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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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wo es sich um Arbeiterinteressen handelt, besonders drastisch hervor-
treten. So sucht es schon seit Jahren - vor allem zu Zeiten der
Reichstagswahlen - seine Arbeiterfreundlichkeit durch die Forderung
eines Maximal-Arbeitstages, früher von elf, jetzt sogar von zehn
Stunden zu beweisen, und manch ein armer Proletarier mag ihm
deshalb vertrauensselig schon seine Stimme gegeben haben; sobald
die Frage aber ernsthaft diskutirt werden soll, zog es sich - wie
im Jahre 1897 - auf das bescheidene Verlangen nach einem
hygienischen Maximal-Arbeitstag zurück, d. h. es sollte dem Bundes-
rath überlassen bleiben, die Länge der Arbeitszeit überall da fest-
zusetzen, wo gesundheitliche Schädigungen zu befürchten sind, oder
es ging sogar so weit, wie im Jahre 1900, wo es den katholischen
Textilarbeiter-Vereinen, also ihren eigenen Anhängern, die um den
zehnstündigen Arbeitstag petitionirten, seine Unterstützung versagte.
Und weiter: Mit scheinbar lebhaftem Eifer befürwortete das Zentrum
die Arbeiterversicherung, ja es tritt für seine Erweiterung ein, -
im Jahre 1897 aber beantragte es, in Rücksicht auf seine agrarischen
Genossen, die Beschränkung der Jnvalidenversicherung auf die Groß-
industrie. Bei der Kommissionsberathung des Bürgerlichen Gesetz-
buches stimmte es für die Aufhebung der Gesinde-Ordnungen, - im
Plenum des Reichstages aber, wo es darauf ankam, stimmte es
dagegen. Als im Jahre 1900 die lex Heinze, jenes Gesetz, durch
das die Regierung die Sittlichkeit schützen wollte, das aber that-
sächlich eine Knebelung von Kunst und Literatur bedeutet haben
würde, zur Berathung stand, suchte das Zentrum, als Hauptwächter
von Moral und Frauentugend, es den Arbeitern dadurch schmackhaft
zu machen, daß es einen Paragraphen einfügte, wonach unzüchtige
Handlungen oder Anträge seitens der Unternehmer den Angestellten
gegenüber unter strenge Strafe gestellt und das Schutzalter der
Mädchen auf 18 Jahre erhöht werden sollte, - kaum aber kam es
zur dritten, entscheidenden Lesung des Gesetzentwurfes, als es
skrupellos seine eigenen Forderungen preisgab! Jn beweglichen
Worten suchte es vor nicht allzu langer Zeit noch den mageren
Beutel des armen Mannes vor den Militär- und Marineforderungen
zu schützen, - um nur wenig später im Bewilligungseifer gegen-
über den Millionenforderungen der Regierung jede andere Partei
zu übertreffen. Angesichts des Zolltarifs verschwor es sich hoch und
theuer, ihm seine Zustimmung nicht geben zu können, - und schließ-
lich stimmte es, der "Arbeiterfreund", für diesen Raubzug der Be-
sitzenden gegen die Besitzlosen!

All diese Thatsachen beweisen schon, daß die Frauen keine Ver-
anlassung haben dürften, das Zentrum als ihre Jnteressenvertretung
anzusehen. Trotzdem hat es für sehr Viele, - und nicht nur für
Einsichtslose, - eine starke Anziehungskraft. Sie beruht in erster
Linie in der Betonung der Religiosität, in der Macht des Beicht-
stuhls, aber außerdem auch in der Stellungnahme des Zentrums

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wo es sich um Arbeiterinteressen handelt, besonders drastisch hervor-
treten. So sucht es schon seit Jahren – vor allem zu Zeiten der
Reichstagswahlen – seine Arbeiterfreundlichkeit durch die Forderung
eines Maximal-Arbeitstages, früher von elf, jetzt sogar von zehn
Stunden zu beweisen, und manch ein armer Proletarier mag ihm
deshalb vertrauensselig schon seine Stimme gegeben haben; sobald
die Frage aber ernsthaft diskutirt werden soll, zog es sich – wie
im Jahre 1897 – auf das bescheidene Verlangen nach einem
hygienischen Maximal-Arbeitstag zurück, d. h. es sollte dem Bundes-
rath überlassen bleiben, die Länge der Arbeitszeit überall da fest-
zusetzen, wo gesundheitliche Schädigungen zu befürchten sind, oder
es ging sogar so weit, wie im Jahre 1900, wo es den katholischen
Textilarbeiter-Vereinen, also ihren eigenen Anhängern, die um den
zehnstündigen Arbeitstag petitionirten, seine Unterstützung versagte.
Und weiter: Mit scheinbar lebhaftem Eifer befürwortete das Zentrum
die Arbeiterversicherung, ja es tritt für seine Erweiterung ein, –
im Jahre 1897 aber beantragte es, in Rücksicht auf seine agrarischen
Genossen, die Beschränkung der Jnvalidenversicherung auf die Groß-
industrie. Bei der Kommissionsberathung des Bürgerlichen Gesetz-
buches stimmte es für die Aufhebung der Gesinde-Ordnungen, – im
Plenum des Reichstages aber, wo es darauf ankam, stimmte es
dagegen. Als im Jahre 1900 die lex Heinze, jenes Gesetz, durch
das die Regierung die Sittlichkeit schützen wollte, das aber that-
sächlich eine Knebelung von Kunst und Literatur bedeutet haben
würde, zur Berathung stand, suchte das Zentrum, als Hauptwächter
von Moral und Frauentugend, es den Arbeitern dadurch schmackhaft
zu machen, daß es einen Paragraphen einfügte, wonach unzüchtige
Handlungen oder Anträge seitens der Unternehmer den Angestellten
gegenüber unter strenge Strafe gestellt und das Schutzalter der
Mädchen auf 18 Jahre erhöht werden sollte, – kaum aber kam es
zur dritten, entscheidenden Lesung des Gesetzentwurfes, als es
skrupellos seine eigenen Forderungen preisgab! Jn beweglichen
Worten suchte es vor nicht allzu langer Zeit noch den mageren
Beutel des armen Mannes vor den Militär- und Marineforderungen
zu schützen, – um nur wenig später im Bewilligungseifer gegen-
über den Millionenforderungen der Regierung jede andere Partei
zu übertreffen. Angesichts des Zolltarifs verschwor es sich hoch und
theuer, ihm seine Zustimmung nicht geben zu können, – und schließ-
lich stimmte es, der „Arbeiterfreund“, für diesen Raubzug der Be-
sitzenden gegen die Besitzlosen!

All diese Thatsachen beweisen schon, daß die Frauen keine Ver-
anlassung haben dürften, das Zentrum als ihre Jnteressenvertretung
anzusehen. Trotzdem hat es für sehr Viele, – und nicht nur für
Einsichtslose, – eine starke Anziehungskraft. Sie beruht in erster
Linie in der Betonung der Religiosität, in der Macht des Beicht-
stuhls, aber außerdem auch in der Stellungnahme des Zentrums

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[33/0032] wo es sich um Arbeiterinteressen handelt, besonders drastisch hervor- treten. So sucht es schon seit Jahren – vor allem zu Zeiten der Reichstagswahlen – seine Arbeiterfreundlichkeit durch die Forderung eines Maximal-Arbeitstages, früher von elf, jetzt sogar von zehn Stunden zu beweisen, und manch ein armer Proletarier mag ihm deshalb vertrauensselig schon seine Stimme gegeben haben; sobald die Frage aber ernsthaft diskutirt werden soll, zog es sich – wie im Jahre 1897 – auf das bescheidene Verlangen nach einem hygienischen Maximal-Arbeitstag zurück, d. h. es sollte dem Bundes- rath überlassen bleiben, die Länge der Arbeitszeit überall da fest- zusetzen, wo gesundheitliche Schädigungen zu befürchten sind, oder es ging sogar so weit, wie im Jahre 1900, wo es den katholischen Textilarbeiter-Vereinen, also ihren eigenen Anhängern, die um den zehnstündigen Arbeitstag petitionirten, seine Unterstützung versagte. Und weiter: Mit scheinbar lebhaftem Eifer befürwortete das Zentrum die Arbeiterversicherung, ja es tritt für seine Erweiterung ein, – im Jahre 1897 aber beantragte es, in Rücksicht auf seine agrarischen Genossen, die Beschränkung der Jnvalidenversicherung auf die Groß- industrie. Bei der Kommissionsberathung des Bürgerlichen Gesetz- buches stimmte es für die Aufhebung der Gesinde-Ordnungen, – im Plenum des Reichstages aber, wo es darauf ankam, stimmte es dagegen. Als im Jahre 1900 die lex Heinze, jenes Gesetz, durch das die Regierung die Sittlichkeit schützen wollte, das aber that- sächlich eine Knebelung von Kunst und Literatur bedeutet haben würde, zur Berathung stand, suchte das Zentrum, als Hauptwächter von Moral und Frauentugend, es den Arbeitern dadurch schmackhaft zu machen, daß es einen Paragraphen einfügte, wonach unzüchtige Handlungen oder Anträge seitens der Unternehmer den Angestellten gegenüber unter strenge Strafe gestellt und das Schutzalter der Mädchen auf 18 Jahre erhöht werden sollte, – kaum aber kam es zur dritten, entscheidenden Lesung des Gesetzentwurfes, als es skrupellos seine eigenen Forderungen preisgab! Jn beweglichen Worten suchte es vor nicht allzu langer Zeit noch den mageren Beutel des armen Mannes vor den Militär- und Marineforderungen zu schützen, – um nur wenig später im Bewilligungseifer gegen- über den Millionenforderungen der Regierung jede andere Partei zu übertreffen. Angesichts des Zolltarifs verschwor es sich hoch und theuer, ihm seine Zustimmung nicht geben zu können, – und schließ- lich stimmte es, der „Arbeiterfreund“, für diesen Raubzug der Be- sitzenden gegen die Besitzlosen! All diese Thatsachen beweisen schon, daß die Frauen keine Ver- anlassung haben dürften, das Zentrum als ihre Jnteressenvertretung anzusehen. Trotzdem hat es für sehr Viele, – und nicht nur für Einsichtslose, – eine starke Anziehungskraft. Sie beruht in erster Linie in der Betonung der Religiosität, in der Macht des Beicht- stuhls, aber außerdem auch in der Stellungnahme des Zentrums 3

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/32>, abgerufen am 19.04.2024.