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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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widerstanden habe, daß er nie nach Herbesheim zurückkehren mochte.

Ungefähr wohl dasselbe, erwiderte leise die Mutter, was die seligen Geister abhalten mag, sich nach dem Raupenstande ihres elenden Menschenthums zurückzusehnen. Sie waren in Herbesheim eine Waise, und als Waise, ohne Mutter und Vater, ein Fremdling. Das konnten wir Sie nie vergessen machen. Sie waren Knabe, abhängig, oft fehlbar. Es zogen Sie keine reizenden Kindheitserinnerungen an die Stadt, die mehr Ihre Schul- als Vaterstadt gewesen ist. Sobald Sie frei, Jüngling, Mann geworden sind, fühlten Sie sich aller Orten glücklicher, als Sie bei uns sein konnten.

Waldrich blickte mit einer Thräne im Auge auf die Rednerin: Ach, Sie sind noch immer die liebe, fromme, weise Mutter, wie sonst. Sie haben Recht. Es ist mir aber doch jetzt in der That heimathlicher in Herbesheim, als ich selbst erwartet habe; und ich gestehe, der Gegensatz meiner ehemaligen und jetzigen Verhältnisse mag dazu etwas beitragen. Wäre ich nur früher gekommen! Geben Sie mir in Ihrem herrlichen Herzen die Rechte des Pflegesohnes wieder.

Frau Bantes konnte auf die Frage nicht antworten, denn Herr Bantes trat rasch herein und sogleich zum Theetisch. Wie ihm Friederike erklärte, wer ihr Gast sei, stutzte er, streckte dann plötzlich die Hand gegen den Commandanten und sagte: Seien Sie mir

widerstanden habe, daß er nie nach Herbesheim zurückkehren mochte.

Ungefähr wohl dasselbe, erwiderte leise die Mutter, was die seligen Geister abhalten mag, sich nach dem Raupenstande ihres elenden Menschenthums zurückzusehnen. Sie waren in Herbesheim eine Waise, und als Waise, ohne Mutter und Vater, ein Fremdling. Das konnten wir Sie nie vergessen machen. Sie waren Knabe, abhängig, oft fehlbar. Es zogen Sie keine reizenden Kindheitserinnerungen an die Stadt, die mehr Ihre Schul- als Vaterstadt gewesen ist. Sobald Sie frei, Jüngling, Mann geworden sind, fühlten Sie sich aller Orten glücklicher, als Sie bei uns sein konnten.

Waldrich blickte mit einer Thräne im Auge auf die Rednerin: Ach, Sie sind noch immer die liebe, fromme, weise Mutter, wie sonst. Sie haben Recht. Es ist mir aber doch jetzt in der That heimathlicher in Herbesheim, als ich selbst erwartet habe; und ich gestehe, der Gegensatz meiner ehemaligen und jetzigen Verhältnisse mag dazu etwas beitragen. Wäre ich nur früher gekommen! Geben Sie mir in Ihrem herrlichen Herzen die Rechte des Pflegesohnes wieder.

Frau Bantes konnte auf die Frage nicht antworten, denn Herr Bantes trat rasch herein und sogleich zum Theetisch. Wie ihm Friederike erklärte, wer ihr Gast sei, stutzte er, streckte dann plötzlich die Hand gegen den Commandanten und sagte: Seien Sie mir

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[0021] widerstanden habe, daß er nie nach Herbesheim zurückkehren mochte. Ungefähr wohl dasselbe, erwiderte leise die Mutter, was die seligen Geister abhalten mag, sich nach dem Raupenstande ihres elenden Menschenthums zurückzusehnen. Sie waren in Herbesheim eine Waise, und als Waise, ohne Mutter und Vater, ein Fremdling. Das konnten wir Sie nie vergessen machen. Sie waren Knabe, abhängig, oft fehlbar. Es zogen Sie keine reizenden Kindheitserinnerungen an die Stadt, die mehr Ihre Schul- als Vaterstadt gewesen ist. Sobald Sie frei, Jüngling, Mann geworden sind, fühlten Sie sich aller Orten glücklicher, als Sie bei uns sein konnten. Waldrich blickte mit einer Thräne im Auge auf die Rednerin: Ach, Sie sind noch immer die liebe, fromme, weise Mutter, wie sonst. Sie haben Recht. Es ist mir aber doch jetzt in der That heimathlicher in Herbesheim, als ich selbst erwartet habe; und ich gestehe, der Gegensatz meiner ehemaligen und jetzigen Verhältnisse mag dazu etwas beitragen. Wäre ich nur früher gekommen! Geben Sie mir in Ihrem herrlichen Herzen die Rechte des Pflegesohnes wieder. Frau Bantes konnte auf die Frage nicht antworten, denn Herr Bantes trat rasch herein und sogleich zum Theetisch. Wie ihm Friederike erklärte, wer ihr Gast sei, stutzte er, streckte dann plötzlich die Hand gegen den Commandanten und sagte: Seien Sie mir

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/21>, abgerufen am 16.04.2024.