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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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wußte, aber sie hatten keinen Drang, ein Bild davon zu4. Abschnitt.
entwerfen, und kein Bewußtsein, daß die Welt solche Bilder
verlange.

Auch in der Cosmographie 1) wird man umsonst genauWechselwirkung
von Entdeckung
u. Beschreibung.

zu sondern suchen, wie viel dem Studium der Alten, wie
viel dem eigenthümlichen Genius der Italiener auf die
Rechnung zu schreiben sei. Sie beobachten und behandeln
die Dinge dieser Welt objectiv noch bevor sie die Alten
genauer kennen, weil sie selber noch ein halbantikes Volk
sind und weil ihr politischer Zustand sie dazu vorbereitet;
sie würden aber nicht zu solcher raschen Reife darin gelangt
sein, hätten ihnen nicht die alten Geographen den Weg
gewiesen. Ganz unberechenbar ist endlich die Einwirkung
der schon vorhandenen italienischen Cosmographien auf Geist
und Tendenz der Reisenden, der Entdecker. Auch der
dilettantische Bearbeiter einer Wissenschaft, wenn wir z. B.
im vorliegenden Fall den Aeneas Sylvius so niedrig taxiren
wollen, kann gerade diejenige Art von allgemeinem Interesse
für die Sache verbreiten, welche für neue Unternehmer den
unentbehrlichen neuen Boden einer herrschenden Meinung,
eines günstigen Vorurtheils bildet. Wahre Entdecker in
allen Fächern wissen recht wohl was sie solchen Vermittlern
verdanken.

Für die Stellung der Italiener im Bereich der Natur-Naturwissen-
schaften.

wissenschaften müssen wir auf die besondern Fachbücher
verweisen, von welchen uns nur das offenbar sehr flüchtige
und absprechende Werk Libri's bekannt ist 2). Der Streit

1) Im XVI. Jahrh. hielt sich Italien noch lange als die vorzugsweise
Heimath der cosmographischen Literatur, als die Entdecker selbst schon fast
nur den atlantischen Völkern angehörten. Die einheimische Geo-
graphie hat gegen Mitte des Jahrh. das große und sehr achtungs-
werthe Werk des Leandro Alberti: Descrizione di tutta l'Italia
aufzuweisen.
2) Libri, Histoire des sciences mathematiques en Italie, IV voll.,
Paris
1838.

wußte, aber ſie hatten keinen Drang, ein Bild davon zu4. Abſchnitt.
entwerfen, und kein Bewußtſein, daß die Welt ſolche Bilder
verlange.

Auch in der Cosmographie 1) wird man umſonſt genauWechſelwirkung
von Entdeckung
u. Beſchreibung.

zu ſondern ſuchen, wie viel dem Studium der Alten, wie
viel dem eigenthümlichen Genius der Italiener auf die
Rechnung zu ſchreiben ſei. Sie beobachten und behandeln
die Dinge dieſer Welt objectiv noch bevor ſie die Alten
genauer kennen, weil ſie ſelber noch ein halbantikes Volk
ſind und weil ihr politiſcher Zuſtand ſie dazu vorbereitet;
ſie würden aber nicht zu ſolcher raſchen Reife darin gelangt
ſein, hätten ihnen nicht die alten Geographen den Weg
gewieſen. Ganz unberechenbar iſt endlich die Einwirkung
der ſchon vorhandenen italieniſchen Cosmographien auf Geiſt
und Tendenz der Reiſenden, der Entdecker. Auch der
dilettantiſche Bearbeiter einer Wiſſenſchaft, wenn wir z. B.
im vorliegenden Fall den Aeneas Sylvius ſo niedrig taxiren
wollen, kann gerade diejenige Art von allgemeinem Intereſſe
für die Sache verbreiten, welche für neue Unternehmer den
unentbehrlichen neuen Boden einer herrſchenden Meinung,
eines günſtigen Vorurtheils bildet. Wahre Entdecker in
allen Fächern wiſſen recht wohl was ſie ſolchen Vermittlern
verdanken.

Für die Stellung der Italiener im Bereich der Natur-Naturwiſſen-
ſchaften.

wiſſenſchaften müſſen wir auf die beſondern Fachbücher
verweiſen, von welchen uns nur das offenbar ſehr flüchtige
und abſprechende Werk Libri's bekannt iſt 2). Der Streit

1) Im XVI. Jahrh. hielt ſich Italien noch lange als die vorzugsweiſe
Heimath der cosmographiſchen Literatur, als die Entdecker ſelbſt ſchon faſt
nur den atlantiſchen Völkern angehörten. Die einheimiſche Geo-
graphie hat gegen Mitte des Jahrh. das große und ſehr achtungs-
werthe Werk des Leandro Alberti: Descrizione di tutta l'Italia
aufzuweiſen.
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Paris
1838.
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[283/0293] wußte, aber ſie hatten keinen Drang, ein Bild davon zu entwerfen, und kein Bewußtſein, daß die Welt ſolche Bilder verlange. 4. Abſchnitt. Auch in der Cosmographie 1) wird man umſonſt genau zu ſondern ſuchen, wie viel dem Studium der Alten, wie viel dem eigenthümlichen Genius der Italiener auf die Rechnung zu ſchreiben ſei. Sie beobachten und behandeln die Dinge dieſer Welt objectiv noch bevor ſie die Alten genauer kennen, weil ſie ſelber noch ein halbantikes Volk ſind und weil ihr politiſcher Zuſtand ſie dazu vorbereitet; ſie würden aber nicht zu ſolcher raſchen Reife darin gelangt ſein, hätten ihnen nicht die alten Geographen den Weg gewieſen. Ganz unberechenbar iſt endlich die Einwirkung der ſchon vorhandenen italieniſchen Cosmographien auf Geiſt und Tendenz der Reiſenden, der Entdecker. Auch der dilettantiſche Bearbeiter einer Wiſſenſchaft, wenn wir z. B. im vorliegenden Fall den Aeneas Sylvius ſo niedrig taxiren wollen, kann gerade diejenige Art von allgemeinem Intereſſe für die Sache verbreiten, welche für neue Unternehmer den unentbehrlichen neuen Boden einer herrſchenden Meinung, eines günſtigen Vorurtheils bildet. Wahre Entdecker in allen Fächern wiſſen recht wohl was ſie ſolchen Vermittlern verdanken. Wechſelwirkung von Entdeckung u. Beſchreibung. Für die Stellung der Italiener im Bereich der Natur- wiſſenſchaften müſſen wir auf die beſondern Fachbücher verweiſen, von welchen uns nur das offenbar ſehr flüchtige und abſprechende Werk Libri's bekannt iſt 2). Der Streit Naturwiſſen- ſchaften. 1) Im XVI. Jahrh. hielt ſich Italien noch lange als die vorzugsweiſe Heimath der cosmographiſchen Literatur, als die Entdecker ſelbſt ſchon faſt nur den atlantiſchen Völkern angehörten. Die einheimiſche Geo- graphie hat gegen Mitte des Jahrh. das große und ſehr achtungs- werthe Werk des Leandro Alberti: Descrizione di tutta l'Italia aufzuweiſen. 2) Libri, Histoire des sciences mathématiques en Italie, IV voll., Paris 1838.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/293>, abgerufen am 29.03.2024.