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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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ihn ganz direct: wann er wieder nach Mailand zurückzukehren
gedenke? und erhielt die Antwort: "nicht eher als bis die
Schandthaten Jenes über meine Verbrechen das Ueber-
gewicht erlangt haben werden". Bisweilen opfern auch die
Verwandten den regierenden Herrn der allzusehr beleidigten
öffentlichen Moral, um dadurch das Gesammthaus zu
retten. 2) Hie und da ruht die Herrschaft noch so auf der
Gesammtfamilie, daß das Haupt an deren Beirath gebun-
den ist; auch in diesem Falle veranlaßte die Theilung des
Besitzes und des Einflusses leicht den bittersten Hader.

Bei den damaligen florentinischen Autoren begegnetDer Pomp.
man einem durchgehenden tiefen Haß gegen dieses ganze
Wesen. Schon das pomphafte Aufziehen, das Prachtcostüm,
wodurch die Gewaltherrscher vielleicht weniger ihrer Eitel-
keit Genüge thun als vielmehr Eindruck auf die Phantasie
des Volkes machen wollten, erweckt ihren ganzen Sarcas-
mus. Wehe wenn ihnen gar ein Emporkömmling in die
Hände fällt wie der neugebackene Doge Agnello von Pisa
(1364), der mit dem goldenen Scepter auszureiten pflegte
und sich dann wieder zu Hause am Fenster zeigte "wie man
Reliquien zeigt", auf Teppich und Kissen von Goldstoff ge-
lehnt; knieend mußte man ihn bedienen wie einen Papst
oder Kaiser. 3) Oefter aber reden diese alten Florentiner

1) Petrarca, rerum memorandar. liber III. p. 460. -- Es ist
wahrscheinlich Matteo II. Visconti und der damals in Mailand
herrschende Erzbischof Giovanni Visconti gemeint, um 1354.
2) Matteo Villani, V, 81: die geheime Ermordung desselben Matteo II.
Visconti durch seine Brüder.
3) Filippo Villani, istorie XI, 101. -- Auch Petrarca findet die
Tyrannen geputzt "wie Altäre an Festtagen". -- Den antiken
Triumphzug des Castracane in Lucca findet man umständlich be-
schrieben in dessen Leben von Tegrimo, bei Murat. XI, Col. 1340.

ſee Fiſchnetze auswarf; 1) der Bote ſeines Gegners fragte1. Abſchnitt.
ihn ganz direct: wann er wieder nach Mailand zurückzukehren
gedenke? und erhielt die Antwort: „nicht eher als bis die
Schandthaten Jenes über meine Verbrechen das Ueber-
gewicht erlangt haben werden“. Bisweilen opfern auch die
Verwandten den regierenden Herrn der allzuſehr beleidigten
öffentlichen Moral, um dadurch das Geſammthaus zu
retten. 2) Hie und da ruht die Herrſchaft noch ſo auf der
Geſammtfamilie, daß das Haupt an deren Beirath gebun-
den iſt; auch in dieſem Falle veranlaßte die Theilung des
Beſitzes und des Einfluſſes leicht den bitterſten Hader.

Bei den damaligen florentiniſchen Autoren begegnetDer Pomp.
man einem durchgehenden tiefen Haß gegen dieſes ganze
Weſen. Schon das pomphafte Aufziehen, das Prachtcoſtüm,
wodurch die Gewaltherrſcher vielleicht weniger ihrer Eitel-
keit Genüge thun als vielmehr Eindruck auf die Phantaſie
des Volkes machen wollten, erweckt ihren ganzen Sarcas-
mus. Wehe wenn ihnen gar ein Emporkömmling in die
Hände fällt wie der neugebackene Doge Agnello von Piſa
(1364), der mit dem goldenen Scepter auszureiten pflegte
und ſich dann wieder zu Hauſe am Fenſter zeigte „wie man
Reliquien zeigt“, auf Teppich und Kiſſen von Goldſtoff ge-
lehnt; knieend mußte man ihn bedienen wie einen Papſt
oder Kaiſer. 3) Oefter aber reden dieſe alten Florentiner

1) Petrarca, rerum memorandar. liber III. p. 460. — Es iſt
wahrſcheinlich Matteo II. Visconti und der damals in Mailand
herrſchende Erzbiſchof Giovanni Visconti gemeint, um 1354.
2) Matteo Villani, V, 81: die geheime Ermordung deſſelben Matteo II.
Visconti durch ſeine Brüder.
3) Filippo Villani, istorie XI, 101. — Auch Petrarca findet die
Tyrannen geputzt „wie Altäre an Feſttagen“. — Den antiken
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ſchrieben in deſſen Leben von Tegrimo, bei Murat. XI, Col. 1340.
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[9/0019] ſee Fiſchnetze auswarf; 1) der Bote ſeines Gegners fragte ihn ganz direct: wann er wieder nach Mailand zurückzukehren gedenke? und erhielt die Antwort: „nicht eher als bis die Schandthaten Jenes über meine Verbrechen das Ueber- gewicht erlangt haben werden“. Bisweilen opfern auch die Verwandten den regierenden Herrn der allzuſehr beleidigten öffentlichen Moral, um dadurch das Geſammthaus zu retten. 2) Hie und da ruht die Herrſchaft noch ſo auf der Geſammtfamilie, daß das Haupt an deren Beirath gebun- den iſt; auch in dieſem Falle veranlaßte die Theilung des Beſitzes und des Einfluſſes leicht den bitterſten Hader. 1. Abſchnitt. Bei den damaligen florentiniſchen Autoren begegnet man einem durchgehenden tiefen Haß gegen dieſes ganze Weſen. Schon das pomphafte Aufziehen, das Prachtcoſtüm, wodurch die Gewaltherrſcher vielleicht weniger ihrer Eitel- keit Genüge thun als vielmehr Eindruck auf die Phantaſie des Volkes machen wollten, erweckt ihren ganzen Sarcas- mus. Wehe wenn ihnen gar ein Emporkömmling in die Hände fällt wie der neugebackene Doge Agnello von Piſa (1364), der mit dem goldenen Scepter auszureiten pflegte und ſich dann wieder zu Hauſe am Fenſter zeigte „wie man Reliquien zeigt“, auf Teppich und Kiſſen von Goldſtoff ge- lehnt; knieend mußte man ihn bedienen wie einen Papſt oder Kaiſer. 3) Oefter aber reden dieſe alten Florentiner Der Pomp. 1) Petrarca, rerum memorandar. liber III. p. 460. — Es iſt wahrſcheinlich Matteo II. Visconti und der damals in Mailand herrſchende Erzbiſchof Giovanni Visconti gemeint, um 1354. 2) Matteo Villani, V, 81: die geheime Ermordung deſſelben Matteo II. Visconti durch ſeine Brüder. 3) Filippo Villani, istorie XI, 101. — Auch Petrarca findet die Tyrannen geputzt „wie Altäre an Feſttagen“. — Den antiken Triumphzug des Caſtracane in Lucca findet man umſtändlich be- ſchrieben in deſſen Leben von Tegrimo, bei Murat. XI, Col. 1340.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/19>, abgerufen am 28.03.2024.