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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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gewisser frauenrechtlerischer Kreise, daß Frauen und Männer gleiche
Rechte haben müssen, weil sie geistig-sittlich gleich seien. Wie körperlich,
so sind die Geschlechter auch in ihrem Geistes- und Seelenleben ver-
schieden. Aber verschieden sein, anders sein, heißt für das weibliche
Geschlecht nicht niedriger sein als das männliche. Und wenn wir auf
Grund unserer psychischen weiblichen Eigenart zum Teil anders
fühlen, denken und handeln als der Mann, so empfinden wir unser
Anderssein als einen Vorzug im Hinblick auf die Ergänzung des
Mannes und die Bereicherung der Gesellschaft.

Von den angedeuteten Gesichtspunkten aus fordern wir die volle
politische Gleichberechtigung der Frau und das Wahlrecht insbesondere,
als die staatsrechtliche Mündigkeitserklärung unseres Geschlechts.



III.
Der Einfluß der Klassenscheidung in der Frauenwelt
auf die Bedeutung des Wahlrechts.

Jn bezug auf die hervorgehobene allgemeine prinzipielle Bedeutung
des Frauenwahlrechts besteht innerhalb des gesamten weiblichen Ge-
schlechts kein Unterschied. Ebenso werten alle Frauen ohne Unterschied
der Klasse die politische Gleichberechtigung als ein Mittel, das Recht
freier, reicher Lebensentwickelung und Lebensbetätigung zu erobern.

Jn der Frauenwelt herrscht jedoch ebenso gut wie in der Männer-
welt der Klassengegensatz und der Klassenkampf. Dadurch wird zwischen
den Frauen der verschiedenen Klassen ein Gegensatz geschaffen betreffs
des praktischen Werts des Wahlrechts und betreffs des Zieles, für das
es gebraucht wird. Für die Frauen hat das Wahlrecht praktisch eine
ganz verschiedene Bedeutung je nach dem Besitz, über den sie verfügen,
oder der Besitzlosigkeit, unter der sie leiden. Und zwar steht im all-
gemeinen der Wert des Stimmrechts für sie in umgekehrtem Ver-
hältnis zur Größe ihres Besitzes.

Je unbeschränkter den Frauen der oberen Zehntausend privatrechtlich
die Verfügungsmöglichkeit über ein großes Vermögen eignet, um so
leichter können sie politischer Rechte entraten. Dank ihrem Geldbeutel
können sie ihre persönlichen Jnteressen auch so in ausgiebigstem Maße
wahren.

Höhere Bedeutung kommt dem Wahlrecht für die mittlere Schicht
der bürgerlichen Frauen zu. Ein großer Teil von ihnen ist nicht in
der angenehmen Lage, wie ihre reicheren Schwestern, sich mittels ererbter
Vermögen eine Lebensbetätigung zu schaffen, welche den persönlichen
Neigungen entspricht. Meist müssen sie sich durch ihre Arbeit nicht nur
einen neuen Lebensinhalt aufbauen, sondern auch in ihr einen Brot-
erwerb suchen. Jhrer Klassenzugehörigkeit und ihrem Bildungsgange
entsprechend denken sie jedoch natürlich genug nicht an die allen offen-
stehende Möglichkeit, gewerbliche oder landwirtschaftliche Arbeiterinnen
zu werden. Sie streben nach einer sogenannten freien oder liberalen
Berufstätigkeit. Die gleiche Bildungsgelegenheit wie dem Manne und
die Möglichkeit zur Ausübung höherer Berufe ist jedoch vielfach noch
den Frauen durch gesetzliche Bestimmungen verwehrt. Die Frauen der
mittelbürgerlichen Schichten und der bürgerlichen Jntelligenz brauchen

gewisser frauenrechtlerischer Kreise, daß Frauen und Männer gleiche
Rechte haben müssen, weil sie geistig-sittlich gleich seien. Wie körperlich,
so sind die Geschlechter auch in ihrem Geistes- und Seelenleben ver-
schieden. Aber verschieden sein, anders sein, heißt für das weibliche
Geschlecht nicht niedriger sein als das männliche. Und wenn wir auf
Grund unserer psychischen weiblichen Eigenart zum Teil anders
fühlen, denken und handeln als der Mann, so empfinden wir unser
Anderssein als einen Vorzug im Hinblick auf die Ergänzung des
Mannes und die Bereicherung der Gesellschaft.

Von den angedeuteten Gesichtspunkten aus fordern wir die volle
politische Gleichberechtigung der Frau und das Wahlrecht insbesondere,
als die staatsrechtliche Mündigkeitserklärung unseres Geschlechts.



III.
Der Einfluß der Klassenscheidung in der Frauenwelt
auf die Bedeutung des Wahlrechts.

Jn bezug auf die hervorgehobene allgemeine prinzipielle Bedeutung
des Frauenwahlrechts besteht innerhalb des gesamten weiblichen Ge-
schlechts kein Unterschied. Ebenso werten alle Frauen ohne Unterschied
der Klasse die politische Gleichberechtigung als ein Mittel, das Recht
freier, reicher Lebensentwickelung und Lebensbetätigung zu erobern.

Jn der Frauenwelt herrscht jedoch ebenso gut wie in der Männer-
welt der Klassengegensatz und der Klassenkampf. Dadurch wird zwischen
den Frauen der verschiedenen Klassen ein Gegensatz geschaffen betreffs
des praktischen Werts des Wahlrechts und betreffs des Zieles, für das
es gebraucht wird. Für die Frauen hat das Wahlrecht praktisch eine
ganz verschiedene Bedeutung je nach dem Besitz, über den sie verfügen,
oder der Besitzlosigkeit, unter der sie leiden. Und zwar steht im all-
gemeinen der Wert des Stimmrechts für sie in umgekehrtem Ver-
hältnis zur Größe ihres Besitzes.

Je unbeschränkter den Frauen der oberen Zehntausend privatrechtlich
die Verfügungsmöglichkeit über ein großes Vermögen eignet, um so
leichter können sie politischer Rechte entraten. Dank ihrem Geldbeutel
können sie ihre persönlichen Jnteressen auch so in ausgiebigstem Maße
wahren.

Höhere Bedeutung kommt dem Wahlrecht für die mittlere Schicht
der bürgerlichen Frauen zu. Ein großer Teil von ihnen ist nicht in
der angenehmen Lage, wie ihre reicheren Schwestern, sich mittels ererbter
Vermögen eine Lebensbetätigung zu schaffen, welche den persönlichen
Neigungen entspricht. Meist müssen sie sich durch ihre Arbeit nicht nur
einen neuen Lebensinhalt aufbauen, sondern auch in ihr einen Brot-
erwerb suchen. Jhrer Klassenzugehörigkeit und ihrem Bildungsgange
entsprechend denken sie jedoch natürlich genug nicht an die allen offen-
stehende Möglichkeit, gewerbliche oder landwirtschaftliche Arbeiterinnen
zu werden. Sie streben nach einer sogenannten freien oder liberalen
Berufstätigkeit. Die gleiche Bildungsgelegenheit wie dem Manne und
die Möglichkeit zur Ausübung höherer Berufe ist jedoch vielfach noch
den Frauen durch gesetzliche Bestimmungen verwehrt. Die Frauen der
mittelbürgerlichen Schichten und der bürgerlichen Jntelligenz brauchen

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[11/0021] gewisser frauenrechtlerischer Kreise, daß Frauen und Männer gleiche Rechte haben müssen, weil sie geistig-sittlich gleich seien. Wie körperlich, so sind die Geschlechter auch in ihrem Geistes- und Seelenleben ver- schieden. Aber verschieden sein, anders sein, heißt für das weibliche Geschlecht nicht niedriger sein als das männliche. Und wenn wir auf Grund unserer psychischen weiblichen Eigenart zum Teil anders fühlen, denken und handeln als der Mann, so empfinden wir unser Anderssein als einen Vorzug im Hinblick auf die Ergänzung des Mannes und die Bereicherung der Gesellschaft. Von den angedeuteten Gesichtspunkten aus fordern wir die volle politische Gleichberechtigung der Frau und das Wahlrecht insbesondere, als die staatsrechtliche Mündigkeitserklärung unseres Geschlechts. III. Der Einfluß der Klassenscheidung in der Frauenwelt auf die Bedeutung des Wahlrechts. Jn bezug auf die hervorgehobene allgemeine prinzipielle Bedeutung des Frauenwahlrechts besteht innerhalb des gesamten weiblichen Ge- schlechts kein Unterschied. Ebenso werten alle Frauen ohne Unterschied der Klasse die politische Gleichberechtigung als ein Mittel, das Recht freier, reicher Lebensentwickelung und Lebensbetätigung zu erobern. Jn der Frauenwelt herrscht jedoch ebenso gut wie in der Männer- welt der Klassengegensatz und der Klassenkampf. Dadurch wird zwischen den Frauen der verschiedenen Klassen ein Gegensatz geschaffen betreffs des praktischen Werts des Wahlrechts und betreffs des Zieles, für das es gebraucht wird. Für die Frauen hat das Wahlrecht praktisch eine ganz verschiedene Bedeutung je nach dem Besitz, über den sie verfügen, oder der Besitzlosigkeit, unter der sie leiden. Und zwar steht im all- gemeinen der Wert des Stimmrechts für sie in umgekehrtem Ver- hältnis zur Größe ihres Besitzes. Je unbeschränkter den Frauen der oberen Zehntausend privatrechtlich die Verfügungsmöglichkeit über ein großes Vermögen eignet, um so leichter können sie politischer Rechte entraten. Dank ihrem Geldbeutel können sie ihre persönlichen Jnteressen auch so in ausgiebigstem Maße wahren. Höhere Bedeutung kommt dem Wahlrecht für die mittlere Schicht der bürgerlichen Frauen zu. Ein großer Teil von ihnen ist nicht in der angenehmen Lage, wie ihre reicheren Schwestern, sich mittels ererbter Vermögen eine Lebensbetätigung zu schaffen, welche den persönlichen Neigungen entspricht. Meist müssen sie sich durch ihre Arbeit nicht nur einen neuen Lebensinhalt aufbauen, sondern auch in ihr einen Brot- erwerb suchen. Jhrer Klassenzugehörigkeit und ihrem Bildungsgange entsprechend denken sie jedoch natürlich genug nicht an die allen offen- stehende Möglichkeit, gewerbliche oder landwirtschaftliche Arbeiterinnen zu werden. Sie streben nach einer sogenannten freien oder liberalen Berufstätigkeit. Die gleiche Bildungsgelegenheit wie dem Manne und die Möglichkeit zur Ausübung höherer Berufe ist jedoch vielfach noch den Frauen durch gesetzliche Bestimmungen verwehrt. Die Frauen der mittelbürgerlichen Schichten und der bürgerlichen Jntelligenz brauchen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: wie Vorlage; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/21>, abgerufen am 29.03.2024.