Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 5. Die Bearbeitungen
und Chr. Gottlob Biener 15 zu nennen. Das Beste leistete
Heineccius, "unter den deutschen Juristen des 18. Jahrhunderts viel-
leicht der bedeutendste, jedenfalls derjenige, welcher den umfassendsten
Reichtum gelehrten, namentlich historischen Wissens mit gediegener
philosophischer Bildung verband" 16.

Eine Sonderstellung nimmt unter den Germanisten des vorigen
Jahrhunderts der geistvolle Justus Möser mit seiner osnabrückischen
Geschichte ein 17. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grund-
lagen der Staatsordnung ins Auge fassend schrieb er darin eine gross-
artig konstruierte Geschichte der Landeigentümer. Sie blieb nicht
frei von wesentlichen Irrtümern, weil er seiner reichen Phantasie und
seinem lebhaften Drange nach plastischer Ausgestaltung der darzu-
stellenden Verhältnisse allzusehr die Zügel schiessen liess. Nichts-
destoweniger sind seine Lehren, insbesondere seine Ausführungen über
die Zustände der Urzeit, über die Geschichte des Heerwesens und
über die Entstehung der Landeshoheit, welchen sich Eichhorn im
wesentlichen anschloss, auf lange Zeit hinaus zur unbestrittenen Herr-
schaft gelangt.

Aus den zusammenhanglosen Bruchstücken, welche das 18. Jahr-
hundert überlieferte, wurde in den ersten Dezennien des 19. die
Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte geschaffen. Mit der Auf-
lösung des deutschen Reiches war der Grund für die Trennung des
Staatsrechtes von den übrigen Zweigen der Rechtsgeschichte hinweg-
gefallen. Publizisten der alten Schule hatten ihre Bibliotheken, so-
weit sie das Reichsstaatsrecht betrafen, mit Resignation als fernerhin
unbrauchbar abgeschlossen 18. Das Reichsstaatsrecht stand nunmehr
in Bezug auf seine unmittelbare praktische Verwertbarkeit den Privat-
rechtsantiquitäten ebenbürtig zur Seite. Andrerseits verlor das Natur-
recht seine Stellung als treibende Kraft der deutschen Rechtswissen-
schaft. Schon Montesquieu hatte 1748 in seinem Esprit des lois
darauf hingewiesen, wie die Rechtszustände von der Natur und Lage

iur. civilis rom. ac germ., 1733. Antiquitates germanicae iurisprudentiam patriam
illustrantes, 1772. 1773, unvollendet, B I: de republica et legibus vet. Germ.; B II:
de iure personarum.
15 Commentarii de origine et progressu legum iuriumque germanicarum, un-
vollendet, pars I.: leges et iura populorum teuton. antiqua, 1787; pars II.: leges
et iura pop. teut. media, vol. 1.: de, historia iuris germ. publici atque privati, 1790;
vol. 2.: de historia institutorum atque iurium feudalium in regno Germ., 1795.
16 Stintzing in der Allg. deutschen Biographie unter Heineccius.
17 Zuerst 1768. In 3. Aufl. 3 Bde herausg. von C. Stüve 1819.
18 Reyscher in der Z f. DR XV 445.

§ 5. Die Bearbeitungen
und Chr. Gottlob Biener 15 zu nennen. Das Beste leistete
Heineccius, „unter den deutschen Juristen des 18. Jahrhunderts viel-
leicht der bedeutendste, jedenfalls derjenige, welcher den umfassendsten
Reichtum gelehrten, namentlich historischen Wissens mit gediegener
philosophischer Bildung verband“ 16.

Eine Sonderstellung nimmt unter den Germanisten des vorigen
Jahrhunderts der geistvolle Justus Möser mit seiner osnabrückischen
Geschichte ein 17. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grund-
lagen der Staatsordnung ins Auge fassend schrieb er darin eine groſs-
artig konstruierte Geschichte der Landeigentümer. Sie blieb nicht
frei von wesentlichen Irrtümern, weil er seiner reichen Phantasie und
seinem lebhaften Drange nach plastischer Ausgestaltung der darzu-
stellenden Verhältnisse allzusehr die Zügel schieſsen lieſs. Nichts-
destoweniger sind seine Lehren, insbesondere seine Ausführungen über
die Zustände der Urzeit, über die Geschichte des Heerwesens und
über die Entstehung der Landeshoheit, welchen sich Eichhorn im
wesentlichen anschloſs, auf lange Zeit hinaus zur unbestrittenen Herr-
schaft gelangt.

Aus den zusammenhanglosen Bruchstücken, welche das 18. Jahr-
hundert überlieferte, wurde in den ersten Dezennien des 19. die
Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte geschaffen. Mit der Auf-
lösung des deutschen Reiches war der Grund für die Trennung des
Staatsrechtes von den übrigen Zweigen der Rechtsgeschichte hinweg-
gefallen. Publizisten der alten Schule hatten ihre Bibliotheken, so-
weit sie das Reichsstaatsrecht betrafen, mit Resignation als fernerhin
unbrauchbar abgeschlossen 18. Das Reichsstaatsrecht stand nunmehr
in Bezug auf seine unmittelbare praktische Verwertbarkeit den Privat-
rechtsantiquitäten ebenbürtig zur Seite. Andrerseits verlor das Natur-
recht seine Stellung als treibende Kraft der deutschen Rechtswissen-
schaft. Schon Montesquieu hatte 1748 in seinem Esprit des lois
darauf hingewiesen, wie die Rechtszustände von der Natur und Lage

iur. civilis rom. ac germ., 1733. Antiquitates germanicae iurisprudentiam patriam
illustrantes, 1772. 1773, unvollendet, B I: de republica et legibus vet. Germ.; B II:
de iure personarum.
15 Commentarii de origine et progressu legum iuriumque germanicarum, un-
vollendet, pars I.: leges et iura populorum teuton. antiqua, 1787; pars II.: leges
et iura pop. teut. media, vol. 1.: de, historia iuris germ. publici atque privati, 1790;
vol. 2.: de historia institutorum atque iurium feudalium in regno Germ., 1795.
16 Stintzing in der Allg. deutschen Biographie unter Heineccius.
17 Zuerst 1768. In 3. Aufl. 3 Bde herausg. von C. Stüve 1819.
18 Reyscher in der Z f. DR XV 445.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0036" n="18"/><fw place="top" type="header">§ 5. Die Bearbeitungen</fw><lb/>
und <hi rendition="#g">Chr. Gottlob Biener</hi> <note place="foot" n="15">Commentarii de origine et progressu legum iuriumque germanicarum, un-<lb/>
vollendet, pars I.: leges et iura populorum teuton. antiqua, 1787; pars II.: leges<lb/>
et iura pop. teut. media, vol. 1.: de, historia iuris germ. publici atque privati, 1790;<lb/>
vol. 2.: de historia institutorum atque iurium feudalium in regno Germ., 1795.</note> zu nennen. Das Beste leistete<lb/>
Heineccius, &#x201E;unter den deutschen Juristen des 18. Jahrhunderts viel-<lb/>
leicht der bedeutendste, jedenfalls derjenige, welcher den umfassendsten<lb/>
Reichtum gelehrten, namentlich historischen Wissens mit gediegener<lb/>
philosophischer Bildung verband&#x201C; <note place="foot" n="16"><hi rendition="#g">Stintzing</hi> in der Allg. deutschen Biographie unter Heineccius.</note>.</p><lb/>
          <p>Eine Sonderstellung nimmt unter den Germanisten des vorigen<lb/>
Jahrhunderts der geistvolle <hi rendition="#g">Justus Möser</hi> mit seiner osnabrückischen<lb/>
Geschichte ein <note place="foot" n="17">Zuerst 1768. In 3. Aufl. 3 Bde herausg. von C. <hi rendition="#g">Stüve</hi> 1819.</note>. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grund-<lb/>
lagen der Staatsordnung ins Auge fassend schrieb er darin eine gro&#x017F;s-<lb/>
artig konstruierte Geschichte der Landeigentümer. Sie blieb nicht<lb/>
frei von wesentlichen Irrtümern, weil er seiner reichen Phantasie und<lb/>
seinem lebhaften Drange nach plastischer Ausgestaltung der darzu-<lb/>
stellenden Verhältnisse allzusehr die Zügel schie&#x017F;sen lie&#x017F;s. Nichts-<lb/>
destoweniger sind seine Lehren, insbesondere seine Ausführungen über<lb/>
die Zustände der Urzeit, über die Geschichte des Heerwesens und<lb/>
über die Entstehung der Landeshoheit, welchen sich Eichhorn im<lb/>
wesentlichen anschlo&#x017F;s, auf lange Zeit hinaus zur unbestrittenen Herr-<lb/>
schaft gelangt.</p><lb/>
          <p>Aus den zusammenhanglosen Bruchstücken, welche das 18. Jahr-<lb/>
hundert überlieferte, wurde in den ersten Dezennien des 19. die<lb/>
Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte geschaffen. Mit der Auf-<lb/>
lösung des deutschen Reiches war der Grund für die Trennung des<lb/>
Staatsrechtes von den übrigen Zweigen der Rechtsgeschichte hinweg-<lb/>
gefallen. Publizisten der alten Schule hatten ihre Bibliotheken, so-<lb/>
weit sie das Reichsstaatsrecht betrafen, mit Resignation als fernerhin<lb/>
unbrauchbar abgeschlossen <note place="foot" n="18"><hi rendition="#g">Reyscher</hi> in der Z f. DR XV 445.</note>. Das Reichsstaatsrecht stand nunmehr<lb/>
in Bezug auf seine unmittelbare praktische Verwertbarkeit den Privat-<lb/>
rechtsantiquitäten ebenbürtig zur Seite. Andrerseits verlor das Natur-<lb/>
recht seine Stellung als treibende Kraft der deutschen Rechtswissen-<lb/>
schaft. Schon <hi rendition="#g">Montesquieu</hi> hatte 1748 in seinem Esprit des lois<lb/>
darauf hingewiesen, wie die Rechtszustände von der Natur und Lage<lb/><note xml:id="note-0036" prev="#note-0035" place="foot" n="14">iur. civilis rom. ac germ., 1733. Antiquitates germanicae iurisprudentiam patriam<lb/>
illustrantes, 1772. 1773, unvollendet, B I: de republica et legibus vet. Germ.; B II:<lb/>
de iure personarum.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0036] § 5. Die Bearbeitungen und Chr. Gottlob Biener 15 zu nennen. Das Beste leistete Heineccius, „unter den deutschen Juristen des 18. Jahrhunderts viel- leicht der bedeutendste, jedenfalls derjenige, welcher den umfassendsten Reichtum gelehrten, namentlich historischen Wissens mit gediegener philosophischer Bildung verband“ 16. Eine Sonderstellung nimmt unter den Germanisten des vorigen Jahrhunderts der geistvolle Justus Möser mit seiner osnabrückischen Geschichte ein 17. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grund- lagen der Staatsordnung ins Auge fassend schrieb er darin eine groſs- artig konstruierte Geschichte der Landeigentümer. Sie blieb nicht frei von wesentlichen Irrtümern, weil er seiner reichen Phantasie und seinem lebhaften Drange nach plastischer Ausgestaltung der darzu- stellenden Verhältnisse allzusehr die Zügel schieſsen lieſs. Nichts- destoweniger sind seine Lehren, insbesondere seine Ausführungen über die Zustände der Urzeit, über die Geschichte des Heerwesens und über die Entstehung der Landeshoheit, welchen sich Eichhorn im wesentlichen anschloſs, auf lange Zeit hinaus zur unbestrittenen Herr- schaft gelangt. Aus den zusammenhanglosen Bruchstücken, welche das 18. Jahr- hundert überlieferte, wurde in den ersten Dezennien des 19. die Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte geschaffen. Mit der Auf- lösung des deutschen Reiches war der Grund für die Trennung des Staatsrechtes von den übrigen Zweigen der Rechtsgeschichte hinweg- gefallen. Publizisten der alten Schule hatten ihre Bibliotheken, so- weit sie das Reichsstaatsrecht betrafen, mit Resignation als fernerhin unbrauchbar abgeschlossen 18. Das Reichsstaatsrecht stand nunmehr in Bezug auf seine unmittelbare praktische Verwertbarkeit den Privat- rechtsantiquitäten ebenbürtig zur Seite. Andrerseits verlor das Natur- recht seine Stellung als treibende Kraft der deutschen Rechtswissen- schaft. Schon Montesquieu hatte 1748 in seinem Esprit des lois darauf hingewiesen, wie die Rechtszustände von der Natur und Lage 14 15 Commentarii de origine et progressu legum iuriumque germanicarum, un- vollendet, pars I.: leges et iura populorum teuton. antiqua, 1787; pars II.: leges et iura pop. teut. media, vol. 1.: de, historia iuris germ. publici atque privati, 1790; vol. 2.: de historia institutorum atque iurium feudalium in regno Germ., 1795. 16 Stintzing in der Allg. deutschen Biographie unter Heineccius. 17 Zuerst 1768. In 3. Aufl. 3 Bde herausg. von C. Stüve 1819. 18 Reyscher in der Z f. DR XV 445. 14 iur. civilis rom. ac germ., 1733. Antiquitates germanicae iurisprudentiam patriam illustrantes, 1772. 1773, unvollendet, B I: de republica et legibus vet. Germ.; B II: de iure personarum.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/36
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/36>, abgerufen am 20.04.2024.