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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
gament mit einem Siegel daran legalisierte jedes Verbrechen. Die
Erbin, Verwalterin und Verbreiterin dieser staatsrechtlichen Auffassung
war die Stadt Rom mit ihrem pontifex maximus, und selbstverständ-
lich nützte sie diese Prinzipien zu ihrem eigenen Vorteil. Zu gleicher
Zeit aber war die Kirche die Erbin der jüdischen hierokratischen Staats-
idee, mit dem Hohenpriester als oberster Gewalt; die Schriften der
Kirchenväter vom 3. Jahrhundert ab sind so gesättigt mit den Vor-
stellungen und Aussprüchen des Alten Testamentes, dass man gar
nicht bezweifeln kann, die Errichtung eines Weltstaates mit Zugrunde-
legung des jüdischen Priesterregimentes sei ihr Ideal gewesen.1) In
diesen Beziehungen ist offenbar, ich wiederhole es, die römische Kirche
als eine rein politische Macht aufzufassen: hier steht nicht eine Kirche
einem Staate gegenüber, sondern ein Staat dem anderen, ein politisches
Ideal einem anderen politischen Ideal.

Doch ausser dem Kampf im Staate, der nirgends so scharf
und unerbittlich wütete, wie in dem Ringen zwischen römisch-
imperialen und germanisch-nationalen Vorstellungen, sowie zwischen
jüdischer Theokratie und christlichem "Gebet Cäsar, was Cäsar's ist",
gab es einen anderen, gar bedeutungsschweren Kampf: den um die
Religion selbst. Und dieser ist in unserem 19. Jahrhundert eben-
sowenig beendet wie jener. In unseren laisierten Staaten schienen
zu Beginn des Säculums die religiösen Gegensätze alle Schärfe ver-
loren zu haben, unser Jahrhundert hatte sich als eine Epoche der
unbedingten Toleranz angelassen; doch seit dreissig Jahren sind die
kirchlichen Hetzer wiederum eifrig am Werke, und so finster umhüllt
uns noch die Nacht des Mittelalters, dass gerade auf diesem Gebiete
jede Waffe als gut gilt und sich thatsächlich als gut bewährt, und
sei es auch Lüge, Geschichtsfälschung, politische Pression, gesell-
schaftlicher Zwang. In diesem Kampf um die Religion handelt es
sich in der That um keine Kleinigkeit. Unter einem Dogmenstreit,
so subtil, dass er dem Laien nichtig und insofern gänzlich gleichgültig
dünkt, schlummert nicht selten eine jener für die ganze Lebensrichtung
eines Volkes entscheidenden seelischen Grundfragen. Wie viele Laien
z. B. giebt es in Europa, welche fähig sind, den Gegenstand des Streites
über die Natur des Abendmahles zu verstehen? Und doch war es
das Dogma von der Transsubstantiation (im Jahre 1215 erlassen, genau

1) Natürlich sind die ältesten, die wie Origenes, Tertullian u. s. w., keine
Ahnung einer möglichen vorherrschenden Stellung des Christentums besassen,
auszunehmen.

Der Kampf.
gament mit einem Siegel daran legalisierte jedes Verbrechen. Die
Erbin, Verwalterin und Verbreiterin dieser staatsrechtlichen Auffassung
war die Stadt Rom mit ihrem pontifex maximus, und selbstverständ-
lich nützte sie diese Prinzipien zu ihrem eigenen Vorteil. Zu gleicher
Zeit aber war die Kirche die Erbin der jüdischen hierokratischen Staats-
idee, mit dem Hohenpriester als oberster Gewalt; die Schriften der
Kirchenväter vom 3. Jahrhundert ab sind so gesättigt mit den Vor-
stellungen und Aussprüchen des Alten Testamentes, dass man gar
nicht bezweifeln kann, die Errichtung eines Weltstaates mit Zugrunde-
legung des jüdischen Priesterregimentes sei ihr Ideal gewesen.1) In
diesen Beziehungen ist offenbar, ich wiederhole es, die römische Kirche
als eine rein politische Macht aufzufassen: hier steht nicht eine Kirche
einem Staate gegenüber, sondern ein Staat dem anderen, ein politisches
Ideal einem anderen politischen Ideal.

Doch ausser dem Kampf im Staate, der nirgends so scharf
und unerbittlich wütete, wie in dem Ringen zwischen römisch-
imperialen und germanisch-nationalen Vorstellungen, sowie zwischen
jüdischer Theokratie und christlichem »Gebet Cäsar, was Cäsar’s ist«,
gab es einen anderen, gar bedeutungsschweren Kampf: den um die
Religion selbst. Und dieser ist in unserem 19. Jahrhundert eben-
sowenig beendet wie jener. In unseren laïsierten Staaten schienen
zu Beginn des Säculums die religiösen Gegensätze alle Schärfe ver-
loren zu haben, unser Jahrhundert hatte sich als eine Epoche der
unbedingten Toleranz angelassen; doch seit dreissig Jahren sind die
kirchlichen Hetzer wiederum eifrig am Werke, und so finster umhüllt
uns noch die Nacht des Mittelalters, dass gerade auf diesem Gebiete
jede Waffe als gut gilt und sich thatsächlich als gut bewährt, und
sei es auch Lüge, Geschichtsfälschung, politische Pression, gesell-
schaftlicher Zwang. In diesem Kampf um die Religion handelt es
sich in der That um keine Kleinigkeit. Unter einem Dogmenstreit,
so subtil, dass er dem Laien nichtig und insofern gänzlich gleichgültig
dünkt, schlummert nicht selten eine jener für die ganze Lebensrichtung
eines Volkes entscheidenden seelischen Grundfragen. Wie viele Laien
z. B. giebt es in Europa, welche fähig sind, den Gegenstand des Streites
über die Natur des Abendmahles zu verstehen? Und doch war es
das Dogma von der Transsubstantiation (im Jahre 1215 erlassen, genau

1) Natürlich sind die ältesten, die wie Origenes, Tertullian u. s. w., keine
Ahnung einer möglichen vorherrschenden Stellung des Christentums besassen,
auszunehmen.
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[540/0019] Der Kampf. gament mit einem Siegel daran legalisierte jedes Verbrechen. Die Erbin, Verwalterin und Verbreiterin dieser staatsrechtlichen Auffassung war die Stadt Rom mit ihrem pontifex maximus, und selbstverständ- lich nützte sie diese Prinzipien zu ihrem eigenen Vorteil. Zu gleicher Zeit aber war die Kirche die Erbin der jüdischen hierokratischen Staats- idee, mit dem Hohenpriester als oberster Gewalt; die Schriften der Kirchenväter vom 3. Jahrhundert ab sind so gesättigt mit den Vor- stellungen und Aussprüchen des Alten Testamentes, dass man gar nicht bezweifeln kann, die Errichtung eines Weltstaates mit Zugrunde- legung des jüdischen Priesterregimentes sei ihr Ideal gewesen. 1) In diesen Beziehungen ist offenbar, ich wiederhole es, die römische Kirche als eine rein politische Macht aufzufassen: hier steht nicht eine Kirche einem Staate gegenüber, sondern ein Staat dem anderen, ein politisches Ideal einem anderen politischen Ideal. Doch ausser dem Kampf im Staate, der nirgends so scharf und unerbittlich wütete, wie in dem Ringen zwischen römisch- imperialen und germanisch-nationalen Vorstellungen, sowie zwischen jüdischer Theokratie und christlichem »Gebet Cäsar, was Cäsar’s ist«, gab es einen anderen, gar bedeutungsschweren Kampf: den um die Religion selbst. Und dieser ist in unserem 19. Jahrhundert eben- sowenig beendet wie jener. In unseren laïsierten Staaten schienen zu Beginn des Säculums die religiösen Gegensätze alle Schärfe ver- loren zu haben, unser Jahrhundert hatte sich als eine Epoche der unbedingten Toleranz angelassen; doch seit dreissig Jahren sind die kirchlichen Hetzer wiederum eifrig am Werke, und so finster umhüllt uns noch die Nacht des Mittelalters, dass gerade auf diesem Gebiete jede Waffe als gut gilt und sich thatsächlich als gut bewährt, und sei es auch Lüge, Geschichtsfälschung, politische Pression, gesell- schaftlicher Zwang. In diesem Kampf um die Religion handelt es sich in der That um keine Kleinigkeit. Unter einem Dogmenstreit, so subtil, dass er dem Laien nichtig und insofern gänzlich gleichgültig dünkt, schlummert nicht selten eine jener für die ganze Lebensrichtung eines Volkes entscheidenden seelischen Grundfragen. Wie viele Laien z. B. giebt es in Europa, welche fähig sind, den Gegenstand des Streites über die Natur des Abendmahles zu verstehen? Und doch war es das Dogma von der Transsubstantiation (im Jahre 1215 erlassen, genau 1) Natürlich sind die ältesten, die wie Origenes, Tertullian u. s. w., keine Ahnung einer möglichen vorherrschenden Stellung des Christentums besassen, auszunehmen.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/19>, abgerufen am 29.03.2024.