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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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Hauses, in dem wir wohnen, sie haben vielleicht die Bohlen
geglättet, die Nägel geschmiedet, sind als Glaser und Klempner,
als Schlosser und Tischler thätig gewesen, haben die Wände ge-
tüncht, oder Tapeten gemalt und befestigt; Möbel und Möbelstoffe,
Teppiche und Vorhänge zeugen von ihrem Fleiß. Auf die Federn,
mit denen wir schreiben, und die Nadeln, mit denen wir nähen,
haben die trüben Blicke müder Arbeiterinnen geruht. Sie haben
mit wunden Fingern Lumpen sortiert und zu Papier verarbeiten
helfen; in nikotingeschwängerter Giftluft Zigarren gedreht, in der
Siedehitze der Zuckerraffinerien, im Phosphordunst der Zündholz-
fabriken, in der von Quecksilber erfüllten Atmosphäre der Spiegel-
belegen der Arbeit Kraft und Gesundheit geopfert. Sie graben
Torf, sie schleppen Steine, sie sind Erzgießer und Schmiede, Feilen-
hauer und Maschinenbauer. Sie binden unsere Bücher, sie falzen
unsere Zeitungen, sie sind Setzer und Drucker. Sie stehen hinter
den Ladentischen und sitzen gebückt über den Schreibpulten der
Bureaus. Sie mähen das Korn und laden es auf; als Gärtner
liefern sie uns Blumen und Früchte. Sie schmücken die Tafeln
der Reichen mit Porzellan, das sie malten, dem Silber, das sie
ciselirtcn. Und an Ketten und Armbändern, Ringen und Broschen,
mit denen glückliche Frauen auf frohen Festen strahlen, klebt der
Schweiß derer, die sie in langen Arbeitsstunden vollendeten. Frauen
sind es überall in steigender Zahl, die Post- und Telegraphen-
ämter bevölkern, und als Chemiker und Techniker, als Apotheker und
Aerzte, als Lithographen und Photographen den Männern Kon-
kurrenz machen, die als Dichter, Maler und Bildhauer die heiligen
Hallen der Kunst betreten. Ja selbst die Presse, diese Großmacht
modernen Lebens, erobern sie immer mehr: sie fangen leise an
als Journalisten und Politiker die öffentliche Meinung zu be-
einflussen.

Man sagt, ihrer Arbeit Ernte sei nur Noth und Siechthum,
sie habe ihr Schönheit und Jugend zum Opfer gebracht; die Arbeit,
die den Mann erhebt, habe sie erniedrigt. Viel Wahres ist daran:
bestaubt sind ihr Haar und ihre Kleider von endlosen Mühen, -
aber die ihres Gefährten sind es noch mehr, gekrümmt ist ihr Rücken
von der Last, die er trägt, - aber der des Mannes neben ihr ist
es nicht minder; ihre Jugend verwelkt, ehe sie recht zur Blüthe
kam, - wie lange ist ihr Genosse wohl jung gewesen?! Man
sagt - und welches weibliche Herz erbebte nicht bei diesem Ge-
danken? -, daß, wo die Frauen arbeiten ums tägliche Brot, die
Kinder verkommen an Körper, Seele und Geist. Und doch ist's
gerade um der Kinder willen, daß tausende armer Frauen arbeiten
müssen, auch wenn der höchste Lohn ihrer Arbeit ihnen nichts weiter
sichert, als ein Stück Brot für den Hunger, ein Kleid gegen den Frost.

Wo wir uns umsehen in der Welt: die Noth lehrt denken.
Noth und Arbeit haben die Frauen aus ihrer Abgeschlossenheit und

Hauses, in dem wir wohnen, sie haben vielleicht die Bohlen
geglättet, die Nägel geschmiedet, sind als Glaser und Klempner,
als Schlosser und Tischler thätig gewesen, haben die Wände ge-
tüncht, oder Tapeten gemalt und befestigt; Möbel und Möbelstoffe,
Teppiche und Vorhänge zeugen von ihrem Fleiß. Auf die Federn,
mit denen wir schreiben, und die Nadeln, mit denen wir nähen,
haben die trüben Blicke müder Arbeiterinnen geruht. Sie haben
mit wunden Fingern Lumpen sortiert und zu Papier verarbeiten
helfen; in nikotingeschwängerter Giftluft Zigarren gedreht, in der
Siedehitze der Zuckerraffinerien, im Phosphordunst der Zündholz-
fabriken, in der von Quecksilber erfüllten Atmosphäre der Spiegel-
belegen der Arbeit Kraft und Gesundheit geopfert. Sie graben
Torf, sie schleppen Steine, sie sind Erzgießer und Schmiede, Feilen-
hauer und Maschinenbauer. Sie binden unsere Bücher, sie falzen
unsere Zeitungen, sie sind Setzer und Drucker. Sie stehen hinter
den Ladentischen und sitzen gebückt über den Schreibpulten der
Bureaus. Sie mähen das Korn und laden es auf; als Gärtner
liefern sie uns Blumen und Früchte. Sie schmücken die Tafeln
der Reichen mit Porzellan, das sie malten, dem Silber, das sie
ciselirtcn. Und an Ketten und Armbändern, Ringen und Broschen,
mit denen glückliche Frauen auf frohen Festen strahlen, klebt der
Schweiß derer, die sie in langen Arbeitsstunden vollendeten. Frauen
sind es überall in steigender Zahl, die Post- und Telegraphen-
ämter bevölkern, und als Chemiker und Techniker, als Apotheker und
Aerzte, als Lithographen und Photographen den Männern Kon-
kurrenz machen, die als Dichter, Maler und Bildhauer die heiligen
Hallen der Kunst betreten. Ja selbst die Presse, diese Großmacht
modernen Lebens, erobern sie immer mehr: sie fangen leise an
als Journalisten und Politiker die öffentliche Meinung zu be-
einflussen.

Man sagt, ihrer Arbeit Ernte sei nur Noth und Siechthum,
sie habe ihr Schönheit und Jugend zum Opfer gebracht; die Arbeit,
die den Mann erhebt, habe sie erniedrigt. Viel Wahres ist daran:
bestaubt sind ihr Haar und ihre Kleider von endlosen Mühen, –
aber die ihres Gefährten sind es noch mehr, gekrümmt ist ihr Rücken
von der Last, die er trägt, – aber der des Mannes neben ihr ist
es nicht minder; ihre Jugend verwelkt, ehe sie recht zur Blüthe
kam, – wie lange ist ihr Genosse wohl jung gewesen?! Man
sagt – und welches weibliche Herz erbebte nicht bei diesem Ge-
danken? –, daß, wo die Frauen arbeiten ums tägliche Brot, die
Kinder verkommen an Körper, Seele und Geist. Und doch ist’s
gerade um der Kinder willen, daß tausende armer Frauen arbeiten
müssen, auch wenn der höchste Lohn ihrer Arbeit ihnen nichts weiter
sichert, als ein Stück Brot für den Hunger, ein Kleid gegen den Frost.

Wo wir uns umsehen in der Welt: die Noth lehrt denken.
Noth und Arbeit haben die Frauen aus ihrer Abgeschlossenheit und

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[11/0010] Hauses, in dem wir wohnen, sie haben vielleicht die Bohlen geglättet, die Nägel geschmiedet, sind als Glaser und Klempner, als Schlosser und Tischler thätig gewesen, haben die Wände ge- tüncht, oder Tapeten gemalt und befestigt; Möbel und Möbelstoffe, Teppiche und Vorhänge zeugen von ihrem Fleiß. Auf die Federn, mit denen wir schreiben, und die Nadeln, mit denen wir nähen, haben die trüben Blicke müder Arbeiterinnen geruht. Sie haben mit wunden Fingern Lumpen sortiert und zu Papier verarbeiten helfen; in nikotingeschwängerter Giftluft Zigarren gedreht, in der Siedehitze der Zuckerraffinerien, im Phosphordunst der Zündholz- fabriken, in der von Quecksilber erfüllten Atmosphäre der Spiegel- belegen der Arbeit Kraft und Gesundheit geopfert. Sie graben Torf, sie schleppen Steine, sie sind Erzgießer und Schmiede, Feilen- hauer und Maschinenbauer. Sie binden unsere Bücher, sie falzen unsere Zeitungen, sie sind Setzer und Drucker. Sie stehen hinter den Ladentischen und sitzen gebückt über den Schreibpulten der Bureaus. Sie mähen das Korn und laden es auf; als Gärtner liefern sie uns Blumen und Früchte. Sie schmücken die Tafeln der Reichen mit Porzellan, das sie malten, dem Silber, das sie ciselirtcn. Und an Ketten und Armbändern, Ringen und Broschen, mit denen glückliche Frauen auf frohen Festen strahlen, klebt der Schweiß derer, die sie in langen Arbeitsstunden vollendeten. Frauen sind es überall in steigender Zahl, die Post- und Telegraphen- ämter bevölkern, und als Chemiker und Techniker, als Apotheker und Aerzte, als Lithographen und Photographen den Männern Kon- kurrenz machen, die als Dichter, Maler und Bildhauer die heiligen Hallen der Kunst betreten. Ja selbst die Presse, diese Großmacht modernen Lebens, erobern sie immer mehr: sie fangen leise an als Journalisten und Politiker die öffentliche Meinung zu be- einflussen. Man sagt, ihrer Arbeit Ernte sei nur Noth und Siechthum, sie habe ihr Schönheit und Jugend zum Opfer gebracht; die Arbeit, die den Mann erhebt, habe sie erniedrigt. Viel Wahres ist daran: bestaubt sind ihr Haar und ihre Kleider von endlosen Mühen, – aber die ihres Gefährten sind es noch mehr, gekrümmt ist ihr Rücken von der Last, die er trägt, – aber der des Mannes neben ihr ist es nicht minder; ihre Jugend verwelkt, ehe sie recht zur Blüthe kam, – wie lange ist ihr Genosse wohl jung gewesen?! Man sagt – und welches weibliche Herz erbebte nicht bei diesem Ge- danken? –, daß, wo die Frauen arbeiten ums tägliche Brot, die Kinder verkommen an Körper, Seele und Geist. Und doch ist’s gerade um der Kinder willen, daß tausende armer Frauen arbeiten müssen, auch wenn der höchste Lohn ihrer Arbeit ihnen nichts weiter sichert, als ein Stück Brot für den Hunger, ein Kleid gegen den Frost. Wo wir uns umsehen in der Welt: die Noth lehrt denken. Noth und Arbeit haben die Frauen aus ihrer Abgeschlossenheit und  

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/10>, abgerufen am 19.04.2024.