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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Vorrede
Unter diesen Namen ist keiner türkisch, als Dußalpis. Die Karamaner sind
zwar in den Morgenländern wohl bekannt; man rechnet sie aber fälschlich unter
die Ogußier. Denn der Stifter dieses Hauses, Karaman Ogli, von dem
dessen Länder und Geschlecht den Namen bekommen haben, war einer von den
persischen Satrapen oder Statthaltern, die bey dem Einbruche Dschingjiß
Chans das persische Joch abwarfen. Seine Nachkommen aber werden von
den türkischen Geschichtschreibern als Feinde von dem Wachsthume des osma-
nischen Reichs beschrieben; wie dann auch ihre Herrschaft nicht eher völlig zer-
störet wurde, als im Jahre der Hidschret 872, unter der Regierung des Sul-
tan Muhämmeds, der Constantinopel erobert hat.

5.

Nachdem ich bisher die verschiedenen Meinungen der Schriftsteller
überhaupt untersuchet habe: so will ich nunmehr weiter zu den Gedanken
einiger angesehenen Verfasser insbesondere fortschreiten. Der erste, der uns
vorkommt, ist Laonikus Chalkokondylas: ein Mann, den man nicht allein
unter die guten Schriftsteller der Schule zu rechnen hat; sondern der auch als
ein sehr fleißiger Nachforscher in den osmanischen Sachen anzusehen ist. Die-
ser träget die verschiedenen Meinungen von dem Ursprunge der Türken zusam-
men, und erzählet sie in seinem ersten Buche kürzlich auf folgende Weise.
1. Einige (saget derselbe) halten dafür, daß die Türken (das ist, die Osma-
nen) von den Scythen, die man auch Tatarn nennet, herkommen, und zu der
Zeit, da die Parther berühmt waren, zu sieben verschiedenen malen von dem
Don aufgebrochen sind, und eben so oft das obere Asien verwüstet haben. Sie
glauben, diese Muthmaßung werde dadurch bestätiget, daß (wie sie sagen)
man noch heutiges Tages, dem Berichte nach, viele von diesem Volke durch
Asien zerstreuet antrifft, die den scythischen Wanderern in ihren Sitten und
ihrer Lebensart gleichen, das ist, die keine festen Wohnungen haben. Er setzet
noch weiter hinzu: Sie sind bemühet, ihre Meinung, daß die Türken von
scythischer Abkunft seyen, mit noch einem andern Grunde zu bestärken; näm-
lich, weil die barbarischen Völker, die Türken, die sich in Lydien, Karien,
Phrygien und Kappadocien aufhalten, bekanntermaßen weder der Sprache

noch

Vorrede
Unter dieſen Namen iſt keiner tuͤrkiſch, als Dußalpis. Die Karamaner ſind
zwar in den Morgenlaͤndern wohl bekannt; man rechnet ſie aber faͤlſchlich unter
die Ogußier. Denn der Stifter dieſes Hauſes, Karaman Ogli, von dem
deſſen Laͤnder und Geſchlecht den Namen bekommen haben, war einer von den
perſiſchen Satrapen oder Statthaltern, die bey dem Einbruche Dſchingjiß
Chans das perſiſche Joch abwarfen. Seine Nachkommen aber werden von
den tuͤrkiſchen Geſchichtſchreibern als Feinde von dem Wachsthume des osma-
niſchen Reichs beſchrieben; wie dann auch ihre Herrſchaft nicht eher voͤllig zer-
ſtoͤret wurde, als im Jahre der Hidſchret 872, unter der Regierung des Sul-
tan Muhaͤmmeds, der Conſtantinopel erobert hat.

5.

Nachdem ich bisher die verſchiedenen Meinungen der Schriftſteller
uͤberhaupt unterſuchet habe: ſo will ich nunmehr weiter zu den Gedanken
einiger angeſehenen Verfaſſer insbeſondere fortſchreiten. Der erſte, der uns
vorkommt, iſt Laonikus Chalkokondylas: ein Mann, den man nicht allein
unter die guten Schriftſteller der Schule zu rechnen hat; ſondern der auch als
ein ſehr fleißiger Nachforſcher in den osmaniſchen Sachen anzuſehen iſt. Die-
ſer traͤget die verſchiedenen Meinungen von dem Urſprunge der Tuͤrken zuſam-
men, und erzaͤhlet ſie in ſeinem erſten Buche kuͤrzlich auf folgende Weiſe.
1. Einige (ſaget derſelbe) halten dafuͤr, daß die Tuͤrken (das iſt, die Osma-
nen) von den Scythen, die man auch Tatarn nennet, herkommen, und zu der
Zeit, da die Parther beruͤhmt waren, zu ſieben verſchiedenen malen von dem
Don aufgebrochen ſind, und eben ſo oft das obere Aſien verwuͤſtet haben. Sie
glauben, dieſe Muthmaßung werde dadurch beſtaͤtiget, daß (wie ſie ſagen)
man noch heutiges Tages, dem Berichte nach, viele von dieſem Volke durch
Aſien zerſtreuet antrifft, die den ſcythiſchen Wanderern in ihren Sitten und
ihrer Lebensart gleichen, das iſt, die keine feſten Wohnungen haben. Er ſetzet
noch weiter hinzu: Sie ſind bemuͤhet, ihre Meinung, daß die Tuͤrken von
ſcythiſcher Abkunft ſeyen, mit noch einem andern Grunde zu beſtaͤrken; naͤm-
lich, weil die barbariſchen Voͤlker, die Tuͤrken, die ſich in Lydien, Karien,
Phrygien und Kappadocien aufhalten, bekanntermaßen weder der Sprache

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[48/0054] Vorrede Unter dieſen Namen iſt keiner tuͤrkiſch, als Dußalpis. Die Karamaner ſind zwar in den Morgenlaͤndern wohl bekannt; man rechnet ſie aber faͤlſchlich unter die Ogußier. Denn der Stifter dieſes Hauſes, Karaman Ogli, von dem deſſen Laͤnder und Geſchlecht den Namen bekommen haben, war einer von den perſiſchen Satrapen oder Statthaltern, die bey dem Einbruche Dſchingjiß Chans das perſiſche Joch abwarfen. Seine Nachkommen aber werden von den tuͤrkiſchen Geſchichtſchreibern als Feinde von dem Wachsthume des osma- niſchen Reichs beſchrieben; wie dann auch ihre Herrſchaft nicht eher voͤllig zer- ſtoͤret wurde, als im Jahre der Hidſchret 872, unter der Regierung des Sul- tan Muhaͤmmeds, der Conſtantinopel erobert hat. 5. Nachdem ich bisher die verſchiedenen Meinungen der Schriftſteller uͤberhaupt unterſuchet habe: ſo will ich nunmehr weiter zu den Gedanken einiger angeſehenen Verfaſſer insbeſondere fortſchreiten. Der erſte, der uns vorkommt, iſt Laonikus Chalkokondylas: ein Mann, den man nicht allein unter die guten Schriftſteller der Schule zu rechnen hat; ſondern der auch als ein ſehr fleißiger Nachforſcher in den osmaniſchen Sachen anzuſehen iſt. Die- ſer traͤget die verſchiedenen Meinungen von dem Urſprunge der Tuͤrken zuſam- men, und erzaͤhlet ſie in ſeinem erſten Buche kuͤrzlich auf folgende Weiſe. 1. Einige (ſaget derſelbe) halten dafuͤr, daß die Tuͤrken (das iſt, die Osma- nen) von den Scythen, die man auch Tatarn nennet, herkommen, und zu der Zeit, da die Parther beruͤhmt waren, zu ſieben verſchiedenen malen von dem Don aufgebrochen ſind, und eben ſo oft das obere Aſien verwuͤſtet haben. Sie glauben, dieſe Muthmaßung werde dadurch beſtaͤtiget, daß (wie ſie ſagen) man noch heutiges Tages, dem Berichte nach, viele von dieſem Volke durch Aſien zerſtreuet antrifft, die den ſcythiſchen Wanderern in ihren Sitten und ihrer Lebensart gleichen, das iſt, die keine feſten Wohnungen haben. Er ſetzet noch weiter hinzu: Sie ſind bemuͤhet, ihre Meinung, daß die Tuͤrken von ſcythiſcher Abkunft ſeyen, mit noch einem andern Grunde zu beſtaͤrken; naͤm- lich, weil die barbariſchen Voͤlker, die Tuͤrken, die ſich in Lydien, Karien, Phrygien und Kappadocien aufhalten, bekanntermaßen weder der Sprache noch

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/54>, abgerufen am 29.03.2024.