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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sehen sollte? dessen Dasein der Vater so ängstlich zu verheimlichen befahl? Leonie's kindische Neugierde klammerte sich an dem Gedanken fest und ließ ihn nicht mehr los. Daß Thomas den Waldhof erhielt, daß er so viele unerklärliche Vorbereitungen traf, geschah nicht ohne Grund, das sah auch sie wohl ein; Alle frugen, sie allein war still, aber ihr lärmendes Gefolge trieb sich plötzlich öfter ohne sie herum, und sie hatte ungemein viel um die neue Behausung des Thomas zu thun. Da saß sie denn eines Nachmittags im Grünen, von der dichten Hecke versteckt; im Garten arbeitete Thomas, und seine Mutter half ihm dabei.

Und sie kommt also wirklich morgen schon? frug plötzlich die zitternde Stimme der alten Frau. Leonie's Ohren öffneten sich weit in horchender Erwartung.

Ja, versetzte Thomas kurz, in seiner Arbeit fortfahrend.

Es ist doch hart, fuhr die Mutter fort; was mag sie nur gethan haben?

Was geht's Euch an? fuhr der Thomas auf, wir werden gezahlt sie zu bewachen, wir bewachen sie -- damit ist's aus für uns! --

Aber man mochte doch wissen, was dahinter steckt. Wenn sich die Polizei nur nicht rein mischt! Wenn ich in meinen alten Tagen noch in eine solche Geschichte käme, es wäre schrecklich.

Der Graf wird wissen, was er thut, sagte Thomas mürrisch; morgen Abend kommt sie an, Alles ist fertig, und das Uebrige kümmert uns nicht.

Damit war das Gespräch zu Ende. Leonie horchte noch immer. Nachdenkend ging sie nach Hause und war den ganzen Abend merkwürdig still.

Einige Tage darauf erzählte man im Dorfe, beim Thomas wohne eine schöne, noch junge, fremd aussehende Frau; man hatte sie in seinem Garten auf und ab gehen sehen, während seine Mutter unter der Hausthüre saß und strickte. Als gefragt wurde, wer

sehen sollte? dessen Dasein der Vater so ängstlich zu verheimlichen befahl? Leonie's kindische Neugierde klammerte sich an dem Gedanken fest und ließ ihn nicht mehr los. Daß Thomas den Waldhof erhielt, daß er so viele unerklärliche Vorbereitungen traf, geschah nicht ohne Grund, das sah auch sie wohl ein; Alle frugen, sie allein war still, aber ihr lärmendes Gefolge trieb sich plötzlich öfter ohne sie herum, und sie hatte ungemein viel um die neue Behausung des Thomas zu thun. Da saß sie denn eines Nachmittags im Grünen, von der dichten Hecke versteckt; im Garten arbeitete Thomas, und seine Mutter half ihm dabei.

Und sie kommt also wirklich morgen schon? frug plötzlich die zitternde Stimme der alten Frau. Leonie's Ohren öffneten sich weit in horchender Erwartung.

Ja, versetzte Thomas kurz, in seiner Arbeit fortfahrend.

Es ist doch hart, fuhr die Mutter fort; was mag sie nur gethan haben?

Was geht's Euch an? fuhr der Thomas auf, wir werden gezahlt sie zu bewachen, wir bewachen sie — damit ist's aus für uns! —

Aber man mochte doch wissen, was dahinter steckt. Wenn sich die Polizei nur nicht rein mischt! Wenn ich in meinen alten Tagen noch in eine solche Geschichte käme, es wäre schrecklich.

Der Graf wird wissen, was er thut, sagte Thomas mürrisch; morgen Abend kommt sie an, Alles ist fertig, und das Uebrige kümmert uns nicht.

Damit war das Gespräch zu Ende. Leonie horchte noch immer. Nachdenkend ging sie nach Hause und war den ganzen Abend merkwürdig still.

Einige Tage darauf erzählte man im Dorfe, beim Thomas wohne eine schöne, noch junge, fremd aussehende Frau; man hatte sie in seinem Garten auf und ab gehen sehen, während seine Mutter unter der Hausthüre saß und strickte. Als gefragt wurde, wer

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/13>, abgerufen am 29.03.2024.