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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
zulässig seien, sondern in der Entscheidung darüber, welche von
den erlaubten Mitteln in concreto zweckmäßig seien und, wenn
mehrere gleich zweckmäßig sind, welches nun anzuwenden sei.
Der Polizeibeamte, der einen Verfolgten erkennt, hat sich zu über-
legen, ob er ihn beobachten, photographieren, stellen, überreden,
überwältigen, einschließen, verfolgen oder kampfunfähig machen
solle; und all das kann hundertfach verschieden geschehen; es muß
womöglich die zweckmäßigste Entscheidung getroffen werden;
hauptsächlich aber: es muß überhaupt eine Entscheidung getroffen
werden, auch wenn mehrere gleich zweckmäßig (und zulässig)
sind. Praktisches Urteil und Entschlußfähigkeit wird man also
von einem solchen Beamten verlangen.

Aber das juristisch Bedeutsame ist die Entscheidung über den
Zwang, den der Exekut zu erdulden hat: was der Beamte anordnet,
muß der Verpflichtete über sich ergehen lassen. Der Vollstreckungs-
beamte muß notwendig darüber entscheiden (so einfach diese Ent-
scheidung in der Regel auch sein mag), ob die Voraussetzungen der
Zwangsanwendung vorliegen und welche Zwangsmittel zulässig
seien, und diese Entscheidung ist (mit Vorbehalt der zulässigen
Rechtsmittel) verbindlich für den Widerstrebenden. So wie die
rechtsanwendende Entscheidung erzwungen wird, so verwirklicht
sie sich, so verwirklicht sich durch sie das (positive) Recht und
durch das Recht die Rechtsidee.

Darin liegt das rechtlich Bedeutsame der historischen Fest-
stellung der rechtsanwendenden Instanz: indem die rechtsan-
wendende Behörde feststellt, daß die tatsächlichen Voraussetzungen
der Rechtspflicht gegeben sind, stellt sie auch die Pflicht fest und
damit die Berechtigung des Zwanges. Der Gesetzgeber (i. w. S.),
der die Norm setzt, d. h. bestimmte Normen als die richtigen hin-
stellt (setzt, behauptet), tut den ersten Schritt auf dem methodi-
schen Wege der Rechtsverwirklichung; die rechtsanwendende Be-
hörde, welche feststellt, daß die Voraussetzungen der grundsätz-
lich vorgeschriebenen Rechtspflicht in concreto und in praesenti
gegeben sind, tut den zweiten; der dritte Schritt besteht in der
Erzwingung dieser konkreten Entscheidung1.

1 Die beiden letzten Schritte werden häufig, wir wiederholen es, zeit-
lich zusammen getan; erst mit der Erzwingung der gesetzlichen Pflicht wird

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
zulässig seien, sondern in der Entscheidung darüber, welche von
den erlaubten Mitteln in concreto zweckmäßig seien und, wenn
mehrere gleich zweckmäßig sind, welches nun anzuwenden sei.
Der Polizeibeamte, der einen Verfolgten erkennt, hat sich zu über-
legen, ob er ihn beobachten, photographieren, stellen, überreden,
überwältigen, einschließen, verfolgen oder kampfunfähig machen
solle; und all das kann hundertfach verschieden geschehen; es muß
womöglich die zweckmäßigste Entscheidung getroffen werden;
hauptsächlich aber: es muß überhaupt eine Entscheidung getroffen
werden, auch wenn mehrere gleich zweckmäßig (und zulässig)
sind. Praktisches Urteil und Entschlußfähigkeit wird man also
von einem solchen Beamten verlangen.

Aber das juristisch Bedeutsame ist die Entscheidung über den
Zwang, den der Exekut zu erdulden hat: was der Beamte anordnet,
muß der Verpflichtete über sich ergehen lassen. Der Vollstreckungs-
beamte muß notwendig darüber entscheiden (so einfach diese Ent-
scheidung in der Regel auch sein mag), ob die Voraussetzungen der
Zwangsanwendung vorliegen und welche Zwangsmittel zulässig
seien, und diese Entscheidung ist (mit Vorbehalt der zulässigen
Rechtsmittel) verbindlich für den Widerstrebenden. So wie die
rechtsanwendende Entscheidung erzwungen wird, so verwirklicht
sie sich, so verwirklicht sich durch sie das (positive) Recht und
durch das Recht die Rechtsidee.

Darin liegt das rechtlich Bedeutsame der historischen Fest-
stellung der rechtsanwendenden Instanz: indem die rechtsan-
wendende Behörde feststellt, daß die tatsächlichen Voraussetzungen
der Rechtspflicht gegeben sind, stellt sie auch die Pflicht fest und
damit die Berechtigung des Zwanges. Der Gesetzgeber (i. w. S.),
der die Norm setzt, d. h. bestimmte Normen als die richtigen hin-
stellt (setzt, behauptet), tut den ersten Schritt auf dem methodi-
schen Wege der Rechtsverwirklichung; die rechtsanwendende Be-
hörde, welche feststellt, daß die Voraussetzungen der grundsätz-
lich vorgeschriebenen Rechtspflicht in concreto und in praesenti
gegeben sind, tut den zweiten; der dritte Schritt besteht in der
Erzwingung dieser konkreten Entscheidung1.

1 Die beiden letzten Schritte werden häufig, wir wiederholen es, zeit-
lich zusammen getan; erst mit der Erzwingung der gesetzlichen Pflicht wird
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[282/0297] II. Teil. Die staatliche Verfassung. zulässig seien, sondern in der Entscheidung darüber, welche von den erlaubten Mitteln in concreto zweckmäßig seien und, wenn mehrere gleich zweckmäßig sind, welches nun anzuwenden sei. Der Polizeibeamte, der einen Verfolgten erkennt, hat sich zu über- legen, ob er ihn beobachten, photographieren, stellen, überreden, überwältigen, einschließen, verfolgen oder kampfunfähig machen solle; und all das kann hundertfach verschieden geschehen; es muß womöglich die zweckmäßigste Entscheidung getroffen werden; hauptsächlich aber: es muß überhaupt eine Entscheidung getroffen werden, auch wenn mehrere gleich zweckmäßig (und zulässig) sind. Praktisches Urteil und Entschlußfähigkeit wird man also von einem solchen Beamten verlangen. Aber das juristisch Bedeutsame ist die Entscheidung über den Zwang, den der Exekut zu erdulden hat: was der Beamte anordnet, muß der Verpflichtete über sich ergehen lassen. Der Vollstreckungs- beamte muß notwendig darüber entscheiden (so einfach diese Ent- scheidung in der Regel auch sein mag), ob die Voraussetzungen der Zwangsanwendung vorliegen und welche Zwangsmittel zulässig seien, und diese Entscheidung ist (mit Vorbehalt der zulässigen Rechtsmittel) verbindlich für den Widerstrebenden. So wie die rechtsanwendende Entscheidung erzwungen wird, so verwirklicht sie sich, so verwirklicht sich durch sie das (positive) Recht und durch das Recht die Rechtsidee. Darin liegt das rechtlich Bedeutsame der historischen Fest- stellung der rechtsanwendenden Instanz: indem die rechtsan- wendende Behörde feststellt, daß die tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtspflicht gegeben sind, stellt sie auch die Pflicht fest und damit die Berechtigung des Zwanges. Der Gesetzgeber (i. w. S.), der die Norm setzt, d. h. bestimmte Normen als die richtigen hin- stellt (setzt, behauptet), tut den ersten Schritt auf dem methodi- schen Wege der Rechtsverwirklichung; die rechtsanwendende Be- hörde, welche feststellt, daß die Voraussetzungen der grundsätz- lich vorgeschriebenen Rechtspflicht in concreto und in praesenti gegeben sind, tut den zweiten; der dritte Schritt besteht in der Erzwingung dieser konkreten Entscheidung 1. 1 Die beiden letzten Schritte werden häufig, wir wiederholen es, zeit- lich zusammen getan; erst mit der Erzwingung der gesetzlichen Pflicht wird

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/297>, abgerufen am 25.04.2024.