Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Verlegenheit zu verbergen. In der Frage lag noch eine Spur ehemaliger Jugendfreundschaft, die nicht ganz vergessen zu sein schien. Eine solche interessante Frage, die über so interessante Lippen floß, und zwar mit einer so weichen, herzrührenden Stimme gefragt, konnte billig als Honigseim gelten, dem armen Waldrich die bittern Pillen zu versüßen, welche Herr Bantes in vollem Maße spendete. Denn dieser erzählte, um sein Urtheil zu rechtfertigen, dem Gaste, als wenn der nun Schiedsrichter sein sollte, dessen eigene Lebensgeschichte von der Wiege an bis zum Zuge für das Vaterland. Hätte der Bursch, so schloß die Historie nutzanwendend, aus der Universität etwas Rechtschaffenes gelernt, so wäre er nicht unter die Soldaten und dergleichen gegangen. Wäre er nicht Soldat geworden, säße er jetzt irgendwo als Gerichtsrath, Kriegsrath, Kanzleirath, Hofrath und dergleichen; hätte sein gutes Brod und Auskommen. Ich weiß nicht, entgegnete die Tochter, ob er auf der Universität fleißig gewesen; aber ich weiß, daß er wenigstens mit gutem Herzen ging, sich für eine heilige Sache zu opfern. Komm mir doch nicht immer mit deiner heiligen Sache und dergleichen! rief Herr Bantes, wo sitzt denn das heilige Zeug, frage ich? Die Franzosen sind fortgejagt. Nun ja. Aber das heilige Reich ist trotz dem zum Kukuk und zum Küster gegangen. Die alten Steuern sind provisorisch beibehalten, und neue sind Verlegenheit zu verbergen. In der Frage lag noch eine Spur ehemaliger Jugendfreundschaft, die nicht ganz vergessen zu sein schien. Eine solche interessante Frage, die über so interessante Lippen floß, und zwar mit einer so weichen, herzrührenden Stimme gefragt, konnte billig als Honigseim gelten, dem armen Waldrich die bittern Pillen zu versüßen, welche Herr Bantes in vollem Maße spendete. Denn dieser erzählte, um sein Urtheil zu rechtfertigen, dem Gaste, als wenn der nun Schiedsrichter sein sollte, dessen eigene Lebensgeschichte von der Wiege an bis zum Zuge für das Vaterland. Hätte der Bursch, so schloß die Historie nutzanwendend, aus der Universität etwas Rechtschaffenes gelernt, so wäre er nicht unter die Soldaten und dergleichen gegangen. Wäre er nicht Soldat geworden, säße er jetzt irgendwo als Gerichtsrath, Kriegsrath, Kanzleirath, Hofrath und dergleichen; hätte sein gutes Brod und Auskommen. Ich weiß nicht, entgegnete die Tochter, ob er auf der Universität fleißig gewesen; aber ich weiß, daß er wenigstens mit gutem Herzen ging, sich für eine heilige Sache zu opfern. Komm mir doch nicht immer mit deiner heiligen Sache und dergleichen! rief Herr Bantes, wo sitzt denn das heilige Zeug, frage ich? Die Franzosen sind fortgejagt. Nun ja. Aber das heilige Reich ist trotz dem zum Kukuk und zum Küster gegangen. Die alten Steuern sind provisorisch beibehalten, und neue sind <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0014"/> Verlegenheit zu verbergen. In der Frage lag noch eine Spur ehemaliger Jugendfreundschaft, die nicht ganz vergessen zu sein schien. Eine solche interessante Frage, die über so interessante Lippen floß, und zwar mit einer so weichen, herzrührenden Stimme gefragt, konnte billig als Honigseim gelten, dem armen Waldrich die bittern Pillen zu versüßen, welche Herr Bantes in vollem Maße spendete.</p><lb/> <p>Denn dieser erzählte, um sein Urtheil zu rechtfertigen, dem Gaste, als wenn der nun Schiedsrichter sein sollte, dessen eigene Lebensgeschichte von der Wiege an bis zum Zuge für das Vaterland. Hätte der Bursch, so schloß die Historie nutzanwendend, aus der Universität etwas Rechtschaffenes gelernt, so wäre er nicht unter die Soldaten und dergleichen gegangen. Wäre er nicht Soldat geworden, säße er jetzt irgendwo als Gerichtsrath, Kriegsrath, Kanzleirath, Hofrath und dergleichen; hätte sein gutes Brod und Auskommen.</p><lb/> <p>Ich weiß nicht, entgegnete die Tochter, ob er auf der Universität fleißig gewesen; aber ich weiß, daß er wenigstens mit gutem Herzen ging, sich für eine heilige Sache zu opfern.</p><lb/> <p>Komm mir doch nicht immer mit deiner heiligen Sache und dergleichen! rief Herr Bantes, wo sitzt denn das heilige Zeug, frage ich? Die Franzosen sind fortgejagt. Nun ja. Aber das heilige Reich ist trotz dem zum Kukuk und zum Küster gegangen. Die alten Steuern sind provisorisch beibehalten, und neue sind<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Verlegenheit zu verbergen. In der Frage lag noch eine Spur ehemaliger Jugendfreundschaft, die nicht ganz vergessen zu sein schien. Eine solche interessante Frage, die über so interessante Lippen floß, und zwar mit einer so weichen, herzrührenden Stimme gefragt, konnte billig als Honigseim gelten, dem armen Waldrich die bittern Pillen zu versüßen, welche Herr Bantes in vollem Maße spendete.
Denn dieser erzählte, um sein Urtheil zu rechtfertigen, dem Gaste, als wenn der nun Schiedsrichter sein sollte, dessen eigene Lebensgeschichte von der Wiege an bis zum Zuge für das Vaterland. Hätte der Bursch, so schloß die Historie nutzanwendend, aus der Universität etwas Rechtschaffenes gelernt, so wäre er nicht unter die Soldaten und dergleichen gegangen. Wäre er nicht Soldat geworden, säße er jetzt irgendwo als Gerichtsrath, Kriegsrath, Kanzleirath, Hofrath und dergleichen; hätte sein gutes Brod und Auskommen.
Ich weiß nicht, entgegnete die Tochter, ob er auf der Universität fleißig gewesen; aber ich weiß, daß er wenigstens mit gutem Herzen ging, sich für eine heilige Sache zu opfern.
Komm mir doch nicht immer mit deiner heiligen Sache und dergleichen! rief Herr Bantes, wo sitzt denn das heilige Zeug, frage ich? Die Franzosen sind fortgejagt. Nun ja. Aber das heilige Reich ist trotz dem zum Kukuk und zum Küster gegangen. Die alten Steuern sind provisorisch beibehalten, und neue sind
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/14>, abgerufen am 17.01.2025. |