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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.kung und Zurücksetzung dahin; ein Venezianer stirbt vor
Gram, weil sein Söhnchen, ein Wunderkind, gestorben ist,
und die Mutter und deren Bruder folgen bald, als zöge
das Kind sie alle nach sich. Ziemlich viele, zumal Floren-
tiner, enden durch Selbstmord 1), andere durch geheime Justiz
Der
tiefere Grund
desselben.
eines Tyrannen. Wer ist am Ende noch glücklich? und
auf welche Weise? etwa durch völlige Abstumpfung des
Gefühles gegen solchen Jammer? Einer der Mitredner des
Dialoges, in welchen Pierio seine Darstellung gekleidet hat,
weiß Rath in diesen Fragen; es ist der herrliche Gasparo
Contarini, und schon bei Nennung dieses Namens darf
man erwarten, daß uns wenigstens Etwas von dem Tiefsten
und Wahrsten mitgetheilt werde, was sich damals darüber
denken ließ. Als Bild eines glücklichen Gelehrten erscheint
ihm Urbano Valeriano von Belluno, der in Venedig lange Zeit
hindurch Lehrer des Griechischen war, Griechenland und
den Orient besuchte, noch in späten Jahren bald dieses und
bald jenes Land durchlief ohne je ein Thier zu besteigen,
nie einen Heller für sich besaß, alle Ehren und Standes-
erhöhungen zurückwies, und nach einem heitern Alter im
84sten Jahre starb ohne, mit Ausnahme eines Sturzes von
der Leiter, eine kranke Stunde gehabt zu haben. Was
unterschied ihn von den Humanisten? Diese haben mehr
freien Willen, mehr losgebundene Subjectivität als sie mit
Das Gegenbild
des Humanisten.
Glück verwerthen können; der Bettelmönch dagegen, im
Kloster seit seinen Knabenjahren, hatte nie nach eigenem
Belieben auch nur Speise oder Schlaf genossen und empfand
deßhalb den Zwang nicht mehr als Zwang; kraft dieser
Gewöhnung führte er mitten in allen Beschwerden das
innerlich ruhigste Leben und wirkte durch diesen Eindruck
mehr auf seine Zuhörer als durch sein Griechisch; sie glaub-
ten nunmehr überzeugt zu sein, daß es von uns selbst ab-
hänge, ob wir im Mißgeschick jammern oder uns trösten

1) Hiezu vgl. schon Dante, Inferno, XIII.

3. Abſchnitt.kung und Zurückſetzung dahin; ein Venezianer ſtirbt vor
Gram, weil ſein Söhnchen, ein Wunderkind, geſtorben iſt,
und die Mutter und deren Bruder folgen bald, als zöge
das Kind ſie alle nach ſich. Ziemlich viele, zumal Floren-
tiner, enden durch Selbſtmord 1), andere durch geheime Juſtiz
Der
tiefere Grund
deſſelben.
eines Tyrannen. Wer iſt am Ende noch glücklich? und
auf welche Weiſe? etwa durch völlige Abſtumpfung des
Gefühles gegen ſolchen Jammer? Einer der Mitredner des
Dialoges, in welchen Pierio ſeine Darſtellung gekleidet hat,
weiß Rath in dieſen Fragen; es iſt der herrliche Gasparo
Contarini, und ſchon bei Nennung dieſes Namens darf
man erwarten, daß uns wenigſtens Etwas von dem Tiefſten
und Wahrſten mitgetheilt werde, was ſich damals darüber
denken ließ. Als Bild eines glücklichen Gelehrten erſcheint
ihm Urbano Valeriano von Belluno, der in Venedig lange Zeit
hindurch Lehrer des Griechiſchen war, Griechenland und
den Orient beſuchte, noch in ſpäten Jahren bald dieſes und
bald jenes Land durchlief ohne je ein Thier zu beſteigen,
nie einen Heller für ſich beſaß, alle Ehren und Standes-
erhöhungen zurückwies, und nach einem heitern Alter im
84ſten Jahre ſtarb ohne, mit Ausnahme eines Sturzes von
der Leiter, eine kranke Stunde gehabt zu haben. Was
unterſchied ihn von den Humaniſten? Dieſe haben mehr
freien Willen, mehr losgebundene Subjectivität als ſie mit
Das Gegenbild
des Humaniſten.
Glück verwerthen können; der Bettelmönch dagegen, im
Kloſter ſeit ſeinen Knabenjahren, hatte nie nach eigenem
Belieben auch nur Speiſe oder Schlaf genoſſen und empfand
deßhalb den Zwang nicht mehr als Zwang; kraft dieſer
Gewöhnung führte er mitten in allen Beſchwerden das
innerlich ruhigſte Leben und wirkte durch dieſen Eindruck
mehr auf ſeine Zuhörer als durch ſein Griechiſch; ſie glaub-
ten nunmehr überzeugt zu ſein, daß es von uns ſelbſt ab-
hänge, ob wir im Mißgeſchick jammern oder uns tröſten

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[274/0284] kung und Zurückſetzung dahin; ein Venezianer ſtirbt vor Gram, weil ſein Söhnchen, ein Wunderkind, geſtorben iſt, und die Mutter und deren Bruder folgen bald, als zöge das Kind ſie alle nach ſich. Ziemlich viele, zumal Floren- tiner, enden durch Selbſtmord 1), andere durch geheime Juſtiz eines Tyrannen. Wer iſt am Ende noch glücklich? und auf welche Weiſe? etwa durch völlige Abſtumpfung des Gefühles gegen ſolchen Jammer? Einer der Mitredner des Dialoges, in welchen Pierio ſeine Darſtellung gekleidet hat, weiß Rath in dieſen Fragen; es iſt der herrliche Gasparo Contarini, und ſchon bei Nennung dieſes Namens darf man erwarten, daß uns wenigſtens Etwas von dem Tiefſten und Wahrſten mitgetheilt werde, was ſich damals darüber denken ließ. Als Bild eines glücklichen Gelehrten erſcheint ihm Urbano Valeriano von Belluno, der in Venedig lange Zeit hindurch Lehrer des Griechiſchen war, Griechenland und den Orient beſuchte, noch in ſpäten Jahren bald dieſes und bald jenes Land durchlief ohne je ein Thier zu beſteigen, nie einen Heller für ſich beſaß, alle Ehren und Standes- erhöhungen zurückwies, und nach einem heitern Alter im 84ſten Jahre ſtarb ohne, mit Ausnahme eines Sturzes von der Leiter, eine kranke Stunde gehabt zu haben. Was unterſchied ihn von den Humaniſten? Dieſe haben mehr freien Willen, mehr losgebundene Subjectivität als ſie mit Glück verwerthen können; der Bettelmönch dagegen, im Kloſter ſeit ſeinen Knabenjahren, hatte nie nach eigenem Belieben auch nur Speiſe oder Schlaf genoſſen und empfand deßhalb den Zwang nicht mehr als Zwang; kraft dieſer Gewöhnung führte er mitten in allen Beſchwerden das innerlich ruhigſte Leben und wirkte durch dieſen Eindruck mehr auf ſeine Zuhörer als durch ſein Griechiſch; ſie glaub- ten nunmehr überzeugt zu ſein, daß es von uns ſelbſt ab- hänge, ob wir im Mißgeſchick jammern oder uns tröſten 3. Abſchnitt. Der tiefere Grund deſſelben. Das Gegenbild des Humaniſten. 1) Hiezu vgl. ſchon Dante, Inferno, XIII.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/284>, abgerufen am 19.04.2024.