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Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764.

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4. Kap. Von der Entstehungsart
einer einfa-
chen Pflanze.
Hauptrippe, die der verlängerte Stiel
ist, und aus ihren breiten Seitenthei-
len, die die Flügel des Blatts pflegen genennt zu
werden, und die wiederum aus den Seitenrippen
und ihren Zwischenräumen zusammen gesetzt sind.
Jch muß, ehe ich die Formation der Blätter erklä-
ren kann, etwas von der Beschaffenheit einer voll-
ständigen Pflanze sagen, was nemlich zu einer
vollständigen Pflanze erfordert wird. Eine jede
Pflanze, die außer ihrem Hauptstamme noch Zwei-
ge hat, die seitwärts aus jenem herfür schießen,
sehe ich schon als eine zusammen gesetzte Pflanze
an. Zu einer einfachen Pflanze wird weiter nichts
erfordert, als ein einfacher Stamm (caulis), der
seitwärts bloß mit seinen Blättern versehen ist,
oben aber in der Spitze seine Fruktifikation, und
unten endlich seine Wurzel hat. Also ist ein jeder
Zweig einer zusammengesetzten Pflanze eine beson-
dere Pflanze; denn an statt der Wurzel hat er we-
nigstens Fibern, die in dem vorhergehenden
Stamme, aus welchem er entsprossen ist, sich ver-
längern.

§. 55.
Warum
Blätter nicht
anders, als
mit einer zu-
gleich produ-
cirten voll-
ständigen
Pflanze her.

Runmehro sage ich, ein Blatt
kann nicht anders entstehn, als es
muß zugleich eine vollständige einfa-
che Pflanze entstehn. Denn ein
Blatt ist nur eine Folge von dem er-
sten Anfange einer einfachen Pflanze;
folglich, wenn dasselbe entstehen soll,

so

4. Kap. Von der Entſtehungsart
einer einfa-
chen Pflanze.
Hauptrippe, die der verlaͤngerte Stiel
iſt, und aus ihren breiten Seitenthei-
len, die die Fluͤgel des Blatts pflegen genennt zu
werden, und die wiederum aus den Seitenrippen
und ihren Zwiſchenraͤumen zuſammen geſetzt ſind.
Jch muß, ehe ich die Formation der Blaͤtter erklaͤ-
ren kann, etwas von der Beſchaffenheit einer voll-
ſtaͤndigen Pflanze ſagen, was nemlich zu einer
vollſtaͤndigen Pflanze erfordert wird. Eine jede
Pflanze, die außer ihrem Hauptſtamme noch Zwei-
ge hat, die ſeitwaͤrts aus jenem herfuͤr ſchießen,
ſehe ich ſchon als eine zuſammen geſetzte Pflanze
an. Zu einer einfachen Pflanze wird weiter nichts
erfordert, als ein einfacher Stamm (caulis), der
ſeitwaͤrts bloß mit ſeinen Blaͤttern verſehen iſt,
oben aber in der Spitze ſeine Fruktifikation, und
unten endlich ſeine Wurzel hat. Alſo iſt ein jeder
Zweig einer zuſammengeſetzten Pflanze eine beſon-
dere Pflanze; denn an ſtatt der Wurzel hat er we-
nigſtens Fibern, die in dem vorhergehenden
Stamme, aus welchem er entſproſſen iſt, ſich ver-
laͤngern.

§. 55.
Warum
Blätter nicht
anders, als
mit einer zu-
gleich produ-
cirten voll-
ſtändigen
Pflanze her.

Runmehro ſage ich, ein Blatt
kann nicht anders entſtehn, als es
muß zugleich eine vollſtaͤndige einfa-
che Pflanze entſtehn. Denn ein
Blatt iſt nur eine Folge von dem er-
ſten Anfange einer einfachen Pflanze;
folglich, wenn daſſelbe entſtehen ſoll,

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[194/0216] 4. Kap. Von der Entſtehungsart Hauptrippe, die der verlaͤngerte Stiel iſt, und aus ihren breiten Seitenthei- len, die die Fluͤgel des Blatts pflegen genennt zu werden, und die wiederum aus den Seitenrippen und ihren Zwiſchenraͤumen zuſammen geſetzt ſind. Jch muß, ehe ich die Formation der Blaͤtter erklaͤ- ren kann, etwas von der Beſchaffenheit einer voll- ſtaͤndigen Pflanze ſagen, was nemlich zu einer vollſtaͤndigen Pflanze erfordert wird. Eine jede Pflanze, die außer ihrem Hauptſtamme noch Zwei- ge hat, die ſeitwaͤrts aus jenem herfuͤr ſchießen, ſehe ich ſchon als eine zuſammen geſetzte Pflanze an. Zu einer einfachen Pflanze wird weiter nichts erfordert, als ein einfacher Stamm (caulis), der ſeitwaͤrts bloß mit ſeinen Blaͤttern verſehen iſt, oben aber in der Spitze ſeine Fruktifikation, und unten endlich ſeine Wurzel hat. Alſo iſt ein jeder Zweig einer zuſammengeſetzten Pflanze eine beſon- dere Pflanze; denn an ſtatt der Wurzel hat er we- nigſtens Fibern, die in dem vorhergehenden Stamme, aus welchem er entſproſſen iſt, ſich ver- laͤngern. einer einfa- chen Pflanze. §. 55. Runmehro ſage ich, ein Blatt kann nicht anders entſtehn, als es muß zugleich eine vollſtaͤndige einfa- che Pflanze entſtehn. Denn ein Blatt iſt nur eine Folge von dem er- ſten Anfange einer einfachen Pflanze; folglich, wenn daſſelbe entſtehen ſoll, ſo

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Zitationshilfe: Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/216>, abgerufen am 29.03.2024.