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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mal nach Herbesheim gekommen. -- Er nahm ihre Hand und küßte dieselbe.

In dem Augenblicke trat Frau Bantes herein. Friederike eilte ihr entgegen: Wissen Sie, Mamachen, wie der Herr Commandant heißt?

Das blasse Antlitz der Frau Dantes ward von einem milden Roth überflogen. Sie sagte sanft lächelnd: Georg Waldrich.

Wie, Mamachen, Sie wußten es und verschwiegen es? sagte Friederike, die sich noch immer nicht von ihrer Ueberraschung erholen konnte und nun den hochgewachsenen, festen Kriegsmann im Heerkleide mit dem schüchternen Schulknaben der Vorzeit verglich. Ja, wahrhaftig, sagte sie: er ist es! Wo ich auch nur meine Augen hatte! Da hat er ja auch noch die Schramme am linken Auge, die er sich vom Falle holte, als er mir eine Citronenbirne vom höchsten Baume im Garten brach. Wissen Sie noch?

Ach, was weiß ich nicht noch Alles! sagte Waldrich, und küßte seiner ehemaligen ehrwürdigen Pflegemutter die Hand und bat auch bei ihr um Verzeihung, nie seit seiner Mündigkeit zum persönlichen Besuch gekommen zu sein. Er behauptete, es sei eigentlich nicht wirkliche Undankbarkeit gewesen, denn er habe oft mit ehrfurchtvoller Erkenntlichkeit an dieses Haus zurückgedacht; noch weniger Leichtsinn und Gleichgültigkeit, -- aber er wisse selbst nicht, was ihm immer im Gemüthe

mal nach Herbesheim gekommen. — Er nahm ihre Hand und küßte dieselbe.

In dem Augenblicke trat Frau Bantes herein. Friederike eilte ihr entgegen: Wissen Sie, Mamachen, wie der Herr Commandant heißt?

Das blasse Antlitz der Frau Dantes ward von einem milden Roth überflogen. Sie sagte sanft lächelnd: Georg Waldrich.

Wie, Mamachen, Sie wußten es und verschwiegen es? sagte Friederike, die sich noch immer nicht von ihrer Ueberraschung erholen konnte und nun den hochgewachsenen, festen Kriegsmann im Heerkleide mit dem schüchternen Schulknaben der Vorzeit verglich. Ja, wahrhaftig, sagte sie: er ist es! Wo ich auch nur meine Augen hatte! Da hat er ja auch noch die Schramme am linken Auge, die er sich vom Falle holte, als er mir eine Citronenbirne vom höchsten Baume im Garten brach. Wissen Sie noch?

Ach, was weiß ich nicht noch Alles! sagte Waldrich, und küßte seiner ehemaligen ehrwürdigen Pflegemutter die Hand und bat auch bei ihr um Verzeihung, nie seit seiner Mündigkeit zum persönlichen Besuch gekommen zu sein. Er behauptete, es sei eigentlich nicht wirkliche Undankbarkeit gewesen, denn er habe oft mit ehrfurchtvoller Erkenntlichkeit an dieses Haus zurückgedacht; noch weniger Leichtsinn und Gleichgültigkeit, — aber er wisse selbst nicht, was ihm immer im Gemüthe

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[0020] mal nach Herbesheim gekommen. — Er nahm ihre Hand und küßte dieselbe. In dem Augenblicke trat Frau Bantes herein. Friederike eilte ihr entgegen: Wissen Sie, Mamachen, wie der Herr Commandant heißt? Das blasse Antlitz der Frau Dantes ward von einem milden Roth überflogen. Sie sagte sanft lächelnd: Georg Waldrich. Wie, Mamachen, Sie wußten es und verschwiegen es? sagte Friederike, die sich noch immer nicht von ihrer Ueberraschung erholen konnte und nun den hochgewachsenen, festen Kriegsmann im Heerkleide mit dem schüchternen Schulknaben der Vorzeit verglich. Ja, wahrhaftig, sagte sie: er ist es! Wo ich auch nur meine Augen hatte! Da hat er ja auch noch die Schramme am linken Auge, die er sich vom Falle holte, als er mir eine Citronenbirne vom höchsten Baume im Garten brach. Wissen Sie noch? Ach, was weiß ich nicht noch Alles! sagte Waldrich, und küßte seiner ehemaligen ehrwürdigen Pflegemutter die Hand und bat auch bei ihr um Verzeihung, nie seit seiner Mündigkeit zum persönlichen Besuch gekommen zu sein. Er behauptete, es sei eigentlich nicht wirkliche Undankbarkeit gewesen, denn er habe oft mit ehrfurchtvoller Erkenntlichkeit an dieses Haus zurückgedacht; noch weniger Leichtsinn und Gleichgültigkeit, — aber er wisse selbst nicht, was ihm immer im Gemüthe

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/20>, abgerufen am 24.04.2024.