Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

zwei Mäuschen aus der Pudelmütze wieder heraus und un¬
terhielten sich miteinander. Die eine sprach: "Ach Sissi,
meine geliebte Braut, da hast du es nun selbst erlebt, was
dabei herauskömmt, wenn man des Nachts so lange im
Mondschein spazieren geht, habe ich dich nicht gewarnt?" --
Da antwortete Sissi: "O Pfiffi, mein werther Bräutigam,
mache mir keine Vorwürfe, ich zittere noch am ganzen Leibe
vor der schrecklichen Katze, und wenn sich ein Blatt regt,
fahre ich zusammen, und meine, ich sehe ihre feurigen Au¬
gen." -- Da sagte Pfiffi wieder: "Du brauchst dich nicht
weiter zu ängstigen, der gute Mann hier hat der Katze einen
so großen Stein nachgeworfen, daß sie vor Angst schier in
den Springbrunnen gesprungen ist." -- "Ach!" erwiederte
Sissi, "ich fürchte mich nur auf unsre weite Reise, wir müs¬
sen wohl noch acht Tage laufen, bis wir zu deinem königli¬
chen Herrn Vater kommen, und da jetzt einmal eine Katze
uns ausgekundschaftet hat, werden diese Freilaurer an allen
Ecken auf uns lauern." -- Da versetzte Pfiffi: "wenn nur
eine Brücke über das Flüßchen führte, das eine halbe Tag¬
reise von hier durch den Wald fließt, so wären wir bald zu
Haus; aber nun müssen wir die Quelle umgehen." -- Als
sie so sprachen, hörten sie eine Eule draus schreien und kro¬
chen bang tiefer in die Mütze. -- "Auch noch eine Eule," flü¬
sterte Sissi, "o wäre ich doch nie aus der Residenz meiner
Mutter gewichen," und nun weinte sie bitterlich. -- Der Mäu¬
sebräutigam war hierüber sehr traurig, und überlegte her
und hin, wie er seine Braut ermuthigen und vor Gefahren
schützen solle. -- Endlich sprach er: "geliebte Sissi, mir
fällt etwas ein; der gute Mann, der uns in seine Mütze ge¬
bettet hat, würde uns vielleicht sicher nach Hause helfen,
wenn er unsere Noth nur wüßte. Lasse uns leise an seine
Ohren kriechen und ihm recht flehentlich unsere Sorgen vor¬
stellen; ich will zuerst mit ihm sprechen, hilft das nicht,
dann rede du in deinen süßesten Tönen zu ihm, wer kann

zwei Maͤuschen aus der Pudelmuͤtze wieder heraus und un¬
terhielten ſich miteinander. Die eine ſprach: „Ach Siſſi,
meine geliebte Braut, da haſt du es nun ſelbſt erlebt, was
dabei herauskoͤmmt, wenn man des Nachts ſo lange im
Mondſchein ſpazieren geht, habe ich dich nicht gewarnt?“ —
Da antwortete Siſſi: „O Pfiffi, mein werther Braͤutigam,
mache mir keine Vorwuͤrfe, ich zittere noch am ganzen Leibe
vor der ſchrecklichen Katze, und wenn ſich ein Blatt regt,
fahre ich zuſammen, und meine, ich ſehe ihre feurigen Au¬
gen.“ — Da ſagte Pfiffi wieder: „Du brauchſt dich nicht
weiter zu aͤngſtigen, der gute Mann hier hat der Katze einen
ſo großen Stein nachgeworfen, daß ſie vor Angſt ſchier in
den Springbrunnen geſprungen iſt.“ — „Ach!“ erwiederte
Siſſi, „ich fuͤrchte mich nur auf unſre weite Reiſe, wir muͤſ¬
ſen wohl noch acht Tage laufen, bis wir zu deinem koͤnigli¬
chen Herrn Vater kommen, und da jetzt einmal eine Katze
uns ausgekundſchaftet hat, werden dieſe Freilaurer an allen
Ecken auf uns lauern.“ — Da verſetzte Pfiffi: „wenn nur
eine Bruͤcke uͤber das Fluͤßchen fuͤhrte, das eine halbe Tag¬
reiſe von hier durch den Wald fließt, ſo waͤren wir bald zu
Haus; aber nun muͤſſen wir die Quelle umgehen.“ — Als
ſie ſo ſprachen, hoͤrten ſie eine Eule draus ſchreien und kro¬
chen bang tiefer in die Muͤtze. — „Auch noch eine Eule,“ fluͤ¬
ſterte Siſſi, „o waͤre ich doch nie aus der Reſidenz meiner
Mutter gewichen,“ und nun weinte ſie bitterlich. — Der Maͤu¬
ſebraͤutigam war hieruͤber ſehr traurig, und uͤberlegte her
und hin, wie er ſeine Braut ermuthigen und vor Gefahren
ſchuͤtzen ſolle. — Endlich ſprach er: „geliebte Siſſi, mir
faͤllt etwas ein; der gute Mann, der uns in ſeine Muͤtze ge¬
bettet hat, wuͤrde uns vielleicht ſicher nach Hauſe helfen,
wenn er unſere Noth nur wuͤßte. Laſſe uns leiſe an ſeine
Ohren kriechen und ihm recht flehentlich unſere Sorgen vor¬
ſtellen; ich will zuerſt mit ihm ſprechen, hilft das nicht,
dann rede du in deinen ſuͤßeſten Toͤnen zu ihm, wer kann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="20"/>
zwei Ma&#x0364;uschen aus der Pudelmu&#x0364;tze wieder heraus und un¬<lb/>
terhielten &#x017F;ich miteinander. Die eine &#x017F;prach: &#x201E;Ach Si&#x017F;&#x017F;i,<lb/>
meine geliebte Braut, da ha&#x017F;t du es nun &#x017F;elb&#x017F;t erlebt, was<lb/>
dabei herausko&#x0364;mmt, wenn man des Nachts &#x017F;o lange im<lb/>
Mond&#x017F;chein &#x017F;pazieren geht, habe ich dich nicht gewarnt?&#x201C; &#x2014;<lb/>
Da antwortete Si&#x017F;&#x017F;i: &#x201E;O Pfiffi, mein werther Bra&#x0364;utigam,<lb/>
mache mir keine Vorwu&#x0364;rfe, ich zittere noch am ganzen Leibe<lb/>
vor der &#x017F;chrecklichen Katze, und wenn &#x017F;ich ein Blatt regt,<lb/>
fahre ich zu&#x017F;ammen, und meine, ich &#x017F;ehe ihre feurigen Au¬<lb/>
gen.&#x201C; &#x2014; Da &#x017F;agte Pfiffi wieder: &#x201E;Du brauch&#x017F;t dich nicht<lb/>
weiter zu a&#x0364;ng&#x017F;tigen, der gute Mann hier hat der Katze einen<lb/>
&#x017F;o großen Stein nachgeworfen, daß &#x017F;ie vor Ang&#x017F;t &#x017F;chier in<lb/>
den Springbrunnen ge&#x017F;prungen i&#x017F;t.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ach!&#x201C; erwiederte<lb/>
Si&#x017F;&#x017F;i, &#x201E;ich fu&#x0364;rchte mich nur auf un&#x017F;re weite Rei&#x017F;e, wir mu&#x0364;&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en wohl noch acht Tage laufen, bis wir zu deinem ko&#x0364;nigli¬<lb/>
chen Herrn Vater kommen, und da jetzt einmal eine Katze<lb/>
uns ausgekund&#x017F;chaftet hat, werden die&#x017F;e Freilaurer an allen<lb/>
Ecken auf uns lauern.&#x201C; &#x2014; Da ver&#x017F;etzte Pfiffi: &#x201E;wenn nur<lb/>
eine Bru&#x0364;cke u&#x0364;ber das Flu&#x0364;ßchen fu&#x0364;hrte, das eine halbe Tag¬<lb/>
rei&#x017F;e von hier durch den Wald fließt, &#x017F;o wa&#x0364;ren wir bald zu<lb/>
Haus; aber nun mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir die Quelle umgehen.&#x201C; &#x2014; Als<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;prachen, ho&#x0364;rten &#x017F;ie eine Eule draus &#x017F;chreien und kro¬<lb/>
chen bang tiefer in die Mu&#x0364;tze. &#x2014; &#x201E;Auch noch eine Eule,&#x201C; flu&#x0364;¬<lb/>
&#x017F;terte Si&#x017F;&#x017F;i, &#x201E;o wa&#x0364;re ich doch nie aus der Re&#x017F;idenz meiner<lb/>
Mutter gewichen,&#x201C; und nun weinte &#x017F;ie bitterlich. &#x2014; Der Ma&#x0364;<lb/>
&#x017F;ebra&#x0364;utigam war hieru&#x0364;ber &#x017F;ehr traurig, und u&#x0364;berlegte her<lb/>
und hin, wie er &#x017F;eine Braut ermuthigen und vor Gefahren<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;tzen &#x017F;olle. &#x2014; Endlich &#x017F;prach er: &#x201E;geliebte Si&#x017F;&#x017F;i, mir<lb/>
fa&#x0364;llt etwas ein; der gute Mann, der uns in &#x017F;eine Mu&#x0364;tze ge¬<lb/>
bettet hat, wu&#x0364;rde uns vielleicht &#x017F;icher nach Hau&#x017F;e helfen,<lb/>
wenn er un&#x017F;ere Noth nur wu&#x0364;ßte. La&#x017F;&#x017F;e uns lei&#x017F;e an &#x017F;eine<lb/>
Ohren kriechen und ihm recht flehentlich un&#x017F;ere Sorgen vor¬<lb/>
&#x017F;tellen; ich will zuer&#x017F;t mit ihm &#x017F;prechen, hilft das nicht,<lb/>
dann rede du in deinen &#x017F;u&#x0364;ße&#x017F;ten To&#x0364;nen zu ihm, wer kann<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0046] zwei Maͤuschen aus der Pudelmuͤtze wieder heraus und un¬ terhielten ſich miteinander. Die eine ſprach: „Ach Siſſi, meine geliebte Braut, da haſt du es nun ſelbſt erlebt, was dabei herauskoͤmmt, wenn man des Nachts ſo lange im Mondſchein ſpazieren geht, habe ich dich nicht gewarnt?“ — Da antwortete Siſſi: „O Pfiffi, mein werther Braͤutigam, mache mir keine Vorwuͤrfe, ich zittere noch am ganzen Leibe vor der ſchrecklichen Katze, und wenn ſich ein Blatt regt, fahre ich zuſammen, und meine, ich ſehe ihre feurigen Au¬ gen.“ — Da ſagte Pfiffi wieder: „Du brauchſt dich nicht weiter zu aͤngſtigen, der gute Mann hier hat der Katze einen ſo großen Stein nachgeworfen, daß ſie vor Angſt ſchier in den Springbrunnen geſprungen iſt.“ — „Ach!“ erwiederte Siſſi, „ich fuͤrchte mich nur auf unſre weite Reiſe, wir muͤſ¬ ſen wohl noch acht Tage laufen, bis wir zu deinem koͤnigli¬ chen Herrn Vater kommen, und da jetzt einmal eine Katze uns ausgekundſchaftet hat, werden dieſe Freilaurer an allen Ecken auf uns lauern.“ — Da verſetzte Pfiffi: „wenn nur eine Bruͤcke uͤber das Fluͤßchen fuͤhrte, das eine halbe Tag¬ reiſe von hier durch den Wald fließt, ſo waͤren wir bald zu Haus; aber nun muͤſſen wir die Quelle umgehen.“ — Als ſie ſo ſprachen, hoͤrten ſie eine Eule draus ſchreien und kro¬ chen bang tiefer in die Muͤtze. — „Auch noch eine Eule,“ fluͤ¬ ſterte Siſſi, „o waͤre ich doch nie aus der Reſidenz meiner Mutter gewichen,“ und nun weinte ſie bitterlich. — Der Maͤu¬ ſebraͤutigam war hieruͤber ſehr traurig, und uͤberlegte her und hin, wie er ſeine Braut ermuthigen und vor Gefahren ſchuͤtzen ſolle. — Endlich ſprach er: „geliebte Siſſi, mir faͤllt etwas ein; der gute Mann, der uns in ſeine Muͤtze ge¬ bettet hat, wuͤrde uns vielleicht ſicher nach Hauſe helfen, wenn er unſere Noth nur wuͤßte. Laſſe uns leiſe an ſeine Ohren kriechen und ihm recht flehentlich unſere Sorgen vor¬ ſtellen; ich will zuerſt mit ihm ſprechen, hilft das nicht, dann rede du in deinen ſuͤßeſten Toͤnen zu ihm, wer kann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/46
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/46>, abgerufen am 28.03.2024.