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Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ihn zu warten -- und vorläufig hier etwas zu essen, denn vom Reisen wird man nicht satt.

Nein, das wird man wohl nicht! -- Aber was ist das, Liesbeth? Dein Herr Julius ist ja ein ganz treuloser Mensch? Vorgestern will er dich noch heirathen, und heute läuft er hier in Hamburg hinter dem ersten hübschen Mädchen her, das über die Straße geht? Und wenn dieses hübsche Mädchen nicht zufällig Liesbeth Ohlerich gewesen wäre --

Ohlerich! fiel sie ihm ins Wort, roth bis an die Schläfen. Ich -- ich hab's nicht besser verdient! setzte sie dann nach einer Pause hinzu. Ich hab's dir schlimm genug getrieben, Ohlerich! Du mußt dich recht schämen, daß du so eine Frau hast.

Nun, es trägt Jeder seinen Packen! antwortete er mit ernsthaftem Humor. Mir thut's nur leid, daß ich dir von dem Herrn Julius überhaupt gar nichts Angenehmes berichten kann! Heute Nacht hat er mir gesagt, er wäre in mich verliebt; aber von Madame Ohlerich wollte er nichts mehr wissen.

Hat er das wirklich gesagt? -- Liesbeth fing auf einmal an, glückselig zu lächeln, und hob ihre leuchtenden Augen zu Ohlerich auf. Das ist -- -- Es wundert mich gar nicht, daß er in dich verliebt ist!

So? -- Es kommt sonst nicht alle Tage vor, daß so ein junger Mensch den Mann lieb hat statt der Frau. Es ist ja auch wohl nicht immer so gewesen -- Er sah sie mit humoristischem Mißtrauen von der Seite an.

Ohlerich! fiel sie ihm wieder in die Rede. Sie ging auf ihn zu, ganz aufgelös't, und wollte sich ihm an den Hals werfen, aber ein verlegenes Schamgefühl hielt sie noch zurück. Was für ein Mensch du bist! Kein Andrer auf der Welt hätte das so gemacht wie du! -- Ohlerich, so gut hast du mir im Leben noch nicht gefallen; -- wenn ich nur das Eine wüßte, ob du mich noch lieb haben kannst!

Sie war so nahe an ihn herangetreten, er brauchte nur

ihn zu warten — und vorläufig hier etwas zu essen, denn vom Reisen wird man nicht satt.

Nein, das wird man wohl nicht! — Aber was ist das, Liesbeth? Dein Herr Julius ist ja ein ganz treuloser Mensch? Vorgestern will er dich noch heirathen, und heute läuft er hier in Hamburg hinter dem ersten hübschen Mädchen her, das über die Straße geht? Und wenn dieses hübsche Mädchen nicht zufällig Liesbeth Ohlerich gewesen wäre —

Ohlerich! fiel sie ihm ins Wort, roth bis an die Schläfen. Ich — ich hab's nicht besser verdient! setzte sie dann nach einer Pause hinzu. Ich hab's dir schlimm genug getrieben, Ohlerich! Du mußt dich recht schämen, daß du so eine Frau hast.

Nun, es trägt Jeder seinen Packen! antwortete er mit ernsthaftem Humor. Mir thut's nur leid, daß ich dir von dem Herrn Julius überhaupt gar nichts Angenehmes berichten kann! Heute Nacht hat er mir gesagt, er wäre in mich verliebt; aber von Madame Ohlerich wollte er nichts mehr wissen.

Hat er das wirklich gesagt? — Liesbeth fing auf einmal an, glückselig zu lächeln, und hob ihre leuchtenden Augen zu Ohlerich auf. Das ist — — Es wundert mich gar nicht, daß er in dich verliebt ist!

So? — Es kommt sonst nicht alle Tage vor, daß so ein junger Mensch den Mann lieb hat statt der Frau. Es ist ja auch wohl nicht immer so gewesen — Er sah sie mit humoristischem Mißtrauen von der Seite an.

Ohlerich! fiel sie ihm wieder in die Rede. Sie ging auf ihn zu, ganz aufgelös't, und wollte sich ihm an den Hals werfen, aber ein verlegenes Schamgefühl hielt sie noch zurück. Was für ein Mensch du bist! Kein Andrer auf der Welt hätte das so gemacht wie du! — Ohlerich, so gut hast du mir im Leben noch nicht gefallen; — wenn ich nur das Eine wüßte, ob du mich noch lieb haben kannst!

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:21:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:21:33Z)

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Zitationshilfe: Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/64>, abgerufen am 24.04.2024.