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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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blatt, hier und da ein Buch, das die Zeitung empfiehlt, müssen ihre
Stelle einnehmen.

Durch all das erfüllt sie aber erst einen Theil ihrer politischen
Pflichten, die gegen sich selbst. Noch viele bleiben ihr zu erfüllen: die
ihrem Mann, ihren Kindern, ihren Freunden, ihrer Partei, der
Allgemeinheit gegenüber.

Viele Frauen, und nicht die schlechtesten, jammern über jeden
Groschen, den der Mann von seinem Lohn nicht nach Hause bringt.
Begreiflich genug, ist doch so wie so schon Schmalhans Küchenmeister.
Oder sie beklagen sich über die langen Abende, die er fern von ihnen
zubringt, ist doch die Zeit, die er Frau und Kindern widmen kann, doch
so wie so schon so knapp! Und doch gilts auch hier: Thränen und
Kummer tapfer verbeißen, wenn der Mann in den Reihen des
kämpfenden Arbeiterheeres steht. Ja, noch mehr: es gilt, ob auch
das Herz sich dabei schmerzhaft zusammenkrampft, ihn hinaustreiben,
wenn er nicht selbst geht. Manch Einer hat an der Seite einer eng-
herzigen, unverständigen Frau, in der warmen Ofenecke bei seinen
schmeichelnden Kindern, die Aufgabe vergessen und verleugnet, und
seine Kollegen draußen im Stich gelassen; manch Einer ist sich aber
auch, getrieben durch sein tapferes Weib, erst seiner Pflichten bewußt
geworden und hat den Weg zu den Genossen gefunden! "Bleib' hier
um Deiner Kinder Willen!" sagt die unaufgeklärte Frau, "Kauf ihnen
ein Stück Brod, spiele mit ihnen, erziehe sie, wenn Du Geld und Zeit
übrig hast!" - "Geh' fort, um Deiner Kinder willen!" mahnt die
überzeugte Sozialistin, "Erkämpfe ihnen eine bessere Zukunft!"
Dann wird er auch bei ihr nicht nur flüchtige Liebesstunden, sondern
dauernde Freundschaft finden.

Hunger und Liebe, so sagt man, bewegt die Welt, und man ver-
steht darunter die Liebe zwischen Manu und Weib, die seit urältester
Zeit Kriege entzündet, Verbrechen begangen, Heldenthaten vollbracht,
unsterbliche Werke geschaffen hat. Mit dem Augenblick aber, da die
Frau in das öffentliche Leben trat, wurde noch ein anderes Gefühl
zur weltbewegenden Macht: die Mutterliebe. Von jenem thierischen
Jnstinkte an, der nur das zarte Kindesalter behütete, bis zu der
vorausschauenden das ganze Leben umfassenden Liebe, die in dem
Kinde schon den Mann achtet, hat sie große Wandlungen durchgemacht.
Und nirgends entwickelt sie sich stärker als dort, wo das Weib mitten
im Kampf ums Dasein steht, wo es durch eigene Erfahrung Noth und
Elend kennen lernte. Kein Thier ist so todesmuthig, als die Löwin,
die ihr Junges vertheidigt, kein Mensch so unerschrocken, so treu und
hingebungsvoll, als die Mutter, die für das Glück ihres Kindes kämpft.
Jst sie aufgeklärt, weiß sie, worauf es ankommt, um die ganze Mensch-
heit vom Elend zu befreien, so wird sie keine Pflicht stärker empfinden
als die, im politischen Kampf der Arbeiterklasse ihren Platz aus-
zufüllen, und ihre Kinder zu ihren Nachfolgern zu erziehen. Jeder
Blick in das bleiche Gesichtchen ihres Lieblings, jede jammernde Bitte

blatt, hier und da ein Buch, das die Zeitung empfiehlt, müssen ihre
Stelle einnehmen.

Durch all das erfüllt sie aber erst einen Theil ihrer politischen
Pflichten, die gegen sich selbst. Noch viele bleiben ihr zu erfüllen: die
ihrem Mann, ihren Kindern, ihren Freunden, ihrer Partei, der
Allgemeinheit gegenüber.

Viele Frauen, und nicht die schlechtesten, jammern über jeden
Groschen, den der Mann von seinem Lohn nicht nach Hause bringt.
Begreiflich genug, ist doch so wie so schon Schmalhans Küchenmeister.
Oder sie beklagen sich über die langen Abende, die er fern von ihnen
zubringt, ist doch die Zeit, die er Frau und Kindern widmen kann, doch
so wie so schon so knapp! Und doch gilts auch hier: Thränen und
Kummer tapfer verbeißen, wenn der Mann in den Reihen des
kämpfenden Arbeiterheeres steht. Ja, noch mehr: es gilt, ob auch
das Herz sich dabei schmerzhaft zusammenkrampft, ihn hinaustreiben,
wenn er nicht selbst geht. Manch Einer hat an der Seite einer eng-
herzigen, unverständigen Frau, in der warmen Ofenecke bei seinen
schmeichelnden Kindern, die Aufgabe vergessen und verleugnet, und
seine Kollegen draußen im Stich gelassen; manch Einer ist sich aber
auch, getrieben durch sein tapferes Weib, erst seiner Pflichten bewußt
geworden und hat den Weg zu den Genossen gefunden! „Bleib' hier
um Deiner Kinder Willen!“ sagt die unaufgeklärte Frau, „Kauf ihnen
ein Stück Brod, spiele mit ihnen, erziehe sie, wenn Du Geld und Zeit
übrig hast!“ – „Geh' fort, um Deiner Kinder willen!“ mahnt die
überzeugte Sozialistin, „Erkämpfe ihnen eine bessere Zukunft!“
Dann wird er auch bei ihr nicht nur flüchtige Liebesstunden, sondern
dauernde Freundschaft finden.

Hunger und Liebe, so sagt man, bewegt die Welt, und man ver-
steht darunter die Liebe zwischen Manu und Weib, die seit urältester
Zeit Kriege entzündet, Verbrechen begangen, Heldenthaten vollbracht,
unsterbliche Werke geschaffen hat. Mit dem Augenblick aber, da die
Frau in das öffentliche Leben trat, wurde noch ein anderes Gefühl
zur weltbewegenden Macht: die Mutterliebe. Von jenem thierischen
Jnstinkte an, der nur das zarte Kindesalter behütete, bis zu der
vorausschauenden das ganze Leben umfassenden Liebe, die in dem
Kinde schon den Mann achtet, hat sie große Wandlungen durchgemacht.
Und nirgends entwickelt sie sich stärker als dort, wo das Weib mitten
im Kampf ums Dasein steht, wo es durch eigene Erfahrung Noth und
Elend kennen lernte. Kein Thier ist so todesmuthig, als die Löwin,
die ihr Junges vertheidigt, kein Mensch so unerschrocken, so treu und
hingebungsvoll, als die Mutter, die für das Glück ihres Kindes kämpft.
Jst sie aufgeklärt, weiß sie, worauf es ankommt, um die ganze Mensch-
heit vom Elend zu befreien, so wird sie keine Pflicht stärker empfinden
als die, im politischen Kampf der Arbeiterklasse ihren Platz aus-
zufüllen, und ihre Kinder zu ihren Nachfolgern zu erziehen. Jeder
Blick in das bleiche Gesichtchen ihres Lieblings, jede jammernde Bitte

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[44/0043] blatt, hier und da ein Buch, das die Zeitung empfiehlt, müssen ihre Stelle einnehmen. Durch all das erfüllt sie aber erst einen Theil ihrer politischen Pflichten, die gegen sich selbst. Noch viele bleiben ihr zu erfüllen: die ihrem Mann, ihren Kindern, ihren Freunden, ihrer Partei, der Allgemeinheit gegenüber. Viele Frauen, und nicht die schlechtesten, jammern über jeden Groschen, den der Mann von seinem Lohn nicht nach Hause bringt. Begreiflich genug, ist doch so wie so schon Schmalhans Küchenmeister. Oder sie beklagen sich über die langen Abende, die er fern von ihnen zubringt, ist doch die Zeit, die er Frau und Kindern widmen kann, doch so wie so schon so knapp! Und doch gilts auch hier: Thränen und Kummer tapfer verbeißen, wenn der Mann in den Reihen des kämpfenden Arbeiterheeres steht. Ja, noch mehr: es gilt, ob auch das Herz sich dabei schmerzhaft zusammenkrampft, ihn hinaustreiben, wenn er nicht selbst geht. Manch Einer hat an der Seite einer eng- herzigen, unverständigen Frau, in der warmen Ofenecke bei seinen schmeichelnden Kindern, die Aufgabe vergessen und verleugnet, und seine Kollegen draußen im Stich gelassen; manch Einer ist sich aber auch, getrieben durch sein tapferes Weib, erst seiner Pflichten bewußt geworden und hat den Weg zu den Genossen gefunden! „Bleib' hier um Deiner Kinder Willen!“ sagt die unaufgeklärte Frau, „Kauf ihnen ein Stück Brod, spiele mit ihnen, erziehe sie, wenn Du Geld und Zeit übrig hast!“ – „Geh' fort, um Deiner Kinder willen!“ mahnt die überzeugte Sozialistin, „Erkämpfe ihnen eine bessere Zukunft!“ Dann wird er auch bei ihr nicht nur flüchtige Liebesstunden, sondern dauernde Freundschaft finden. Hunger und Liebe, so sagt man, bewegt die Welt, und man ver- steht darunter die Liebe zwischen Manu und Weib, die seit urältester Zeit Kriege entzündet, Verbrechen begangen, Heldenthaten vollbracht, unsterbliche Werke geschaffen hat. Mit dem Augenblick aber, da die Frau in das öffentliche Leben trat, wurde noch ein anderes Gefühl zur weltbewegenden Macht: die Mutterliebe. Von jenem thierischen Jnstinkte an, der nur das zarte Kindesalter behütete, bis zu der vorausschauenden das ganze Leben umfassenden Liebe, die in dem Kinde schon den Mann achtet, hat sie große Wandlungen durchgemacht. Und nirgends entwickelt sie sich stärker als dort, wo das Weib mitten im Kampf ums Dasein steht, wo es durch eigene Erfahrung Noth und Elend kennen lernte. Kein Thier ist so todesmuthig, als die Löwin, die ihr Junges vertheidigt, kein Mensch so unerschrocken, so treu und hingebungsvoll, als die Mutter, die für das Glück ihres Kindes kämpft. Jst sie aufgeklärt, weiß sie, worauf es ankommt, um die ganze Mensch- heit vom Elend zu befreien, so wird sie keine Pflicht stärker empfinden als die, im politischen Kampf der Arbeiterklasse ihren Platz aus- zufüllen, und ihre Kinder zu ihren Nachfolgern zu erziehen. Jeder Blick in das bleiche Gesichtchen ihres Lieblings, jede jammernde Bitte

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/43>, abgerufen am 19.04.2024.