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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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III. 11. Lysias wider die getreidehändler.
freundliche gebiet hinübergespielt, und sogleich werden die herren richter
an die teuerung erinnert, bei der der preis oft an einem tage um mehr
als eine drachme wechselte: als ob das nicht gerade Anytos hätte ver-
meiden wollen.7) und nun geht es in dem breiten bette der gemeinen
aufwiegelung des volkes wider die "kornwucherer", von denen jeder von
selbst schon weiss, dass sie den strang verdienen, bis zu dem gemeinen
schlusse "schlagt sie tot, dann wird das brot billiger". das ist hässlich:
aber ganz ekelhaft wird es, wenn hinter dieser sorte volksfreundlichkeit
die rücksicht auf die grosskaufleute hervortritt. "was werden die sagen,
wenn ihr diese hier freilasst, die gegen sie sich zusammengetan haben.
ihnen tut ihr mit der verurteilung einen gefallen."

Ob die armen teufel haben bluten müssen, wissen wir nicht. aber
den Athenern ist es ergangen, wie es ein volk verdient, das solche politik
macht und solche redner unter sich aufkommen lässt, wie diesen Lysias.
das heisst, gut ist die rede; sein honorar hat der advocat verdient. mehr
wollte er nicht: höher dürfen wir ihn aber auch nicht taxiren.



7) Es kann keine rede davon sein, dass der redner für die preisschwankungen
wirklich zeugen vorgeführt hätte: dann würde er auf der zeit, wo sie vorkamen,
haben insistiren müssen, denn davon hieng alles ab. überliefert ist aber auch nichts
als kai touton umas marturas parekhomai, was Markland nicht wissen konnte und
trotz Bekker bezweifelt und verworfen ist. Fuhr vermisst umas autous, weil es so
12, 74 steht. schwerlich ist das genügend, und dann wäre der zusatz immer noch
besser als die klärlich auf einem irrtum beruhenden conjecturen. -- eine sichere athe-
tese hat mir Kaibel mitgeteilt, 5 pleio siton sumpriasthai [pentekonta phormon]
on o nomos apagoreuei, aus 6 eingesetzt. -- 18 ist mit Frohberger zu schreiben
pollon ede ekhonton tauten ten aitian all amphisbetounton kai marturas
parekhomenon, obwol all amphisbetouton für lambanein überkühn scheint: der sinn
ist unzweifelhaft und von vielen anerkannt, die worte liefert das gesetz über die
endeka (Ar. 52, 1), das der redner in dieser ganzen partie im sinne hat.

III. 11. Lysias wider die getreidehändler.
freundliche gebiet hinübergespielt, und sogleich werden die herren richter
an die teuerung erinnert, bei der der preis oft an einem tage um mehr
als eine drachme wechselte: als ob das nicht gerade Anytos hätte ver-
meiden wollen.7) und nun geht es in dem breiten bette der gemeinen
aufwiegelung des volkes wider die “kornwucherer”, von denen jeder von
selbst schon weiſs, daſs sie den strang verdienen, bis zu dem gemeinen
schlusse “schlagt sie tot, dann wird das brot billiger”. das ist häſslich:
aber ganz ekelhaft wird es, wenn hinter dieser sorte volksfreundlichkeit
die rücksicht auf die groſskaufleute hervortritt. “was werden die sagen,
wenn ihr diese hier freilaſst, die gegen sie sich zusammengetan haben.
ihnen tut ihr mit der verurteilung einen gefallen.”

Ob die armen teufel haben bluten müssen, wissen wir nicht. aber
den Athenern ist es ergangen, wie es ein volk verdient, das solche politik
macht und solche redner unter sich aufkommen läſst, wie diesen Lysias.
das heiſst, gut ist die rede; sein honorar hat der advocat verdient. mehr
wollte er nicht: höher dürfen wir ihn aber auch nicht taxiren.



7) Es kann keine rede davon sein, daſs der redner für die preisschwankungen
wirklich zeugen vorgeführt hätte: dann würde er auf der zeit, wo sie vorkamen,
haben insistiren müssen, denn davon hieng alles ab. überliefert ist aber auch nichts
als καὶ τούτων ὑμᾶς μάϱτυϱας παϱέχομαι, was Markland nicht wissen konnte und
trotz Bekker bezweifelt und verworfen ist. Fuhr vermisst ὑμᾶς αὐτούς, weil es so
12, 74 steht. schwerlich ist das genügend, und dann wäre der zusatz immer noch
besser als die klärlich auf einem irrtum beruhenden conjecturen. — eine sichere athe-
tese hat mir Kaibel mitgeteilt, 5 πλείω σῖτον συμπϱιάσϑαι [πεντήκοντα φοϱμῶν]
ὧν ὁ νόμος ἀπαγοϱεύει, aus 6 eingesetzt. — 18 ist mit Frohberger zu schreiben
πολλῶν ἤδη ἐχόντων ταύτην τὴν αἰτίαν ἀλλ̕ ἀμφισβητούντων καὶ μάϱτυϱας
παϱεχομένων, obwol ἀλλ̕ ἀμφισβητούτων für λαμβάνειν überkühn scheint: der sinn
ist unzweifelhaft und von vielen anerkannt, die worte liefert das gesetz über die
ἕνδεκα (Ar. 52, 1), das der redner in dieser ganzen partie im sinne hat.
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[379/0389] III. 11. Lysias wider die getreidehändler. freundliche gebiet hinübergespielt, und sogleich werden die herren richter an die teuerung erinnert, bei der der preis oft an einem tage um mehr als eine drachme wechselte: als ob das nicht gerade Anytos hätte ver- meiden wollen. 7) und nun geht es in dem breiten bette der gemeinen aufwiegelung des volkes wider die “kornwucherer”, von denen jeder von selbst schon weiſs, daſs sie den strang verdienen, bis zu dem gemeinen schlusse “schlagt sie tot, dann wird das brot billiger”. das ist häſslich: aber ganz ekelhaft wird es, wenn hinter dieser sorte volksfreundlichkeit die rücksicht auf die groſskaufleute hervortritt. “was werden die sagen, wenn ihr diese hier freilaſst, die gegen sie sich zusammengetan haben. ihnen tut ihr mit der verurteilung einen gefallen.” Ob die armen teufel haben bluten müssen, wissen wir nicht. aber den Athenern ist es ergangen, wie es ein volk verdient, das solche politik macht und solche redner unter sich aufkommen läſst, wie diesen Lysias. das heiſst, gut ist die rede; sein honorar hat der advocat verdient. mehr wollte er nicht: höher dürfen wir ihn aber auch nicht taxiren. 7) Es kann keine rede davon sein, daſs der redner für die preisschwankungen wirklich zeugen vorgeführt hätte: dann würde er auf der zeit, wo sie vorkamen, haben insistiren müssen, denn davon hieng alles ab. überliefert ist aber auch nichts als καὶ τούτων ὑμᾶς μάϱτυϱας παϱέχομαι, was Markland nicht wissen konnte und trotz Bekker bezweifelt und verworfen ist. Fuhr vermisst ὑμᾶς αὐτούς, weil es so 12, 74 steht. schwerlich ist das genügend, und dann wäre der zusatz immer noch besser als die klärlich auf einem irrtum beruhenden conjecturen. — eine sichere athe- tese hat mir Kaibel mitgeteilt, 5 πλείω σῖτον συμπϱιάσϑαι [πεντήκοντα φοϱμῶν] ὧν ὁ νόμος ἀπαγοϱεύει, aus 6 eingesetzt. — 18 ist mit Frohberger zu schreiben πολλῶν ἤδη ἐχόντων ταύτην τὴν αἰτίαν ἀλλ̕ ἀμφισβητούντων καὶ μάϱτυϱας παϱεχομένων, obwol ἀλλ̕ ἀμφισβητούτων für λαμβάνειν überkühn scheint: der sinn ist unzweifelhaft und von vielen anerkannt, die worte liefert das gesetz über die ἕνδεκα (Ar. 52, 1), das der redner in dieser ganzen partie im sinne hat.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/389>, abgerufen am 19.04.2024.