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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 25. Die wirtsch. Zust. um d. Zeit d. Reichsgr.
der Naturalwirtschaft. Handel und Wandel halten sich innerhalb sehr
bescheidener Grenzen. Der landwirtschaftliche Betrieb hat sich da-
gegen bedeutsam gehoben. Nicht mehr die Weidewirtschaft, sondern
der Ackerbau steht im Mittelpunkte des Erwerbslebens. Mehr und
mehr wendet sich die Thätigkeit des freien Mannes der Bestellung
des Bodens zu, welchen man intensiver als vordem auszunutzen ver-
steht. Schon das Volksrecht der salischen Franken lässt uns ersehen,
wie neben dem Getreidebau Wiesenkultur, Gartenbau und Weinbau
betrieben wurde.

Die Aufteilung des Ackerlandes war um die Zeit der Reichs-
gründung so weit vorgeschritten, dass das Sondereigentum an
demselben wohl als die Regel betrachtet werden darf. Wo die
Dorfverfassung bestand, war damit an die Stelle der strengen Feld-
gemeinschaft die von den Nationalökonomen sogenannte laxe Feld-
gemeinschaft, der Flurzwang getreten, welcher den Wirtschaftsbetrieb
des einzelnen, insbesondere die Zeit der Bestellung und der Ernte
mit Rücksicht auf die Gemengelage der Sonderäcker den Beschlüssen
der Gesamtheit unterwarf. Die Sonderäcker sind nicht eingehegt 3
und dienen nach vollendeter Ernte bis zur neuen Aussaat als Feld-
weide (Stoppel- und Brachweide) 4. An Grund und Boden bestand
zunächst nur ein beschränktes Erbrecht. Er vererbte auf die Söhne
des verstorbenen Besitzers. Waren aber solche nicht vorhanden, so
fiel das Land bei den Salfranken der Gesamtheit der Dorfgenossen
anheim. Erst ein Edikt des Königs Chilperich (561--584) hat dieses
Heimfallsrecht der Gemeinde so weit beseitigt, dass in Ermangelung
von Söhnen den Töchtern, eventuell den Brüdern und Schwestern ein
Erbrecht eingeräumt wurde 5. Auch die freie Veräusserlichkeit der
Hufe hat sich erst allmählich Bahn gebrochen. Sie vertrug sich nicht
mit einem Heimfallsrecht der Gemeinde, welches durch Veräusserungen
beeinträchtigt worden wäre. Bei den Salfranken konnte überdies der
Grunderwerb eines Ausmärkers binnen Jahresfrist nach seiner An-
siedelung durch den rechtsförmlichen Widerspruch eines einzigen

3 So und nicht aus strenger Feldgemeinschaft dürfte Cap. I zur Lex Sal. c. 9,
Behrend u. Boretius S 91, Hessels Tit. 74 zu erklären sein.
4 Nasse, Über die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Einhegungen
. . in England, 1869, S 13. 37. Im langobardischen Edikt, Rothari 358, heisst die
Feldweide fornaccar, fonsaccri, alter (früherer) Acker?
5 Cap. I 8, c. 3. Gierke, Z f. RG XII 430. Einzelne, namentlich alamannische
Weistümer kennen ein Erbrecht des nächsten Nachbars, wenn es an sonstigen be-
fähigten Erben des letzten Besitzers gebricht. Siehe Schröder, Register zu den
Weistümern VII 241 unter Erbrecht der Hofgenossen oder der Nachbarn.
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§ 25. Die wirtsch. Zust. um d. Zeit d. Reichsgr.
der Naturalwirtschaft. Handel und Wandel halten sich innerhalb sehr
bescheidener Grenzen. Der landwirtschaftliche Betrieb hat sich da-
gegen bedeutsam gehoben. Nicht mehr die Weidewirtschaft, sondern
der Ackerbau steht im Mittelpunkte des Erwerbslebens. Mehr und
mehr wendet sich die Thätigkeit des freien Mannes der Bestellung
des Bodens zu, welchen man intensiver als vordem auszunutzen ver-
steht. Schon das Volksrecht der salischen Franken läſst uns ersehen,
wie neben dem Getreidebau Wiesenkultur, Gartenbau und Weinbau
betrieben wurde.

Die Aufteilung des Ackerlandes war um die Zeit der Reichs-
gründung so weit vorgeschritten, daſs das Sondereigentum an
demselben wohl als die Regel betrachtet werden darf. Wo die
Dorfverfassung bestand, war damit an die Stelle der strengen Feld-
gemeinschaft die von den Nationalökonomen sogenannte laxe Feld-
gemeinschaft, der Flurzwang getreten, welcher den Wirtschaftsbetrieb
des einzelnen, insbesondere die Zeit der Bestellung und der Ernte
mit Rücksicht auf die Gemengelage der Sonderäcker den Beschlüssen
der Gesamtheit unterwarf. Die Sonderäcker sind nicht eingehegt 3
und dienen nach vollendeter Ernte bis zur neuen Aussaat als Feld-
weide (Stoppel- und Brachweide) 4. An Grund und Boden bestand
zunächst nur ein beschränktes Erbrecht. Er vererbte auf die Söhne
des verstorbenen Besitzers. Waren aber solche nicht vorhanden, so
fiel das Land bei den Salfranken der Gesamtheit der Dorfgenossen
anheim. Erst ein Edikt des Königs Chilperich (561—584) hat dieses
Heimfallsrecht der Gemeinde so weit beseitigt, daſs in Ermangelung
von Söhnen den Töchtern, eventuell den Brüdern und Schwestern ein
Erbrecht eingeräumt wurde 5. Auch die freie Veräuſserlichkeit der
Hufe hat sich erst allmählich Bahn gebrochen. Sie vertrug sich nicht
mit einem Heimfallsrecht der Gemeinde, welches durch Veräuſserungen
beeinträchtigt worden wäre. Bei den Salfranken konnte überdies der
Grunderwerb eines Ausmärkers binnen Jahresfrist nach seiner An-
siedelung durch den rechtsförmlichen Widerspruch eines einzigen

3 So und nicht aus strenger Feldgemeinschaft dürfte Cap. I zur Lex Sal. c. 9,
Behrend u. Boretius S 91, Hessels Tit. 74 zu erklären sein.
4 Nasse, Über die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Einhegungen
. . in England, 1869, S 13. 37. Im langobardischen Edikt, Rothari 358, heiſst die
Feldweide fornaccar, fonsaccri, alter (früherer) Acker?
5 Cap. I 8, c. 3. Gierke, Z f. RG XII 430. Einzelne, namentlich alamannische
Weistümer kennen ein Erbrecht des nächsten Nachbars, wenn es an sonstigen be-
fähigten Erben des letzten Besitzers gebricht. Siehe Schröder, Register zu den
Weistümern VII 241 unter Erbrecht der Hofgenossen oder der Nachbarn.
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[195/0213] § 25. Die wirtsch. Zust. um d. Zeit d. Reichsgr. der Naturalwirtschaft. Handel und Wandel halten sich innerhalb sehr bescheidener Grenzen. Der landwirtschaftliche Betrieb hat sich da- gegen bedeutsam gehoben. Nicht mehr die Weidewirtschaft, sondern der Ackerbau steht im Mittelpunkte des Erwerbslebens. Mehr und mehr wendet sich die Thätigkeit des freien Mannes der Bestellung des Bodens zu, welchen man intensiver als vordem auszunutzen ver- steht. Schon das Volksrecht der salischen Franken läſst uns ersehen, wie neben dem Getreidebau Wiesenkultur, Gartenbau und Weinbau betrieben wurde. Die Aufteilung des Ackerlandes war um die Zeit der Reichs- gründung so weit vorgeschritten, daſs das Sondereigentum an demselben wohl als die Regel betrachtet werden darf. Wo die Dorfverfassung bestand, war damit an die Stelle der strengen Feld- gemeinschaft die von den Nationalökonomen sogenannte laxe Feld- gemeinschaft, der Flurzwang getreten, welcher den Wirtschaftsbetrieb des einzelnen, insbesondere die Zeit der Bestellung und der Ernte mit Rücksicht auf die Gemengelage der Sonderäcker den Beschlüssen der Gesamtheit unterwarf. Die Sonderäcker sind nicht eingehegt 3 und dienen nach vollendeter Ernte bis zur neuen Aussaat als Feld- weide (Stoppel- und Brachweide) 4. An Grund und Boden bestand zunächst nur ein beschränktes Erbrecht. Er vererbte auf die Söhne des verstorbenen Besitzers. Waren aber solche nicht vorhanden, so fiel das Land bei den Salfranken der Gesamtheit der Dorfgenossen anheim. Erst ein Edikt des Königs Chilperich (561—584) hat dieses Heimfallsrecht der Gemeinde so weit beseitigt, daſs in Ermangelung von Söhnen den Töchtern, eventuell den Brüdern und Schwestern ein Erbrecht eingeräumt wurde 5. Auch die freie Veräuſserlichkeit der Hufe hat sich erst allmählich Bahn gebrochen. Sie vertrug sich nicht mit einem Heimfallsrecht der Gemeinde, welches durch Veräuſserungen beeinträchtigt worden wäre. Bei den Salfranken konnte überdies der Grunderwerb eines Ausmärkers binnen Jahresfrist nach seiner An- siedelung durch den rechtsförmlichen Widerspruch eines einzigen 3 So und nicht aus strenger Feldgemeinschaft dürfte Cap. I zur Lex Sal. c. 9, Behrend u. Boretius S 91, Hessels Tit. 74 zu erklären sein. 4 Nasse, Über die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Einhegungen . . in England, 1869, S 13. 37. Im langobardischen Edikt, Rothari 358, heiſst die Feldweide fornaccar, fonsaccri, alter (früherer) Acker? 5 Cap. I 8, c. 3. Gierke, Z f. RG XII 430. Einzelne, namentlich alamannische Weistümer kennen ein Erbrecht des nächsten Nachbars, wenn es an sonstigen be- fähigten Erben des letzten Besitzers gebricht. Siehe Schröder, Register zu den Weistümern VII 241 unter Erbrecht der Hofgenossen oder der Nachbarn. 13*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/213>, abgerufen am 19.04.2024.