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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 10. Das Wirtschaftsleben der Urzeit.
Deutschlands bis heute obwalten 21, bieten genaueren Einblick in das
Wesen der strengen Feldgemeinschaft und in die Methode, nach
welcher die Verteilung des Ackerlandes bei der Anlage eines Dorfes,
bei dem periodischen Wechsel der Hufen oder, wenn die Hufen-
ordnung sich fixiert hatte, bei Eintritt einer Grenzverwirrung bewerk-
stelligt wurde. Es lässt sich daraus entnehmen, dass die in Kultur
zu nehmende Fläche zunächst nach Lage und Güte des Bodens in
grössere Teile zerlegt wurde, welche Gewannen, Wannen, Lagen,
Flagen genannt werden 22. Jede Gewanne wurde in eine der Zahl
der Genossen entsprechende Zahl von Äckern (Losen) eingeteilt,
welche dann den einzelnen überwiesen wurden. Der Anteil des
einzelnen umfasste sonach Äcker in jeder Gewanne. Die Vermessung
geschah in älterer Zeit mit Stange oder Seil (Reeb), die Verteilung
erfolgte vermittelst des Loses 23.

Feldgemeinschaft und Markgenossenschaft sind keine den Ger-
manen ausschliesslich eigentümliche Einrichtung, denn die vergleichende
Rechtswissenschaft vermag das genossenschaftliche Grundeigentum nicht
nur bei stammverwandten Völkern älterer und neuerer Zeit nachzu-
weisen, sondern stellt es als eine urgeschichtliche Institution von all-

151 ff. und Z2 f. RG II 61. S. noch die Zusätze Büchers zu Laveleye, Ur-
eigenthum.
21 So die Haubergsgenossenschaften des Kreises Siegen und die Gehöfer-
schaften des Regierungsbezirkes Trier. Aktenstücke des preuss. Hauses der Ab-
geordneten 1878--79 Nr 39. 139; Haubergordnung für den Kreis Siegen vom
17. März 1879. Achenbach, Die Haubergsgenossenschaften des Siegerlandes,
1863. Bernhardt, Die Haubergswirtschaft, 1867. Hanssen, Die Gehöfersch.,
in dessen Agrarhistor. Abhandlungen I 99 ff., II 1 ff. Nach Lamprecht, D. Wirt-
schaftsleben I 1 S 442 ff. ist die Gehöferschaft nicht eine Fortsetzung und ein Über-
rest germanischer Feldgemeinschaft, sondern eine auf grundherrlichem Boden aus
genossenschaftlicher Bewirtschaftung der Beunden (grösserer vom Grundherrn okku-
pierter und aufgewonnener Almendstücke) erwachsene Gemeinschaft, also eine relativ
junge Bildung, welche für das Verständnis urzeitlicher Zustände nur wegen gewisser
Einzelanalogien von Wichtigkeit sein könnte. Doch räumt er ein, dass es auch
Gehöferschaften geben könne, für deren Entstehung andere als hörige Grundlagen
nachzuweisen wären.
22 Über die Ausdrücke Hanssen, Agrarhistor. Abhandl. II 187.
23 Hanssen I 55, II 209. J. Grimm, Deutsche Grenzaltertümer, 1844;
RA S 540 f. Beseler, Der Neubruch, in den Symbolae für Bethmann-Hollweg
1868 und die daselbst Anm 4 zitierte Urk. von 1247 aus Mon. Boica XI 32, wo es
sich um eine wegen Grenzverwirrung beliebte Teilung handelt: Compromissum fuit,
ut maximus campus per funiculos mensuraretur et cuilibet hube XII iugera depu-
taretur ... item in quot partes maior campus divisus esset, in totidem partes se-
cundus campus et tercius divideretur, licet cuilibet hube in eisdem posterioribus
campis non possent cedere XII iugera ut in primis.

§ 10. Das Wirtschaftsleben der Urzeit.
Deutschlands bis heute obwalten 21, bieten genaueren Einblick in das
Wesen der strengen Feldgemeinschaft und in die Methode, nach
welcher die Verteilung des Ackerlandes bei der Anlage eines Dorfes,
bei dem periodischen Wechsel der Hufen oder, wenn die Hufen-
ordnung sich fixiert hatte, bei Eintritt einer Grenzverwirrung bewerk-
stelligt wurde. Es läſst sich daraus entnehmen, daſs die in Kultur
zu nehmende Fläche zunächst nach Lage und Güte des Bodens in
gröſsere Teile zerlegt wurde, welche Gewannen, Wannen, Lagen,
Flagen genannt werden 22. Jede Gewanne wurde in eine der Zahl
der Genossen entsprechende Zahl von Äckern (Losen) eingeteilt,
welche dann den einzelnen überwiesen wurden. Der Anteil des
einzelnen umfaſste sonach Äcker in jeder Gewanne. Die Vermessung
geschah in älterer Zeit mit Stange oder Seil (Reeb), die Verteilung
erfolgte vermittelst des Loses 23.

Feldgemeinschaft und Markgenossenschaft sind keine den Ger-
manen ausschlieſslich eigentümliche Einrichtung, denn die vergleichende
Rechtswissenschaft vermag das genossenschaftliche Grundeigentum nicht
nur bei stammverwandten Völkern älterer und neuerer Zeit nachzu-
weisen, sondern stellt es als eine urgeschichtliche Institution von all-

151 ff. und Z2 f. RG II 61. S. noch die Zusätze Büchers zu Laveleye, Ur-
eigenthum.
21 So die Haubergsgenossenschaften des Kreises Siegen und die Gehöfer-
schaften des Regierungsbezirkes Trier. Aktenstücke des preuſs. Hauses der Ab-
geordneten 1878—79 Nr 39. 139; Haubergordnung für den Kreis Siegen vom
17. März 1879. Achenbach, Die Haubergsgenossenschaften des Siegerlandes,
1863. Bernhardt, Die Haubergswirtschaft, 1867. Hanssen, Die Gehöfersch.,
in dessen Agrarhistor. Abhandlungen I 99 ff., II 1 ff. Nach Lamprecht, D. Wirt-
schaftsleben I 1 S 442 ff. ist die Gehöferschaft nicht eine Fortsetzung und ein Über-
rest germanischer Feldgemeinschaft, sondern eine auf grundherrlichem Boden aus
genossenschaftlicher Bewirtschaftung der Beunden (gröſserer vom Grundherrn okku-
pierter und aufgewonnener Almendstücke) erwachsene Gemeinschaft, also eine relativ
junge Bildung, welche für das Verständnis urzeitlicher Zustände nur wegen gewisser
Einzelanalogien von Wichtigkeit sein könnte. Doch räumt er ein, daſs es auch
Gehöferschaften geben könne, für deren Entstehung andere als hörige Grundlagen
nachzuweisen wären.
22 Über die Ausdrücke Hanssen, Agrarhistor. Abhandl. II 187.
23 Hanssen I 55, II 209. J. Grimm, Deutsche Grenzaltertümer, 1844;
RA S 540 f. Beseler, Der Neubruch, in den Symbolae für Bethmann-Hollweg
1868 und die daselbst Anm 4 zitierte Urk. von 1247 aus Mon. Boica XI 32, wo es
sich um eine wegen Grenzverwirrung beliebte Teilung handelt: Compromissum fuit,
ut maximus campus per funiculos mensuraretur et cuilibet hube XII iugera depu-
taretur … item in quot partes maior campus divisus esset, in totidem partes se-
cundus campus et tercius divideretur, licet cuilibet hube in eisdem posterioribus
campis non possent cedere XII iugera ut in primis.
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[63/0081] § 10. Das Wirtschaftsleben der Urzeit. Deutschlands bis heute obwalten 21, bieten genaueren Einblick in das Wesen der strengen Feldgemeinschaft und in die Methode, nach welcher die Verteilung des Ackerlandes bei der Anlage eines Dorfes, bei dem periodischen Wechsel der Hufen oder, wenn die Hufen- ordnung sich fixiert hatte, bei Eintritt einer Grenzverwirrung bewerk- stelligt wurde. Es läſst sich daraus entnehmen, daſs die in Kultur zu nehmende Fläche zunächst nach Lage und Güte des Bodens in gröſsere Teile zerlegt wurde, welche Gewannen, Wannen, Lagen, Flagen genannt werden 22. Jede Gewanne wurde in eine der Zahl der Genossen entsprechende Zahl von Äckern (Losen) eingeteilt, welche dann den einzelnen überwiesen wurden. Der Anteil des einzelnen umfaſste sonach Äcker in jeder Gewanne. Die Vermessung geschah in älterer Zeit mit Stange oder Seil (Reeb), die Verteilung erfolgte vermittelst des Loses 23. Feldgemeinschaft und Markgenossenschaft sind keine den Ger- manen ausschlieſslich eigentümliche Einrichtung, denn die vergleichende Rechtswissenschaft vermag das genossenschaftliche Grundeigentum nicht nur bei stammverwandten Völkern älterer und neuerer Zeit nachzu- weisen, sondern stellt es als eine urgeschichtliche Institution von all- 20 21 So die Haubergsgenossenschaften des Kreises Siegen und die Gehöfer- schaften des Regierungsbezirkes Trier. Aktenstücke des preuſs. Hauses der Ab- geordneten 1878—79 Nr 39. 139; Haubergordnung für den Kreis Siegen vom 17. März 1879. Achenbach, Die Haubergsgenossenschaften des Siegerlandes, 1863. Bernhardt, Die Haubergswirtschaft, 1867. Hanssen, Die Gehöfersch., in dessen Agrarhistor. Abhandlungen I 99 ff., II 1 ff. Nach Lamprecht, D. Wirt- schaftsleben I 1 S 442 ff. ist die Gehöferschaft nicht eine Fortsetzung und ein Über- rest germanischer Feldgemeinschaft, sondern eine auf grundherrlichem Boden aus genossenschaftlicher Bewirtschaftung der Beunden (gröſserer vom Grundherrn okku- pierter und aufgewonnener Almendstücke) erwachsene Gemeinschaft, also eine relativ junge Bildung, welche für das Verständnis urzeitlicher Zustände nur wegen gewisser Einzelanalogien von Wichtigkeit sein könnte. Doch räumt er ein, daſs es auch Gehöferschaften geben könne, für deren Entstehung andere als hörige Grundlagen nachzuweisen wären. 22 Über die Ausdrücke Hanssen, Agrarhistor. Abhandl. II 187. 23 Hanssen I 55, II 209. J. Grimm, Deutsche Grenzaltertümer, 1844; RA S 540 f. Beseler, Der Neubruch, in den Symbolae für Bethmann-Hollweg 1868 und die daselbst Anm 4 zitierte Urk. von 1247 aus Mon. Boica XI 32, wo es sich um eine wegen Grenzverwirrung beliebte Teilung handelt: Compromissum fuit, ut maximus campus per funiculos mensuraretur et cuilibet hube XII iugera depu- taretur … item in quot partes maior campus divisus esset, in totidem partes se- cundus campus et tercius divideretur, licet cuilibet hube in eisdem posterioribus campis non possent cedere XII iugera ut in primis. 20 151 ff. und Z2 f. RG II 61. S. noch die Zusätze Büchers zu Laveleye, Ur- eigenthum.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/81>, abgerufen am 28.03.2024.