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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mit dem Aufsehen zufrieden, das ihre Erscheinung überall hervorgebracht. Der Graf hatte sein Haus geöffnet, dem seine Tochter, unter Fräulein Bertold Leitung, mit aller Anmuth ihres Wesens verschönernd Vorstand. Er machte kein Hehl daraus, das er sie jung zu verheirathen wünsche, und er hatte ihr ein Heirathsgut ausgesetzt, das sie zu einer der glänzendsten Pachten des Landes machte und sie über die Nothwendigkeit heben sollte, nach Glücksgütern oder ihrem Äquivalent, einträglichen Ämtern, zu sehen. Freilich wachte er mit großer Sorgfalt darüber, daß nur solche Männer in sein Haus kamen, deren Ruf und Charakter ihm das Glück seiner Tochter zu verbürgen schienen, unter diesen aber ließ er ihr vollkommen freie Wahl.

Gegen die Hauptsache hatte Leonie nichts einzuwenden; auch sie wollte sich verheirathen, und zwar so schnell als möglich, und darin stimmte ihr Wille einmal mit dem ihres Vaters überein. Doch auf die Stimme des Herzens legte sie weit weniger Gewicht, als er, und der Graf hatte den Kreis, der sie umschloss, immerhin etwas weiter ziehen können; Leonie hatte praktische Ansichten, weggeworfen hatte sie sich nicht. Sie hatte sich ein eigenes Bild von dem Manne gemacht, den sie mit ihrer Hand beglücken wollte. Auf Rang und Geburt hielt sie wie ihr Vater, vielleicht noch etwas mehr; Frauen sind von Natur konservativ; in allem Andern wich sie vollkommen von ihm ab.

Vor allen Dingen mußte sie durch ihre Vermählung so gestellt werden, das jeder fernere Einfluss, den ihr Vater auf ihr Leben nehmen konnte, dadurch abgeschnitten war, und Reichthum schien ihr dazu eine unerlässliche Bedingung zu sein. Ihre Mitgift aber, so bedeutend sie war, schien in Leonies Augen nur eine goldene Nuss, knapp hinreichend, drei Wünsche zu erfüllen, und sie war keineswegs gesonnen, Haus und Hof damit zu erhalten. Reich, sehr reich mußte also der Erwählte sein, und nicht nur reich, auch hochgestellt. Das war

mit dem Aufsehen zufrieden, das ihre Erscheinung überall hervorgebracht. Der Graf hatte sein Haus geöffnet, dem seine Tochter, unter Fräulein Bertold Leitung, mit aller Anmuth ihres Wesens verschönernd Vorstand. Er machte kein Hehl daraus, das er sie jung zu verheirathen wünsche, und er hatte ihr ein Heirathsgut ausgesetzt, das sie zu einer der glänzendsten Pachten des Landes machte und sie über die Nothwendigkeit heben sollte, nach Glücksgütern oder ihrem Äquivalent, einträglichen Ämtern, zu sehen. Freilich wachte er mit großer Sorgfalt darüber, daß nur solche Männer in sein Haus kamen, deren Ruf und Charakter ihm das Glück seiner Tochter zu verbürgen schienen, unter diesen aber ließ er ihr vollkommen freie Wahl.

Gegen die Hauptsache hatte Leonie nichts einzuwenden; auch sie wollte sich verheirathen, und zwar so schnell als möglich, und darin stimmte ihr Wille einmal mit dem ihres Vaters überein. Doch auf die Stimme des Herzens legte sie weit weniger Gewicht, als er, und der Graf hatte den Kreis, der sie umschloss, immerhin etwas weiter ziehen können; Leonie hatte praktische Ansichten, weggeworfen hatte sie sich nicht. Sie hatte sich ein eigenes Bild von dem Manne gemacht, den sie mit ihrer Hand beglücken wollte. Auf Rang und Geburt hielt sie wie ihr Vater, vielleicht noch etwas mehr; Frauen sind von Natur konservativ; in allem Andern wich sie vollkommen von ihm ab.

Vor allen Dingen mußte sie durch ihre Vermählung so gestellt werden, das jeder fernere Einfluss, den ihr Vater auf ihr Leben nehmen konnte, dadurch abgeschnitten war, und Reichthum schien ihr dazu eine unerlässliche Bedingung zu sein. Ihre Mitgift aber, so bedeutend sie war, schien in Leonies Augen nur eine goldene Nuss, knapp hinreichend, drei Wünsche zu erfüllen, und sie war keineswegs gesonnen, Haus und Hof damit zu erhalten. Reich, sehr reich mußte also der Erwählte sein, und nicht nur reich, auch hochgestellt. Das war

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[0043] mit dem Aufsehen zufrieden, das ihre Erscheinung überall hervorgebracht. Der Graf hatte sein Haus geöffnet, dem seine Tochter, unter Fräulein Bertold Leitung, mit aller Anmuth ihres Wesens verschönernd Vorstand. Er machte kein Hehl daraus, das er sie jung zu verheirathen wünsche, und er hatte ihr ein Heirathsgut ausgesetzt, das sie zu einer der glänzendsten Pachten des Landes machte und sie über die Nothwendigkeit heben sollte, nach Glücksgütern oder ihrem Äquivalent, einträglichen Ämtern, zu sehen. Freilich wachte er mit großer Sorgfalt darüber, daß nur solche Männer in sein Haus kamen, deren Ruf und Charakter ihm das Glück seiner Tochter zu verbürgen schienen, unter diesen aber ließ er ihr vollkommen freie Wahl. Gegen die Hauptsache hatte Leonie nichts einzuwenden; auch sie wollte sich verheirathen, und zwar so schnell als möglich, und darin stimmte ihr Wille einmal mit dem ihres Vaters überein. Doch auf die Stimme des Herzens legte sie weit weniger Gewicht, als er, und der Graf hatte den Kreis, der sie umschloss, immerhin etwas weiter ziehen können; Leonie hatte praktische Ansichten, weggeworfen hatte sie sich nicht. Sie hatte sich ein eigenes Bild von dem Manne gemacht, den sie mit ihrer Hand beglücken wollte. Auf Rang und Geburt hielt sie wie ihr Vater, vielleicht noch etwas mehr; Frauen sind von Natur konservativ; in allem Andern wich sie vollkommen von ihm ab. Vor allen Dingen mußte sie durch ihre Vermählung so gestellt werden, das jeder fernere Einfluss, den ihr Vater auf ihr Leben nehmen konnte, dadurch abgeschnitten war, und Reichthum schien ihr dazu eine unerlässliche Bedingung zu sein. Ihre Mitgift aber, so bedeutend sie war, schien in Leonies Augen nur eine goldene Nuss, knapp hinreichend, drei Wünsche zu erfüllen, und sie war keineswegs gesonnen, Haus und Hof damit zu erhalten. Reich, sehr reich mußte also der Erwählte sein, und nicht nur reich, auch hochgestellt. Das war

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/43>, abgerufen am 29.03.2024.