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Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 5. [Braunschweig], [1764].

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Das Mädchen.
Wenn vor dem tödtenden Messer des Kochs die
Taube dahin fällt,

Oder der Henne sperbrichtes Kind. Sie lernet bey
Zeiten

Andrer Elend zu fühlen; sie wird die christlichste
Tugend

Zur Vollkommenheit bringen, und wenn sie wider
Verschulden

Feinde hassen, die Feinde sogar als Menschen noch
lieben.

Wie erröthet ihr ofnes Gesicht, wofern sie nur
muthmaßt,

Jhren Vater beleidigt zu haben! Mit welchem
Erschrecken,

Und mit welcher beflügelten Angst umfaßt sie ihn
kniend,

Wenn sie wirklich gefehlt! Jhr rollen die brennen-
den Thränen

Lange vom Auge, sie kan sich nicht trösten ob ih-
rem Vergehen.

Kan Versuchung wohl je solch eine Seele
verführen,

Welche, so früh mit der Tugend bekannt, ihr immer
getreu bleibt,

Und
Das Maͤdchen.
Wenn vor dem toͤdtenden Meſſer des Kochs die
Taube dahin faͤllt,

Oder der Henne ſperbrichtes Kind. Sie lernet bey
Zeiten

Andrer Elend zu fuͤhlen; ſie wird die chriſtlichſte
Tugend

Zur Vollkommenheit bringen, und wenn ſie wider
Verſchulden

Feinde haſſen, die Feinde ſogar als Menſchen noch
lieben.

Wie erroͤthet ihr ofnes Geſicht, wofern ſie nur
muthmaßt,

Jhren Vater beleidigt zu haben! Mit welchem
Erſchrecken,

Und mit welcher befluͤgelten Angſt umfaßt ſie ihn
kniend,

Wenn ſie wirklich gefehlt! Jhr rollen die brennen-
den Thraͤnen

Lange vom Auge, ſie kan ſich nicht troͤſten ob ih-
rem Vergehen.

Kan Verſuchung wohl je ſolch eine Seele
verfuͤhren,

Welche, ſo fruͤh mit der Tugend bekannt, ihr immer
getreu bleibt,

Und
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[8/0030] Das Maͤdchen. Wenn vor dem toͤdtenden Meſſer des Kochs die Taube dahin faͤllt, Oder der Henne ſperbrichtes Kind. Sie lernet bey Zeiten Andrer Elend zu fuͤhlen; ſie wird die chriſtlichſte Tugend Zur Vollkommenheit bringen, und wenn ſie wider Verſchulden Feinde haſſen, die Feinde ſogar als Menſchen noch lieben. Wie erroͤthet ihr ofnes Geſicht, wofern ſie nur muthmaßt, Jhren Vater beleidigt zu haben! Mit welchem Erſchrecken, Und mit welcher befluͤgelten Angſt umfaßt ſie ihn kniend, Wenn ſie wirklich gefehlt! Jhr rollen die brennen- den Thraͤnen Lange vom Auge, ſie kan ſich nicht troͤſten ob ih- rem Vergehen. Kan Verſuchung wohl je ſolch eine Seele verfuͤhren, Welche, ſo fruͤh mit der Tugend bekannt, ihr immer getreu bleibt, Und

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Zitationshilfe: Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 5. [Braunschweig], [1764], S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften05_1764/30>, abgerufen am 18.04.2024.