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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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da ist kein Standesvorurtheil, das ihn hätte hindern können,1. Abschnitt.
die allerindividuellste Popularität bei jedem Einzelnen zu
erwerben und in schwierigen Augenblicken gehörig zu be-
nützen; es kam vor, daß die Feinde bei seinem Anblick die
Waffen weglegten und mit entblößtem Haupt ihn ehrerbietig
grüßten, weil ihn jeder für den gemeinsamen "Vater der
Kriegerschaft" hielt. Dieses Geschlecht Sforza gewährt
überhaupt das Interesse, daß man die Vorbereitung auf das
Fürstenthum von Anfang an glaubt durchschimmern zu
sehen. 1) Das Fundament dieses Glückes bildete die großeJacopo
Sforza.

Fruchtbarkeit der Familie; Francesco's bereits hochberühmter
Vater Jacopo hatte zwanzig Geschwister, alle rauh erzogen
in Cotignola bei Faenza, unter dem Eindruck einer jener
endlosen romagnolischen Vendetten zwischen ihnen und dem
Hause der Pasolini. Die ganze Wohnung war lauter Ar-
senal und Wachtstube, auch Mutter und Töchter völlig
kriegerisch. Schon im dreizehnten Jahre ritt Jacopo heim-
lich von dannen, zunächst nach Panicale zum päpstlichen
Condottiere Boldrino, demselben welcher dann noch im Tode
seine Schaar anführte, indem die Parole von einem fahnen-
umsteckten Zelte aus gegeben wurde, in welchem der ein-
balsamirte Leichnam lag -- bis sich ein würdiger Nachfolger
fand. Jacopo, als er in verschiedenen Diensten allmählig
emporkam, zog auch seine Angehörigen nach sich und genoß
durch dieselben die nämlichen Vortheile, die einem Fürsten
eine zahlreiche Dynastie verleiht. Diese Verwandten sind
es, welche die Armee beisammen halten, während er im
Castel dell 'uovo zu Neapel liegt; seine Schwester nimmt
eigenhändig die königlichen Unterhändler gefangen und rettet
ihn durch dieses Pfand vom Tode. Es deutet schon aufSeine Aus-
sichten.

Absichten von Dauer und Tragweite, daß Jacopo in Geld-
sachen äußerst zuverlässig war und deßhalb auch nach

1) Wenigstens bei Paul. Jovius, in seiner Vita magni Sfortiae (Viri
illustres),
einer der anziehendsten von seinen Biographien.

da iſt kein Standesvorurtheil, das ihn hätte hindern können,1. Abſchnitt.
die allerindividuellſte Popularität bei jedem Einzelnen zu
erwerben und in ſchwierigen Augenblicken gehörig zu be-
nützen; es kam vor, daß die Feinde bei ſeinem Anblick die
Waffen weglegten und mit entblößtem Haupt ihn ehrerbietig
grüßten, weil ihn jeder für den gemeinſamen „Vater der
Kriegerſchaft“ hielt. Dieſes Geſchlecht Sforza gewährt
überhaupt das Intereſſe, daß man die Vorbereitung auf das
Fürſtenthum von Anfang an glaubt durchſchimmern zu
ſehen. 1) Das Fundament dieſes Glückes bildete die großeJacopo
Sforza.

Fruchtbarkeit der Familie; Francesco's bereits hochberühmter
Vater Jacopo hatte zwanzig Geſchwiſter, alle rauh erzogen
in Cotignola bei Faenza, unter dem Eindruck einer jener
endloſen romagnoliſchen Vendetten zwiſchen ihnen und dem
Hauſe der Paſolini. Die ganze Wohnung war lauter Ar-
ſenal und Wachtſtube, auch Mutter und Töchter völlig
kriegeriſch. Schon im dreizehnten Jahre ritt Jacopo heim-
lich von dannen, zunächſt nach Panicale zum päpſtlichen
Condottiere Boldrino, demſelben welcher dann noch im Tode
ſeine Schaar anführte, indem die Parole von einem fahnen-
umſteckten Zelte aus gegeben wurde, in welchem der ein-
balſamirte Leichnam lag — bis ſich ein würdiger Nachfolger
fand. Jacopo, als er in verſchiedenen Dienſten allmählig
emporkam, zog auch ſeine Angehörigen nach ſich und genoß
durch dieſelben die nämlichen Vortheile, die einem Fürſten
eine zahlreiche Dynaſtie verleiht. Dieſe Verwandten ſind
es, welche die Armee beiſammen halten, während er im
Caſtel dell 'uovo zu Neapel liegt; ſeine Schweſter nimmt
eigenhändig die königlichen Unterhändler gefangen und rettet
ihn durch dieſes Pfand vom Tode. Es deutet ſchon aufSeine Aus-
ſichten.

Abſichten von Dauer und Tragweite, daß Jacopo in Geld-
ſachen äußerſt zuverläſſig war und deßhalb auch nach

1) Wenigſtens bei Paul. Jovius, in ſeiner Vita magni Sfortiæ (Viri
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[23/0033] da iſt kein Standesvorurtheil, das ihn hätte hindern können, die allerindividuellſte Popularität bei jedem Einzelnen zu erwerben und in ſchwierigen Augenblicken gehörig zu be- nützen; es kam vor, daß die Feinde bei ſeinem Anblick die Waffen weglegten und mit entblößtem Haupt ihn ehrerbietig grüßten, weil ihn jeder für den gemeinſamen „Vater der Kriegerſchaft“ hielt. Dieſes Geſchlecht Sforza gewährt überhaupt das Intereſſe, daß man die Vorbereitung auf das Fürſtenthum von Anfang an glaubt durchſchimmern zu ſehen. 1) Das Fundament dieſes Glückes bildete die große Fruchtbarkeit der Familie; Francesco's bereits hochberühmter Vater Jacopo hatte zwanzig Geſchwiſter, alle rauh erzogen in Cotignola bei Faenza, unter dem Eindruck einer jener endloſen romagnoliſchen Vendetten zwiſchen ihnen und dem Hauſe der Paſolini. Die ganze Wohnung war lauter Ar- ſenal und Wachtſtube, auch Mutter und Töchter völlig kriegeriſch. Schon im dreizehnten Jahre ritt Jacopo heim- lich von dannen, zunächſt nach Panicale zum päpſtlichen Condottiere Boldrino, demſelben welcher dann noch im Tode ſeine Schaar anführte, indem die Parole von einem fahnen- umſteckten Zelte aus gegeben wurde, in welchem der ein- balſamirte Leichnam lag — bis ſich ein würdiger Nachfolger fand. Jacopo, als er in verſchiedenen Dienſten allmählig emporkam, zog auch ſeine Angehörigen nach ſich und genoß durch dieſelben die nämlichen Vortheile, die einem Fürſten eine zahlreiche Dynaſtie verleiht. Dieſe Verwandten ſind es, welche die Armee beiſammen halten, während er im Caſtel dell 'uovo zu Neapel liegt; ſeine Schweſter nimmt eigenhändig die königlichen Unterhändler gefangen und rettet ihn durch dieſes Pfand vom Tode. Es deutet ſchon auf Abſichten von Dauer und Tragweite, daß Jacopo in Geld- ſachen äußerſt zuverläſſig war und deßhalb auch nach 1. Abſchnitt. Jacopo Sforza. Seine Aus- ſichten. 1) Wenigſtens bei Paul. Jovius, in ſeiner Vita magni Sfortiæ (Viri illustres), einer der anziehendſten von ſeinen Biographien.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/33>, abgerufen am 19.04.2024.