile dieser periode seine daten gut sind.

4) Plutarch ist ein stilistisch hervorragender, historisch urteilsloser,
chronologisch unbekümmerter mann. also erfordern seine angaben eine
sehr umsichtige exegese, deren aufgabe es ist, seine eigene verarbeitung
zu beseitigen, um dann die ihm vorliegenden berichte zu verwerten.
diese waren ganz ausgezeichnet.


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[290/0300] III. 3. Chronologie der Pentekontaetie. aber müssen auf diese rechnung, aus der sie stammen, reducirt werden, um so mehr als der attische jahreswechsel in die ereignisse selbst auf das stärkste eingreift. die olympiadenjahre haben gar keine andere be- deutung, als daſs spätere rechnungsmäſsig ein attisches amtsjahr mit dem viertel einer olympiade geglichen haben. es ist eine gänzlich unwissen- schaftliche spielerei, wenn man sich eine berechtigung zu eigener willkür dadurch zu schaffen versucht, daſs man den späteren schriftstellern künst- liche umrechnungen aus einer in die andere aera zuschreibt. es ist einfach schwindel, wenn jemand von der attischen zeitrechnung dieser periode mehr wissen will, als daſs es eine unvollkommene oktaeteris mit schaltungen war, von denen er weder das system kennt, noch die über- haupt ein system fest befolgten. praktisch sind wir gezwungen, aus- schlieſslich mit attischen jahren zu rechnen und ein solches jahr mit dem ersten neumond nach der sommersonnenwende zu beginnen, für unsere an das julianische gewöhnte vorstellung also etwa von juli bis juli zu rechnen, mit anderen worten es so zu machen wie Aristo- teles (oben I 5). 2) Absolut bindend ist für uns die relative chronologie des Thuky- dides, aber nur so weit, wie er die ereignisse ausdrücklich in relation setzt. wo er das nicht tut, hat er keine genauere bestimmung geben wollen als in der anordnung seiner erzählung liegt. ein jahr ist für ihn ein kriegsjahr, d. h. im allgemeinen eins wie er sie später rechnet, von frühling zu frühling, was praktisch ziemlich dasselbe ist wie ein julianisches, da die letzten wintermonate für die kriegerischen ereignisse selten in betracht kommen. aber er selbst hat die überlieferung in einer rechnung nach attischem kalender überkommen. 3) Die vorlage des Diodoros war nicht annalistisch in ihrer er- zählung. ob sie trotzdem attische archonten gab, oder er nur für ein- zelne ereignisse solche datirungen sonst vor sich hatte und danach selbst den stoff verteilte, macht für die sache kaum etwas aus. er selbst ist ein mensch, der durch seinen eigenen unverstand verschuldet hat, daſs seine angaben an sich sehr geringes gewicht haben, also immer nur subsidiär zugezogen werden können. aber es ergibt sich, daſs namentlich in dem späteren teile dieser periode seine daten gut sind. 4) Plutarch ist ein stilistisch hervorragender, historisch urteilsloser, chronologisch unbekümmerter mann. also erfordern seine angaben eine sehr umsichtige exegese, deren aufgabe es ist, seine eigene verarbeitung zu beseitigen, um dann die ihm vorliegenden berichte zu verwerten. diese waren ganz ausgezeichnet.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/300>, abgerufen am 28.03.2024.