Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite
LXXIII.
Freylich manche harte Versuchung.

Und von dieser muß ich dir auch noch ein Bischen
erzählen, mein Sohn! dir zur Warnung, damit du
sehest, welch' ein entsetzlich Ding vor einen ehrlieben-
den Mann es ist: Sich in Schulden zu vertiefen,
die man nicht tilgen kann; sieben ganzer Jahre un-
ter dieser zentnerschweren Last zu seufzen; sich mit
tausend vergeblichen Wünschen zu quälen; in süssen
Träumen spanische Schlösser zu bauen, und allemal
mit Schrecken zu erwachen; eine lange lange Zeit auf
Hülfe welche nur seine Fantasie gebrütet, und zuletzt
verstohlner Weise gar auf -- eigentliche Wunder zu
hoffen. Denk' dir da den armen Erdensohn, welcher
dergestalt, todtmüde von all' dem vergebenen Dichten
und Trachten, Sinnen und Sorgen, endlich an al-
lem verzweifeln, und gewiß glauben muß: Gottes
Vorsehung selbst habe nun einmal beschlossen, den-
selben ins Koth zu treten; ihn vor aller Welt zu
Spott und Schande zu machen, und die Folgen sei-
ner Unvorsichtigkeit vor den Augen aller seiner Feinde
büssen zu lassen. Wenn denn unterweilen gar der
Gedanke in ihm aufsteigt: Gott wisse nichts von ihm,
u. d. gl. -- Da denke, denke mein Sohn! Der Ver-
führer feyert bey solchen Gelegenheiten gewiß nicht;
und mir war's oft ich fühlte seine Eingebungen,
wenn ich etwa den ganzen Tag umhergelaufen und
Menschenhülfe vergeblich gesucht hatte -- dann schwer-

LXXIII.
Freylich manche harte Verſuchung.

Und von dieſer muß ich dir auch noch ein Bischen
erzaͤhlen, mein Sohn! dir zur Warnung, damit du
ſeheſt, welch’ ein entſetzlich Ding vor einen ehrlieben-
den Mann es iſt: Sich in Schulden zu vertiefen,
die man nicht tilgen kann; ſieben ganzer Jahre un-
ter dieſer zentnerſchweren Laſt zu ſeufzen; ſich mit
tauſend vergeblichen Wuͤnſchen zu quaͤlen; in ſuͤſſen
Traͤumen ſpaniſche Schloͤſſer zu bauen, und allemal
mit Schrecken zu erwachen; eine lange lange Zeit auf
Huͤlfe welche nur ſeine Fantaſie gebruͤtet, und zuletzt
verſtohlner Weiſe gar auf — eigentliche Wunder zu
hoffen. Denk’ dir da den armen Erdenſohn, welcher
dergeſtalt, todtmuͤde von all’ dem vergebenen Dichten
und Trachten, Sinnen und Sorgen, endlich an al-
lem verzweifeln, und gewiß glauben muß: Gottes
Vorſehung ſelbſt habe nun einmal beſchloſſen, den-
ſelben ins Koth zu treten; ihn vor aller Welt zu
Spott und Schande zu machen, und die Folgen ſei-
ner Unvorſichtigkeit vor den Augen aller ſeiner Feinde
buͤſſen zu laſſen. Wenn denn unterweilen gar der
Gedanke in ihm aufſteigt: Gott wiſſe nichts von ihm,
u. d. gl. — Da denke, denke mein Sohn! Der Ver-
fuͤhrer feyert bey ſolchen Gelegenheiten gewiß nicht;
und mir war’s oft ich fuͤhlte ſeine Eingebungen,
wenn ich etwa den ganzen Tag umhergelaufen und
Menſchenhuͤlfe vergeblich geſucht hatte — dann ſchwer-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0230" n="214"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">LXXIII</hi>.</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Freylich manche harte Ver&#x017F;uchung.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">U</hi>nd von die&#x017F;er muß ich dir auch noch ein Bischen<lb/>
erza&#x0364;hlen, mein Sohn! dir zur Warnung, damit du<lb/>
&#x017F;ehe&#x017F;t, welch&#x2019; ein ent&#x017F;etzlich Ding vor einen ehrlieben-<lb/>
den Mann es i&#x017F;t: Sich in Schulden zu vertiefen,<lb/>
die man nicht tilgen kann; &#x017F;ieben ganzer Jahre un-<lb/>
ter die&#x017F;er zentner&#x017F;chweren La&#x017F;t zu &#x017F;eufzen; &#x017F;ich mit<lb/>
tau&#x017F;end vergeblichen Wu&#x0364;n&#x017F;chen zu qua&#x0364;len; in &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Tra&#x0364;umen &#x017F;pani&#x017F;che Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er zu bauen, und allemal<lb/>
mit Schrecken zu erwachen; eine lange lange Zeit auf<lb/>
Hu&#x0364;lfe welche nur &#x017F;eine Fanta&#x017F;ie gebru&#x0364;tet, und zuletzt<lb/>
ver&#x017F;tohlner Wei&#x017F;e gar auf &#x2014; eigentliche Wunder zu<lb/>
hoffen. Denk&#x2019; dir da den armen Erden&#x017F;ohn, welcher<lb/>
derge&#x017F;talt, todtmu&#x0364;de von all&#x2019; dem vergebenen Dichten<lb/>
und Trachten, Sinnen und Sorgen, endlich an al-<lb/>
lem verzweifeln, und gewiß glauben muß: Gottes<lb/>
Vor&#x017F;ehung &#x017F;elb&#x017F;t habe nun einmal be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, den-<lb/>
&#x017F;elben ins Koth zu treten; ihn vor aller Welt zu<lb/>
Spott und Schande zu machen, und die Folgen &#x017F;ei-<lb/>
ner Unvor&#x017F;ichtigkeit vor den Augen aller &#x017F;einer Feinde<lb/>
bu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en zu la&#x017F;&#x017F;en. Wenn denn unterweilen gar der<lb/>
Gedanke in ihm auf&#x017F;teigt: Gott wi&#x017F;&#x017F;e nichts von ihm,<lb/>
u. d. gl. &#x2014; Da denke, denke mein Sohn! Der Ver-<lb/>
fu&#x0364;hrer feyert bey &#x017F;olchen Gelegenheiten gewiß nicht;<lb/>
und mir war&#x2019;s oft ich fu&#x0364;hlte &#x017F;eine Eingebungen,<lb/>
wenn ich etwa den ganzen Tag umhergelaufen und<lb/>
Men&#x017F;chenhu&#x0364;lfe vergeblich ge&#x017F;ucht hatte &#x2014; dann &#x017F;chwer-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0230] LXXIII. Freylich manche harte Verſuchung. Und von dieſer muß ich dir auch noch ein Bischen erzaͤhlen, mein Sohn! dir zur Warnung, damit du ſeheſt, welch’ ein entſetzlich Ding vor einen ehrlieben- den Mann es iſt: Sich in Schulden zu vertiefen, die man nicht tilgen kann; ſieben ganzer Jahre un- ter dieſer zentnerſchweren Laſt zu ſeufzen; ſich mit tauſend vergeblichen Wuͤnſchen zu quaͤlen; in ſuͤſſen Traͤumen ſpaniſche Schloͤſſer zu bauen, und allemal mit Schrecken zu erwachen; eine lange lange Zeit auf Huͤlfe welche nur ſeine Fantaſie gebruͤtet, und zuletzt verſtohlner Weiſe gar auf — eigentliche Wunder zu hoffen. Denk’ dir da den armen Erdenſohn, welcher dergeſtalt, todtmuͤde von all’ dem vergebenen Dichten und Trachten, Sinnen und Sorgen, endlich an al- lem verzweifeln, und gewiß glauben muß: Gottes Vorſehung ſelbſt habe nun einmal beſchloſſen, den- ſelben ins Koth zu treten; ihn vor aller Welt zu Spott und Schande zu machen, und die Folgen ſei- ner Unvorſichtigkeit vor den Augen aller ſeiner Feinde buͤſſen zu laſſen. Wenn denn unterweilen gar der Gedanke in ihm aufſteigt: Gott wiſſe nichts von ihm, u. d. gl. — Da denke, denke mein Sohn! Der Ver- fuͤhrer feyert bey ſolchen Gelegenheiten gewiß nicht; und mir war’s oft ich fuͤhlte ſeine Eingebungen, wenn ich etwa den ganzen Tag umhergelaufen und Menſchenhuͤlfe vergeblich geſucht hatte — dann ſchwer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/230
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/230>, abgerufen am 29.03.2024.