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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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er begnügt sich nicht mehr mit dem Brosamen, die von des Herrn
Tische fallen. Aber um zu den Schätzen zu gelangen, die die Mensch-
heit aufspeicherte in jahrtausendelangem Fleiß, bedarf es eines
goldenen Zauberstabes. Ach, selbst die freie Natur, der Wald und
die Wiese, die Berge und das Meer hat die Geldgier der Menschen
mit Mauern und Zäunen umgeben, die sich nur denen öffnen, die
mit blanker Münze zahlen. Der Lohn des Arbeiters aber reicht im
besten Falle aus, um seinen und seiner Familie physischen Hunger
zu stillen. Jst er übermüthig genug, sich höher einzuschätzen, als die
todte Maschine, die zur Erhaltung ihrer Arbeitskraft nicht mehr
verlangt, als daß man ihr täglich den Bauch füllt; will die Arbeiterin
mit ihren Kindern so "hoch hinaus", daß sie reicher werden sollen
an Verständniß für höhere Lebensfreuden, reicher an geistigem Besitz,
so muß sie durch ihrer Hände Arbeit die Mittel dafür schaffen.

Es giebt nun eine Menge Leute, die zwar anerkennen, daß
die Frauenarbeit sich unter dem Druck der Verhältnisse so rasch
habe ausbreiten müssen, die aber meinen, daß sie jetzt auf dem
Höhepunkt ihrer Entwickelung angelangt sei, und daß, wenn nicht
die Erwerbsthätigkeit der Frauen überhaupt, so doch wenigstens der
Eintritt der Ehefrauen in den Kampf ums Dasein abnehmen müsse.
Wer das behauptet, kann sich auf keine anderen Gründe stützen, als
auf fromme Wünsche, denn so lange die Ursachen der Frauen-
arbeit nicht beseitigt sind, wird sie selbst nicht verschwinden können.
Alle ihre Ursachen aber wirken heute noch fort. Die Entwickelungs-
möglichkeit der Technik ist eine unbegrenzte. Denken wir nur daran,
wie z. B. das ehrsame Schuhmacherhandwerk mehr und mehr von
der Schuhfabrik verdrängt wird, deren kunstvolle Maschinen es er
möglichen, schwache Frauen in Menge anzustellen, oder wie der männ-
liche Zuschneider, dessen kräftiger Hand die Scheere bisher an-
vertraut war, in dem Augenblick von einer Frau ersetzt werden kann,
wo die Zuschneidemaschine eingeführt ist und ein Hebeldruck genügt,
so und so viel Stück auf einmal zuzuschneiden. Jns Unendliche
ließen sich diese Beispiele vermehren. Aber auch der Unternehmer
bedarf der Frauen und bedarf ihrer um so mehr in Zeiten wirth-
schaftlichen Aufschwunges und in solchen Betrieben, die nur zeitweise
im Jahr besonders intensive Arbeit zu leisten haben. Dann bilden
die zur Verfügung stehenden weiblichen Arbeitskräfte die große, un-
erschöpfliche Reservearmee, aus der er seinen Bedarf immer zu
decken vermag.

Vor allem ist es nichts als leere Träumerei, zu glauben, daß
die Noth, die Hauptursache der Frauenarbeit, abnehmen könnte.
So gewiß es ist, daß von einem Elend nicht mehr die Rede sein
kann, wie es um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in den
englischen Fabrikdistrikten verbreitet war, - die herrschenden Klassen
haben seitdem gelernt, daß Leben und Gesundheit der Arbeiter
wenigstens bis zu einer gewissen Grenze geschützt werden müssen,

er begnügt sich nicht mehr mit dem Brosamen, die von des Herrn
Tische fallen. Aber um zu den Schätzen zu gelangen, die die Mensch-
heit aufspeicherte in jahrtausendelangem Fleiß, bedarf es eines
goldenen Zauberstabes. Ach, selbst die freie Natur, der Wald und
die Wiese, die Berge und das Meer hat die Geldgier der Menschen
mit Mauern und Zäunen umgeben, die sich nur denen öffnen, die
mit blanker Münze zahlen. Der Lohn des Arbeiters aber reicht im
besten Falle aus, um seinen und seiner Familie physischen Hunger
zu stillen. Jst er übermüthig genug, sich höher einzuschätzen, als die
todte Maschine, die zur Erhaltung ihrer Arbeitskraft nicht mehr
verlangt, als daß man ihr täglich den Bauch füllt; will die Arbeiterin
mit ihren Kindern so „hoch hinaus“, daß sie reicher werden sollen
an Verständniß für höhere Lebensfreuden, reicher an geistigem Besitz,
so muß sie durch ihrer Hände Arbeit die Mittel dafür schaffen.

Es giebt nun eine Menge Leute, die zwar anerkennen, daß
die Frauenarbeit sich unter dem Druck der Verhältnisse so rasch
habe ausbreiten müssen, die aber meinen, daß sie jetzt auf dem
Höhepunkt ihrer Entwickelung angelangt sei, und daß, wenn nicht
die Erwerbsthätigkeit der Frauen überhaupt, so doch wenigstens der
Eintritt der Ehefrauen in den Kampf ums Dasein abnehmen müsse.
Wer das behauptet, kann sich auf keine anderen Gründe stützen, als
auf fromme Wünsche, denn so lange die Ursachen der Frauen-
arbeit nicht beseitigt sind, wird sie selbst nicht verschwinden können.
Alle ihre Ursachen aber wirken heute noch fort. Die Entwickelungs-
möglichkeit der Technik ist eine unbegrenzte. Denken wir nur daran,
wie z. B. das ehrsame Schuhmacherhandwerk mehr und mehr von
der Schuhfabrik verdrängt wird, deren kunstvolle Maschinen es er
möglichen, schwache Frauen in Menge anzustellen, oder wie der männ-
liche Zuschneider, dessen kräftiger Hand die Scheere bisher an-
vertraut war, in dem Augenblick von einer Frau ersetzt werden kann,
wo die Zuschneidemaschine eingeführt ist und ein Hebeldruck genügt,
so und so viel Stück auf einmal zuzuschneiden. Jns Unendliche
ließen sich diese Beispiele vermehren. Aber auch der Unternehmer
bedarf der Frauen und bedarf ihrer um so mehr in Zeiten wirth-
schaftlichen Aufschwunges und in solchen Betrieben, die nur zeitweise
im Jahr besonders intensive Arbeit zu leisten haben. Dann bilden
die zur Verfügung stehenden weiblichen Arbeitskräfte die große, un-
erschöpfliche Reservearmee, aus der er seinen Bedarf immer zu
decken vermag.

Vor allem ist es nichts als leere Träumerei, zu glauben, daß
die Noth, die Hauptursache der Frauenarbeit, abnehmen könnte.
So gewiß es ist, daß von einem Elend nicht mehr die Rede sein
kann, wie es um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in den
englischen Fabrikdistrikten verbreitet war, – die herrschenden Klassen
haben seitdem gelernt, daß Leben und Gesundheit der Arbeiter
wenigstens bis zu einer gewissen Grenze geschützt werden müssen,

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/6>, abgerufen am 18.04.2024.