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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Die großen florentinischen Geschichtschreiber zu Anfang3. Abschnitt.
des XVI. Jahrhunderts (S. 83) sind dann von HauseItalienische
Geschichtschrei-
bung.

aus ganz andere Menschen als die Lateiner Giovio und
Bembo. Sie schreiben italienisch, nicht bloß weil sie mit
der raffinirten Eleganz der damaligen Ciceronianer nicht
mehr wetteifern können, sondern weil sie, wie Macchiavelli,
ihren Stoff als einen durch lebendige Anschauung 1) ge-
wonnenen auch nur in unmittelbarer Lebensform wieder-
geben mögen und weil ihnen, wie Guicciardini, Varchi und
den meisten Uebrigen, die möglichst weite und tiefe Wir-
kung ihrer Ansicht vom Hergang der Dinge am Herzen
liegt. Selbst wenn sie nur für wenige Freunde schreiben,
wie Francesco Vettori, so müssen sie doch aus innerm
Drange Zeugniß geben für Menschen und Ereignisse, und
sich erklären und rechtfertigen über ihre Theilnahme an
den letztern.

Und dabei erscheinen sie, bei aller Eigenthümlichkeit
ihres Styles und ihrer Sprache, doch auf das Stärkste
vom Alterthum berührt und ohne dessen Einwirkung gar
nicht denkbar. Sie sind keine Humanisten mehr, allein sie
sind durch den Humanismus hindurch gegangen und haben
vom Geist der antiken Geschichtschreibung mehr an sich als
die meisten jener livianischen Latinisten: es sind Bürger,
die für Bürger schreiben, wie die Alten thaten.

In die übrigen Fachwissenschaften hinein dürfen wirDas Alterthum
als allgem.
Voraussetzung.

den Humanismus nicht begleiten; jede derselben hat ihre
Specialgeschichte, in welcher die italienischen Forscher dieser
Zeit, hauptsächlich vermöge des von ihnen neu entdeckten
Sachinhaltes des Alterthums 2), einen großen neuen Ab-

1) Auch des Vergangenen, darf man bei Macchiavelli sagen.
2) Fand man doch bereits damals, daß schon Homer allein die Summe
aller Künste und Wissenschaften enthalte, daß er eine Encyclopädie
sei. Vgl. Codri Urcei opera, Sermo XIII, Schluß.
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Die großen florentiniſchen Geſchichtſchreiber zu Anfang3. Abſchnitt.
des XVI. Jahrhunderts (S. 83) ſind dann von HauſeItalieniſche
Geſchichtſchrei-
bung.

aus ganz andere Menſchen als die Lateiner Giovio und
Bembo. Sie ſchreiben italieniſch, nicht bloß weil ſie mit
der raffinirten Eleganz der damaligen Ciceronianer nicht
mehr wetteifern können, ſondern weil ſie, wie Macchiavelli,
ihren Stoff als einen durch lebendige Anſchauung 1) ge-
wonnenen auch nur in unmittelbarer Lebensform wieder-
geben mögen und weil ihnen, wie Guicciardini, Varchi und
den meiſten Uebrigen, die möglichſt weite und tiefe Wir-
kung ihrer Anſicht vom Hergang der Dinge am Herzen
liegt. Selbſt wenn ſie nur für wenige Freunde ſchreiben,
wie Francesco Vettori, ſo müſſen ſie doch aus innerm
Drange Zeugniß geben für Menſchen und Ereigniſſe, und
ſich erklären und rechtfertigen über ihre Theilnahme an
den letztern.

Und dabei erſcheinen ſie, bei aller Eigenthümlichkeit
ihres Styles und ihrer Sprache, doch auf das Stärkſte
vom Alterthum berührt und ohne deſſen Einwirkung gar
nicht denkbar. Sie ſind keine Humaniſten mehr, allein ſie
ſind durch den Humanismus hindurch gegangen und haben
vom Geiſt der antiken Geſchichtſchreibung mehr an ſich als
die meiſten jener livianiſchen Latiniſten: es ſind Bürger,
die für Bürger ſchreiben, wie die Alten thaten.

In die übrigen Fachwiſſenſchaften hinein dürfen wirDas Alterthum
als allgem.
Vorausſetzung.

den Humanismus nicht begleiten; jede derſelben hat ihre
Specialgeſchichte, in welcher die italieniſchen Forſcher dieſer
Zeit, hauptſächlich vermöge des von ihnen neu entdeckten
Sachinhaltes des Alterthums 2), einen großen neuen Ab-

1) Auch des Vergangenen, darf man bei Macchiavelli ſagen.
2) Fand man doch bereits damals, daß ſchon Homer allein die Summe
aller Künſte und Wiſſenſchaften enthalte, daß er eine Encyclopädie
ſei. Vgl. Codri Urcei opera, Sermo XIII, Schluß.
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[243/0253] Die großen florentiniſchen Geſchichtſchreiber zu Anfang des XVI. Jahrhunderts (S. 83) ſind dann von Hauſe aus ganz andere Menſchen als die Lateiner Giovio und Bembo. Sie ſchreiben italieniſch, nicht bloß weil ſie mit der raffinirten Eleganz der damaligen Ciceronianer nicht mehr wetteifern können, ſondern weil ſie, wie Macchiavelli, ihren Stoff als einen durch lebendige Anſchauung 1) ge- wonnenen auch nur in unmittelbarer Lebensform wieder- geben mögen und weil ihnen, wie Guicciardini, Varchi und den meiſten Uebrigen, die möglichſt weite und tiefe Wir- kung ihrer Anſicht vom Hergang der Dinge am Herzen liegt. Selbſt wenn ſie nur für wenige Freunde ſchreiben, wie Francesco Vettori, ſo müſſen ſie doch aus innerm Drange Zeugniß geben für Menſchen und Ereigniſſe, und ſich erklären und rechtfertigen über ihre Theilnahme an den letztern. 3. Abſchnitt. Italieniſche Geſchichtſchrei- bung. Und dabei erſcheinen ſie, bei aller Eigenthümlichkeit ihres Styles und ihrer Sprache, doch auf das Stärkſte vom Alterthum berührt und ohne deſſen Einwirkung gar nicht denkbar. Sie ſind keine Humaniſten mehr, allein ſie ſind durch den Humanismus hindurch gegangen und haben vom Geiſt der antiken Geſchichtſchreibung mehr an ſich als die meiſten jener livianiſchen Latiniſten: es ſind Bürger, die für Bürger ſchreiben, wie die Alten thaten. In die übrigen Fachwiſſenſchaften hinein dürfen wir den Humanismus nicht begleiten; jede derſelben hat ihre Specialgeſchichte, in welcher die italieniſchen Forſcher dieſer Zeit, hauptſächlich vermöge des von ihnen neu entdeckten Sachinhaltes des Alterthums 2), einen großen neuen Ab- Das Alterthum als allgem. Vorausſetzung. 1) Auch des Vergangenen, darf man bei Macchiavelli ſagen. 2) Fand man doch bereits damals, daß ſchon Homer allein die Summe aller Künſte und Wiſſenſchaften enthalte, daß er eine Encyclopädie ſei. Vgl. Codri Urcei opera, Sermo XIII, Schluß. 16*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/253>, abgerufen am 24.04.2024.