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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dunklen, geisterhaften Augen öffneten sich von Neuem und hefteten sich mit verzehrendem Feuer auf die bebende Leonie. -- Fürchte dich nicht, sagte sie endlich, und ihre Stimme klang hohl, sieh mich an -- die Minuten sind mir gezählt -- sieh deine Mutter an, bevor du sie auf ewig verlierst. -- Deine Mutter, die der langen Marter endlich erliegt. -- Ja, auch ich war einst schön und jung wie du, aber es war Einer da, der stärker war als ich -- und der mich zertrat, bis ich das geworden bin, -- was du jetzt an mir siehst. Aber du wirst mich rächen; Jahrelang habe ich nach diesem Augenblicke gelechzt, daß ich nicht sterben konnte ohne ihn. -- Und du bist mein eigen Kind -- ich habe mich nicht getäuscht, -- und dein soll die Rache sein, das ich mich noch im Grabe freuen kann! -- Schwöre deiner Mutter, daß du sie rächen willst! -- Schwöre! wiederholte sie fast tonlos und mit drohend erhobenem Finger, als das junge Mädchen sprachlos und bleich mit großen, schreckenvollen Augen zu ihr aufsah! Da wurde die Thüre aufgerissen. Leonie! rief es laut, und ein gleichzeitiger Schrei der drei Frauen gab Antwort auf den Ruf. Es war der Graf, der eingetreten. war. Leonie! wiederholte er, und in seinem Tone rangen Zorn und Schrecken um die Oberhand. Rasch ging er auf sie zu, aber mit einem wüthenden, Blicke warf sich die Kranke in die Höhe und schlug beide Arme über das junge Mädchen zusammen. Was willst du? rief sie, Diese ist mein, du hast keinen Theil an ihr.

Dein Platz ist nicht hier, Leonie, sagte jetzt der Graf mit wiedergewonnener Ruhe; entferne dich.

Mechanisch erhob sie sich, um zu gehorchen; aber es war nur ein flüchtiger Augenblick, und wenn der Graf die düstere Leidenschaftlichkeit dieser verschlossenen Natur nicht in ihrem richtigen Maß schon früher erkannt, so bot sich ihm jetzt die Gelegenheit dazu. Regungslos stand sie vor ihm und sah ihm zum ersten Male furcht-

dunklen, geisterhaften Augen öffneten sich von Neuem und hefteten sich mit verzehrendem Feuer auf die bebende Leonie. — Fürchte dich nicht, sagte sie endlich, und ihre Stimme klang hohl, sieh mich an — die Minuten sind mir gezählt — sieh deine Mutter an, bevor du sie auf ewig verlierst. — Deine Mutter, die der langen Marter endlich erliegt. — Ja, auch ich war einst schön und jung wie du, aber es war Einer da, der stärker war als ich — und der mich zertrat, bis ich das geworden bin, — was du jetzt an mir siehst. Aber du wirst mich rächen; Jahrelang habe ich nach diesem Augenblicke gelechzt, daß ich nicht sterben konnte ohne ihn. — Und du bist mein eigen Kind — ich habe mich nicht getäuscht, — und dein soll die Rache sein, das ich mich noch im Grabe freuen kann! — Schwöre deiner Mutter, daß du sie rächen willst! — Schwöre! wiederholte sie fast tonlos und mit drohend erhobenem Finger, als das junge Mädchen sprachlos und bleich mit großen, schreckenvollen Augen zu ihr aufsah! Da wurde die Thüre aufgerissen. Leonie! rief es laut, und ein gleichzeitiger Schrei der drei Frauen gab Antwort auf den Ruf. Es war der Graf, der eingetreten. war. Leonie! wiederholte er, und in seinem Tone rangen Zorn und Schrecken um die Oberhand. Rasch ging er auf sie zu, aber mit einem wüthenden, Blicke warf sich die Kranke in die Höhe und schlug beide Arme über das junge Mädchen zusammen. Was willst du? rief sie, Diese ist mein, du hast keinen Theil an ihr.

Dein Platz ist nicht hier, Leonie, sagte jetzt der Graf mit wiedergewonnener Ruhe; entferne dich.

Mechanisch erhob sie sich, um zu gehorchen; aber es war nur ein flüchtiger Augenblick, und wenn der Graf die düstere Leidenschaftlichkeit dieser verschlossenen Natur nicht in ihrem richtigen Maß schon früher erkannt, so bot sich ihm jetzt die Gelegenheit dazu. Regungslos stand sie vor ihm und sah ihm zum ersten Male furcht-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/37>, abgerufen am 24.04.2024.