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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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walters durch besonders empfindliche Eintreibung grundherrlicher Gerechtsame aufgefrischt ward. Da sprach man denn von ihm als von einem ziemlich leichtsinnigen, ein wenig zum Stolz geneigten, im Ganzen aber freundlichen und milden Herrn, auf den man einst große Hoffnungen gesetzt und dessen Rückkehr man herbeiwünschte, ohne daran zu glauben, weil man in ihr die einzige Schranke für die oft unausstehliche Tyrannei der Beamten sah. Und nun war er wirklich gekommen, fast unerwartet, und Alt und Jung war herbeigelaufen, sich an seinem Anblick zu erfreuen, und Alt und Jung schüttelte die Köpfe über die Verschiedenheit zwischen dem Grafen, den sie geträumt, und demjenigen, den sie nun sahen. Es kehrte zurück ein gebrochener Mann, vor der Zeit gealtert und die in früher Jugend so muthig erhobene Stirn von einem finstern Ernst umwölkt, der jede Freude ob seiner Rückkehr schnell verstummen hieß.

Der Tod seiner Gemahlin habe ihn so geändert, sagte man sich. Er habe vergebens auf Reisen Zerstreuung für seinen Schmerz gesucht; noch jetzt könne er ihren Namen nicht aussprechen hören, und keine Frau habe seit ihrem Verluste einen Eindruck auf ihn gemacht. Die Bauern schüttelten die Kopfe dazu; Sentimentalität ist auf dem Dorfe wenig zu Hause; sie waren froh, daß der Gram seine Gerechtigkeit und Einsicht nicht getrübt, die Plackereien der Beamten hatten ein Ende, mehr verlangten sie nicht. Doch Liebe und Vertrauen erwarb sich bei ihnen der kalte, schroffe Gebieter nicht, dessen Stolz durch sein Unglück nur gewachsen schien. Ein freundliches Gesicht hatte ihm mehr Herzen gewonnen, als alle seine wirklichen Eigenschaften es vermochten. Nur die Frauen waren mildern Sinnes, sie bedauerten ihn, um die verstorbene Gräfin, die solche Liebe eingeflößt, galt unter ihnen, trotz ihres Todes, für eine hochbeglückte Frau. Zwei Kinder hatten ihn begleitet; der Knabe mit seinem deutschen Na-

walters durch besonders empfindliche Eintreibung grundherrlicher Gerechtsame aufgefrischt ward. Da sprach man denn von ihm als von einem ziemlich leichtsinnigen, ein wenig zum Stolz geneigten, im Ganzen aber freundlichen und milden Herrn, auf den man einst große Hoffnungen gesetzt und dessen Rückkehr man herbeiwünschte, ohne daran zu glauben, weil man in ihr die einzige Schranke für die oft unausstehliche Tyrannei der Beamten sah. Und nun war er wirklich gekommen, fast unerwartet, und Alt und Jung war herbeigelaufen, sich an seinem Anblick zu erfreuen, und Alt und Jung schüttelte die Köpfe über die Verschiedenheit zwischen dem Grafen, den sie geträumt, und demjenigen, den sie nun sahen. Es kehrte zurück ein gebrochener Mann, vor der Zeit gealtert und die in früher Jugend so muthig erhobene Stirn von einem finstern Ernst umwölkt, der jede Freude ob seiner Rückkehr schnell verstummen hieß.

Der Tod seiner Gemahlin habe ihn so geändert, sagte man sich. Er habe vergebens auf Reisen Zerstreuung für seinen Schmerz gesucht; noch jetzt könne er ihren Namen nicht aussprechen hören, und keine Frau habe seit ihrem Verluste einen Eindruck auf ihn gemacht. Die Bauern schüttelten die Kopfe dazu; Sentimentalität ist auf dem Dorfe wenig zu Hause; sie waren froh, daß der Gram seine Gerechtigkeit und Einsicht nicht getrübt, die Plackereien der Beamten hatten ein Ende, mehr verlangten sie nicht. Doch Liebe und Vertrauen erwarb sich bei ihnen der kalte, schroffe Gebieter nicht, dessen Stolz durch sein Unglück nur gewachsen schien. Ein freundliches Gesicht hatte ihm mehr Herzen gewonnen, als alle seine wirklichen Eigenschaften es vermochten. Nur die Frauen waren mildern Sinnes, sie bedauerten ihn, um die verstorbene Gräfin, die solche Liebe eingeflößt, galt unter ihnen, trotz ihres Todes, für eine hochbeglückte Frau. Zwei Kinder hatten ihn begleitet; der Knabe mit seinem deutschen Na-

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[0007] walters durch besonders empfindliche Eintreibung grundherrlicher Gerechtsame aufgefrischt ward. Da sprach man denn von ihm als von einem ziemlich leichtsinnigen, ein wenig zum Stolz geneigten, im Ganzen aber freundlichen und milden Herrn, auf den man einst große Hoffnungen gesetzt und dessen Rückkehr man herbeiwünschte, ohne daran zu glauben, weil man in ihr die einzige Schranke für die oft unausstehliche Tyrannei der Beamten sah. Und nun war er wirklich gekommen, fast unerwartet, und Alt und Jung war herbeigelaufen, sich an seinem Anblick zu erfreuen, und Alt und Jung schüttelte die Köpfe über die Verschiedenheit zwischen dem Grafen, den sie geträumt, und demjenigen, den sie nun sahen. Es kehrte zurück ein gebrochener Mann, vor der Zeit gealtert und die in früher Jugend so muthig erhobene Stirn von einem finstern Ernst umwölkt, der jede Freude ob seiner Rückkehr schnell verstummen hieß. Der Tod seiner Gemahlin habe ihn so geändert, sagte man sich. Er habe vergebens auf Reisen Zerstreuung für seinen Schmerz gesucht; noch jetzt könne er ihren Namen nicht aussprechen hören, und keine Frau habe seit ihrem Verluste einen Eindruck auf ihn gemacht. Die Bauern schüttelten die Kopfe dazu; Sentimentalität ist auf dem Dorfe wenig zu Hause; sie waren froh, daß der Gram seine Gerechtigkeit und Einsicht nicht getrübt, die Plackereien der Beamten hatten ein Ende, mehr verlangten sie nicht. Doch Liebe und Vertrauen erwarb sich bei ihnen der kalte, schroffe Gebieter nicht, dessen Stolz durch sein Unglück nur gewachsen schien. Ein freundliches Gesicht hatte ihm mehr Herzen gewonnen, als alle seine wirklichen Eigenschaften es vermochten. Nur die Frauen waren mildern Sinnes, sie bedauerten ihn, um die verstorbene Gräfin, die solche Liebe eingeflößt, galt unter ihnen, trotz ihres Todes, für eine hochbeglückte Frau. Zwei Kinder hatten ihn begleitet; der Knabe mit seinem deutschen Na-

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/7>, abgerufen am 25.04.2024.