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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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wo diese Richtung überwunden oder irgendwie aufgewogen1. Abschnitt.
wird, da tritt ein neues Lebendiges in die Geschichte: Der
Staat als berechnete, bewußte Schöpfung, als Kunstwerk.
In den Stadtrepubliken wie in den Tyrannenstaaten prägt
sich dieß Leben hundertfältig aus, und bestimmt ihre innere
Gestalt sowohl als ihre Politik nach außen. Wir begnügen
uns mit der Betrachtung des vollständigern, deutlicher aus-
gesprochenen Typus desselben in den Tyrannenstaaten.

Der innere Zustand der von Gewaltherrschern regiertenDer Staat
Friedrichs II.

Territorien hatte ein berühmtes Vorbild an dem Norman-
nenreiche von Unteritalien und Sicilien, wie Kaiser Frie-
drich II. es umgestaltet hatte. 1) Aufgewachsen unter Ver-
rath und Gefahr in der Nähe von Saracenen, hatte er sich
frühe gewöhnt an eine völlig objective Beurtheilung und
Behandlung der Dinge, der erste moderne Mensch auf dem
Throne. Dazu kam eine nahe, vertraute Kenntniß von
dem Innern der saracenischen Staaten und ihrer Verwal-
tung, und jener Existenzkrieg mit den Päpsten, welcher
beide Parteien nöthigte, alle denkbaren Kräfte und Mittel
auf den Kampfplatz zu führen. Friedrichs Verordnungen
(besonders seit 1231) laufen auf die völlige Zernichtung
des Lehnstaates, auf die Verwandlung des Volkes in eine
willenlose, unbewaffnete, im höchsten Grade steuerfähige
Masse hinaus. Er centralisirte die ganze richterliche Ge-
walt und die Verwaltung in einer bisher für das Abend-
land unerhörten Weise; kein Amt mehr durfte durch Volks-
wahl besetzt werden, bei Strafe der Verwüstung des betref-
fenden Ortes und Degradation der Bürger zu Hörigen.
Die Steuern, beruhend auf einem umfassenden KatasterMohammeda-
nische Einwir-
kung.

und auf mohammedanischer Routine, wurden beigetrieben
mit jener quälerischen und grausamen Art, ohne welche

1) Höfler: Kaiser Friedrich II., S. 39 u. ff.
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wo dieſe Richtung überwunden oder irgendwie aufgewogen1. Abſchnitt.
wird, da tritt ein neues Lebendiges in die Geſchichte: Der
Staat als berechnete, bewußte Schöpfung, als Kunſtwerk.
In den Stadtrepubliken wie in den Tyrannenſtaaten prägt
ſich dieß Leben hundertfältig aus, und beſtimmt ihre innere
Geſtalt ſowohl als ihre Politik nach außen. Wir begnügen
uns mit der Betrachtung des vollſtändigern, deutlicher aus-
geſprochenen Typus deſſelben in den Tyrannenſtaaten.

Der innere Zuſtand der von Gewaltherrſchern regiertenDer Staat
Friedrichs II.

Territorien hatte ein berühmtes Vorbild an dem Norman-
nenreiche von Unteritalien und Sicilien, wie Kaiſer Frie-
drich II. es umgeſtaltet hatte. 1) Aufgewachſen unter Ver-
rath und Gefahr in der Nähe von Saracenen, hatte er ſich
frühe gewöhnt an eine völlig objective Beurtheilung und
Behandlung der Dinge, der erſte moderne Menſch auf dem
Throne. Dazu kam eine nahe, vertraute Kenntniß von
dem Innern der ſaraceniſchen Staaten und ihrer Verwal-
tung, und jener Exiſtenzkrieg mit den Päpſten, welcher
beide Parteien nöthigte, alle denkbaren Kräfte und Mittel
auf den Kampfplatz zu führen. Friedrichs Verordnungen
(beſonders ſeit 1231) laufen auf die völlige Zernichtung
des Lehnſtaates, auf die Verwandlung des Volkes in eine
willenloſe, unbewaffnete, im höchſten Grade ſteuerfähige
Maſſe hinaus. Er centraliſirte die ganze richterliche Ge-
walt und die Verwaltung in einer bisher für das Abend-
land unerhörten Weiſe; kein Amt mehr durfte durch Volks-
wahl beſetzt werden, bei Strafe der Verwüſtung des betref-
fenden Ortes und Degradation der Bürger zu Hörigen.
Die Steuern, beruhend auf einem umfaſſenden KataſterMohammeda-
niſche Einwir-
kung.

und auf mohammedaniſcher Routine, wurden beigetrieben
mit jener quäleriſchen und grauſamen Art, ohne welche

1) Höfler: Kaiſer Friedrich II., S. 39 u. ff.
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[3/0013] wo dieſe Richtung überwunden oder irgendwie aufgewogen wird, da tritt ein neues Lebendiges in die Geſchichte: Der Staat als berechnete, bewußte Schöpfung, als Kunſtwerk. In den Stadtrepubliken wie in den Tyrannenſtaaten prägt ſich dieß Leben hundertfältig aus, und beſtimmt ihre innere Geſtalt ſowohl als ihre Politik nach außen. Wir begnügen uns mit der Betrachtung des vollſtändigern, deutlicher aus- geſprochenen Typus deſſelben in den Tyrannenſtaaten. 1. Abſchnitt. Der innere Zuſtand der von Gewaltherrſchern regierten Territorien hatte ein berühmtes Vorbild an dem Norman- nenreiche von Unteritalien und Sicilien, wie Kaiſer Frie- drich II. es umgeſtaltet hatte. 1) Aufgewachſen unter Ver- rath und Gefahr in der Nähe von Saracenen, hatte er ſich frühe gewöhnt an eine völlig objective Beurtheilung und Behandlung der Dinge, der erſte moderne Menſch auf dem Throne. Dazu kam eine nahe, vertraute Kenntniß von dem Innern der ſaraceniſchen Staaten und ihrer Verwal- tung, und jener Exiſtenzkrieg mit den Päpſten, welcher beide Parteien nöthigte, alle denkbaren Kräfte und Mittel auf den Kampfplatz zu führen. Friedrichs Verordnungen (beſonders ſeit 1231) laufen auf die völlige Zernichtung des Lehnſtaates, auf die Verwandlung des Volkes in eine willenloſe, unbewaffnete, im höchſten Grade ſteuerfähige Maſſe hinaus. Er centraliſirte die ganze richterliche Ge- walt und die Verwaltung in einer bisher für das Abend- land unerhörten Weiſe; kein Amt mehr durfte durch Volks- wahl beſetzt werden, bei Strafe der Verwüſtung des betref- fenden Ortes und Degradation der Bürger zu Hörigen. Die Steuern, beruhend auf einem umfaſſenden Kataſter und auf mohammedaniſcher Routine, wurden beigetrieben mit jener quäleriſchen und grauſamen Art, ohne welche Der Staat Friedrichs II. Mohammeda- niſche Einwir- kung. 1) Höfler: Kaiſer Friedrich II., S. 39 u. ff. 1*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/13>, abgerufen am 23.04.2024.