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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Meisterwerken 1). Einige Odendichter bemächtigen sich des3. Abschnitt.
Heiligencultes und bilden ihre Invocationen sehr geschmack-
voll den horazischen und catullischen Oden analogen In-
haltes nach. So Navagero in der Ode an den ErzengelDie Oden auf
Heilige.

Gabriel, so besonders Sannazaro, der in der Substituirung
einer heidnischen Andacht sehr weit geht. Er feiert vor-
züglich seinen Namensheiligen 2), dessen Capelle zu seiner
herrlich gelegenen kleinen Villa am Gestade des Posilipp
gehörte, "dort wo die Meereswoge den Felsquell wegschlürft
und an die Mauer des kleinen Heiligthums anschlägt".
Seine Freude ist das alljährliche St. Nazariusfest, und
das Laubwerk und die Guirlanden, womit das Kirchlein
zumal an diesem Tage geschmückt wird, erscheinen ihm als
Opfergaben. Auch fern auf der Flucht, mit dem verjagten
Federigo von Aragon, zu St. Nazaire an der Loiremün-
dung, bringt er voll tiefen Herzeleides seinem Heiligen am
Namenstage Kränze von Bux und Eichenlaub; er gedenkt
früherer Jahre, da die jungen Leute des ganzen Posilipp
zu seinem Feste gefahren kamen auf bekränzten Nachen,
und fleht um Heimkehr 3).

Täuschend antik erscheinen vorzüglich eine Anzahl Ge-Gedichte elegi-
scher Form.

dichte in elegischem Versmaß oder auch bloß in Hexametern,
deren Inhalt von der eigentlichen Elegie bis zum Epigramm
herabreicht. So wie die Humanisten mit dem Text der
römischen Elegiker am allerfreisten umgingen, so fühlten
sie sich denselben auch in der Nachbildung am Meisten ge-
wachsen. Navagero's Elegie an die Nacht ist so wenig frei

1) Hier nach dem Eingang des Lucretius und nach Horat. Od. IV, I.
2) Das Hereinziehen eines Schutzheiligen in ein wesentlich heidnisches
Beginnen haben wir S. 58 schon bei einem ernstern Anlaß kennen
gelernt.
3) Si satis ventos tolerasse et imbres
Ac minas fatorum hominumque fraudes,
Da Pater tecto salientem avito
Cernere fumum!

Meiſterwerken 1). Einige Odendichter bemächtigen ſich des3. Abſchnitt.
Heiligencultes und bilden ihre Invocationen ſehr geſchmack-
voll den horaziſchen und catulliſchen Oden analogen In-
haltes nach. So Navagero in der Ode an den ErzengelDie Oden auf
Heilige.

Gabriel, ſo beſonders Sannazaro, der in der Subſtituirung
einer heidniſchen Andacht ſehr weit geht. Er feiert vor-
züglich ſeinen Namensheiligen 2), deſſen Capelle zu ſeiner
herrlich gelegenen kleinen Villa am Geſtade des Poſilipp
gehörte, „dort wo die Meereswoge den Felsquell wegſchlürft
und an die Mauer des kleinen Heiligthums anſchlägt“.
Seine Freude iſt das alljährliche St. Nazariusfeſt, und
das Laubwerk und die Guirlanden, womit das Kirchlein
zumal an dieſem Tage geſchmückt wird, erſcheinen ihm als
Opfergaben. Auch fern auf der Flucht, mit dem verjagten
Federigo von Aragon, zu St. Nazaire an der Loiremün-
dung, bringt er voll tiefen Herzeleides ſeinem Heiligen am
Namenstage Kränze von Bux und Eichenlaub; er gedenkt
früherer Jahre, da die jungen Leute des ganzen Poſilipp
zu ſeinem Feſte gefahren kamen auf bekränzten Nachen,
und fleht um Heimkehr 3).

Täuſchend antik erſcheinen vorzüglich eine Anzahl Ge-Gedichte elegi-
ſcher Form.

dichte in elegiſchem Versmaß oder auch bloß in Hexametern,
deren Inhalt von der eigentlichen Elegie bis zum Epigramm
herabreicht. So wie die Humaniſten mit dem Text der
römiſchen Elegiker am allerfreiſten umgingen, ſo fühlten
ſie ſich denſelben auch in der Nachbildung am Meiſten ge-
wachſen. Navagero's Elegie an die Nacht iſt ſo wenig frei

1) Hier nach dem Eingang des Lucretius und nach Horat. Od. IV, I.
2) Das Hereinziehen eines Schutzheiligen in ein weſentlich heidniſches
Beginnen haben wir S. 58 ſchon bei einem ernſtern Anlaß kennen
gelernt.
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Ac minas fatorum hominumque fraudes,
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Cernere fumum!
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[261/0271] Meiſterwerken 1). Einige Odendichter bemächtigen ſich des Heiligencultes und bilden ihre Invocationen ſehr geſchmack- voll den horaziſchen und catulliſchen Oden analogen In- haltes nach. So Navagero in der Ode an den Erzengel Gabriel, ſo beſonders Sannazaro, der in der Subſtituirung einer heidniſchen Andacht ſehr weit geht. Er feiert vor- züglich ſeinen Namensheiligen 2), deſſen Capelle zu ſeiner herrlich gelegenen kleinen Villa am Geſtade des Poſilipp gehörte, „dort wo die Meereswoge den Felsquell wegſchlürft und an die Mauer des kleinen Heiligthums anſchlägt“. Seine Freude iſt das alljährliche St. Nazariusfeſt, und das Laubwerk und die Guirlanden, womit das Kirchlein zumal an dieſem Tage geſchmückt wird, erſcheinen ihm als Opfergaben. Auch fern auf der Flucht, mit dem verjagten Federigo von Aragon, zu St. Nazaire an der Loiremün- dung, bringt er voll tiefen Herzeleides ſeinem Heiligen am Namenstage Kränze von Bux und Eichenlaub; er gedenkt früherer Jahre, da die jungen Leute des ganzen Poſilipp zu ſeinem Feſte gefahren kamen auf bekränzten Nachen, und fleht um Heimkehr 3). 3. Abſchnitt. Die Oden auf Heilige. Täuſchend antik erſcheinen vorzüglich eine Anzahl Ge- dichte in elegiſchem Versmaß oder auch bloß in Hexametern, deren Inhalt von der eigentlichen Elegie bis zum Epigramm herabreicht. So wie die Humaniſten mit dem Text der römiſchen Elegiker am allerfreiſten umgingen, ſo fühlten ſie ſich denſelben auch in der Nachbildung am Meiſten ge- wachſen. Navagero's Elegie an die Nacht iſt ſo wenig frei Gedichte elegi- ſcher Form. 1) Hier nach dem Eingang des Lucretius und nach Horat. Od. IV, I. 2) Das Hereinziehen eines Schutzheiligen in ein weſentlich heidniſches Beginnen haben wir S. 58 ſchon bei einem ernſtern Anlaß kennen gelernt. 3) Si satis ventos tolerasse et imbres Ac minas fatorum hominumque fraudes, Da Pater tecto salientem avito Cernere fumum!

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/271>, abgerufen am 19.04.2024.