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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
er aus. Allerhand kurtzweile stellete er an. Und dieses
alles geschahe unter dem lieblichsten getöhne der helklin-
genden schällenspiele/ unter dem anmuhtigsten klange
der singenden stimmen. Ja es ging so hertzlich fröh-
lich/ so lieblich lustig/ so anmuhtig vertraulich zu/ daß
es ein halbhimlisches wohlleben zu sein schien. Dadurch
vermeinte man die traurige Assenat zu erfröhlichen/
ihren unmuht zu vertreiben/ ihre schwächligkeit zu er-
frischen. Aber wiewohl sie sich fröhlich zu sein zwang/ so
hatte es doch keinen bestand. Es währete nur eine kleine
weile. Plötzlich erblassete sie/ als eine leiche. Jähligen
ward sie stille. Die lippen warden todtenbleich: die au-
gen halb gebrochen. Der ahtem blieb zurük. Sie sank
auf ihres Liebsten schoß nieder. Jederman erschrak. Die
lust verschwand. Die sänger schwiegen. Die schällen-
spiele warden nicht mehr beweget. Die gantze geselschaft
ward traurig. Josef strich ihr straks seinen schlag-
balsam unter die nase. Der Ertzvater tunkte sein tafel-
tüchlein in essig/ und hielt es ihr vor. Benjamin
nahm safran und ein wenig goldes. Damit rieb er in-
wendig das unterste glied des goldfingers an ihrer lin-
ten hand/ ihr hertz zu stärken. Hierauf erhohlte sie sich
ein wenig. Hierauf kahm sie/ aus ihrer ohnmacht/
wieder zu sich selbst. Und so bald sie sprechen konte/ be-
gehrte sie zu bette.

Zwischen dessen warden zween Aertzte gehohlet. Einer
solte das Hertz/ der andere das schweere durch schrökken
entstellete geblühte genäsen. Dan dazumahl war es bei
den Egiptern gebreuchlich/ daß ein ieder Artzt nur ein
glied des menschlichen leibes artzneien muste. Diese ur-
teileten aus allen ümständen/ daß die unbäsligkeit der
Schaltkönigin von einem jähligen schrökken herrühre-
te. Hiernach richteten sie auch ihre artzneien. Hier-
nach ward die gantze genäsung angestellet. In drei ta-
gen brachten sie es so weit/ daß sie wieder so viel kräfte

be-

Der Aſſenat
er aus. Allerhand kurtzweile ſtellete er an. Und dieſes
alles geſchahe unter dem lieblichſten getoͤhne der helklin-
genden ſchaͤllenſpiele/ unter dem anmuhtigſten klange
der ſingenden ſtimmen. Ja es ging ſo hertzlich froͤh-
lich/ ſo lieblich luſtig/ ſo anmuhtig vertraulich zu/ daß
es ein halbhimliſches wohlleben zu ſein ſchien. Dadurch
vermeinte man die traurige Aſſenat zu erfroͤhlichen/
ihren unmuht zu vertreiben/ ihre ſchwaͤchligkeit zu er-
friſchen. Aber wiewohl ſie ſich froͤhlich zu ſein zwang/ ſo
hatte es doch keinen beſtand. Es waͤhrete nur eine kleine
weile. Ploͤtzlich erblaſſete ſie/ als eine leiche. Jaͤhligen
ward ſie ſtille. Die lippen warden todtenbleich: die au-
gen halb gebrochen. Der ahtem blieb zuruͤk. Sie ſank
auf ihres Liebſten ſchoß nieder. Jederman erſchrak. Die
luſt verſchwand. Die ſaͤnger ſchwiegen. Die ſchaͤllen-
ſpiele warden nicht mehr beweget. Die gantze geſelſchaft
ward traurig. Joſef ſtrich ihr ſtraks ſeinen ſchlag-
balſam unter die naſe. Der Ertzvater tunkte ſein tafel-
tuͤchlein in eſſig/ und hielt es ihr vor. Benjamin
nahm ſafran und ein wenig goldes. Damit rieb er in-
wendig das unterſte glied des goldfingers an ihrer lin-
ten hand/ ihr hertz zu ſtaͤrken. Hierauf erhohlte ſie ſich
ein wenig. Hierauf kahm ſie/ aus ihrer ohnmacht/
wieder zu ſich ſelbſt. Und ſo bald ſie ſprechen konte/ be-
gehrte ſie zu bette.

Zwiſchen deſſen warden zween Aertzte gehohlet. Einer
ſolte das Hertz/ der andere das ſchweere durch ſchroͤkken
entſtellete gebluͤhte genaͤſen. Dan dazumahl war es bei
den Egiptern gebreuchlich/ daß ein ieder Artzt nur ein
glied des menſchlichen leibes artzneien muſte. Dieſe ur-
teileten aus allen uͤmſtaͤnden/ daß die unbaͤsligkeit der
Schaltkoͤnigin von einem jaͤhligen ſchroͤkken herruͤhre-
te. Hiernach richteten ſie auch ihre artzneien. Hier-
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gen brachten ſie es ſo weit/ daß ſie wieder ſo viel kraͤfte

be-
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[300/0324] Der Aſſenat er aus. Allerhand kurtzweile ſtellete er an. Und dieſes alles geſchahe unter dem lieblichſten getoͤhne der helklin- genden ſchaͤllenſpiele/ unter dem anmuhtigſten klange der ſingenden ſtimmen. Ja es ging ſo hertzlich froͤh- lich/ ſo lieblich luſtig/ ſo anmuhtig vertraulich zu/ daß es ein halbhimliſches wohlleben zu ſein ſchien. Dadurch vermeinte man die traurige Aſſenat zu erfroͤhlichen/ ihren unmuht zu vertreiben/ ihre ſchwaͤchligkeit zu er- friſchen. Aber wiewohl ſie ſich froͤhlich zu ſein zwang/ ſo hatte es doch keinen beſtand. Es waͤhrete nur eine kleine weile. Ploͤtzlich erblaſſete ſie/ als eine leiche. Jaͤhligen ward ſie ſtille. Die lippen warden todtenbleich: die au- gen halb gebrochen. Der ahtem blieb zuruͤk. Sie ſank auf ihres Liebſten ſchoß nieder. Jederman erſchrak. Die luſt verſchwand. Die ſaͤnger ſchwiegen. Die ſchaͤllen- ſpiele warden nicht mehr beweget. Die gantze geſelſchaft ward traurig. Joſef ſtrich ihr ſtraks ſeinen ſchlag- balſam unter die naſe. Der Ertzvater tunkte ſein tafel- tuͤchlein in eſſig/ und hielt es ihr vor. Benjamin nahm ſafran und ein wenig goldes. Damit rieb er in- wendig das unterſte glied des goldfingers an ihrer lin- ten hand/ ihr hertz zu ſtaͤrken. Hierauf erhohlte ſie ſich ein wenig. Hierauf kahm ſie/ aus ihrer ohnmacht/ wieder zu ſich ſelbſt. Und ſo bald ſie ſprechen konte/ be- gehrte ſie zu bette. Zwiſchen deſſen warden zween Aertzte gehohlet. Einer ſolte das Hertz/ der andere das ſchweere durch ſchroͤkken entſtellete gebluͤhte genaͤſen. Dan dazumahl war es bei den Egiptern gebreuchlich/ daß ein ieder Artzt nur ein glied des menſchlichen leibes artzneien muſte. Dieſe ur- teileten aus allen uͤmſtaͤnden/ daß die unbaͤsligkeit der Schaltkoͤnigin von einem jaͤhligen ſchroͤkken herruͤhre- te. Hiernach richteten ſie auch ihre artzneien. Hier- nach ward die gantze genaͤſung angeſtellet. In drei ta- gen brachten ſie es ſo weit/ daß ſie wieder ſo viel kraͤfte be-

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/324>, abgerufen am 27.04.2024.