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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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was er besser weiß und was wir gern glauben wollen. Er
vergißt nur, wenn er damit alle historische Erkenntniß ablehnen,
alle historische Fortentwickelung abschneiden will, daß er damit
sein Object zu einem überhaupt naturwissenschaftlichen herab-
würdigt. Selbst wenn wir ihm einräumen wollten, daß der
erfahrungsmäßige Gedankenkreis seiner Wissenschaft über die
Natur des Weibes Aufschlüsse liefert, die dessen Beruf in den
Bereich der Mutterpflichten festbannen, so stände er doch mit
leeren Händen der großen Zahl von weiblichen Wesen gegen-
über, die nun einmal dieser Pflichten nicht theilhaftig werden -
in Folge von Zusammenhängen, die auf anderem als natur-
wissenschaftlichem Boden entspringen.

Und dieses wäre nicht die einzige Kategorie von Fällen,
da eine Tendenz natürlicher Erscheinungen im Volksleben auf
Hindernisse stößt, die überwunden sein wollen durch Maßregeln,
welche den Conflict der Natur und der Cultur lösen. Das
ganze Geschlechtsleben der Menschheit, und gerade im Cultur-
zustande, bildet Analogien dazu.

Jch sagte, wenn wir ihm zugeben wollten, daß die Natur-
wissenschaft ein zureichendes Urtheil über die Natur des Weibes
liefert. Aber ich gebe es nicht zu. Wie sich das Weib ent-
wickelt, wie es sich entwickelt hat, wie es sich fernerhin ent-
wickeln kann, das sind Aufgaben mindestens eben so sehr der
historischen Forschung wie der naturwissenschaftlichen, ja weit
überwiegend der ersteren.

Selbst jene Freunde der Frauenbewegung, welche wohl-
meinend in dem "natürlichen" Beruf des Weibes den un-
wandelbaren Ausgangspunkt suchen, um daraus jede Entwicke-
lung als Nothwendigkeit im Sinne der Natur abzuleiten - sie
beweisen mehr den guten Willen oder den Eifer um einen
zwingenden Beweis für das gute Recht ihrer Bestrebungen, als

was er besser weiß und was wir gern glauben wollen. Er
vergißt nur, wenn er damit alle historische Erkenntniß ablehnen,
alle historische Fortentwickelung abschneiden will, daß er damit
sein Object zu einem überhaupt naturwissenschaftlichen herab-
würdigt. Selbst wenn wir ihm einräumen wollten, daß der
erfahrungsmäßige Gedankenkreis seiner Wissenschaft über die
Natur des Weibes Aufschlüsse liefert, die dessen Beruf in den
Bereich der Mutterpflichten festbannen, so stände er doch mit
leeren Händen der großen Zahl von weiblichen Wesen gegen-
über, die nun einmal dieser Pflichten nicht theilhaftig werden –
in Folge von Zusammenhängen, die auf anderem als natur-
wissenschaftlichem Boden entspringen.

Und dieses wäre nicht die einzige Kategorie von Fällen,
da eine Tendenz natürlicher Erscheinungen im Volksleben auf
Hindernisse stößt, die überwunden sein wollen durch Maßregeln,
welche den Conflict der Natur und der Cultur lösen. Das
ganze Geschlechtsleben der Menschheit, und gerade im Cultur-
zustande, bildet Analogien dazu.

Jch sagte, wenn wir ihm zugeben wollten, daß die Natur-
wissenschaft ein zureichendes Urtheil über die Natur des Weibes
liefert. Aber ich gebe es nicht zu. Wie sich das Weib ent-
wickelt, wie es sich entwickelt hat, wie es sich fernerhin ent-
wickeln kann, das sind Aufgaben mindestens eben so sehr der
historischen Forschung wie der naturwissenschaftlichen, ja weit
überwiegend der ersteren.

Selbst jene Freunde der Frauenbewegung, welche wohl-
meinend in dem „natürlichen“ Beruf des Weibes den un-
wandelbaren Ausgangspunkt suchen, um daraus jede Entwicke-
lung als Nothwendigkeit im Sinne der Natur abzuleiten – sie
beweisen mehr den guten Willen oder den Eifer um einen
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[104/0120] was er besser weiß und was wir gern glauben wollen. Er vergißt nur, wenn er damit alle historische Erkenntniß ablehnen, alle historische Fortentwickelung abschneiden will, daß er damit sein Object zu einem überhaupt naturwissenschaftlichen herab- würdigt. Selbst wenn wir ihm einräumen wollten, daß der erfahrungsmäßige Gedankenkreis seiner Wissenschaft über die Natur des Weibes Aufschlüsse liefert, die dessen Beruf in den Bereich der Mutterpflichten festbannen, so stände er doch mit leeren Händen der großen Zahl von weiblichen Wesen gegen- über, die nun einmal dieser Pflichten nicht theilhaftig werden – in Folge von Zusammenhängen, die auf anderem als natur- wissenschaftlichem Boden entspringen. Und dieses wäre nicht die einzige Kategorie von Fällen, da eine Tendenz natürlicher Erscheinungen im Volksleben auf Hindernisse stößt, die überwunden sein wollen durch Maßregeln, welche den Conflict der Natur und der Cultur lösen. Das ganze Geschlechtsleben der Menschheit, und gerade im Cultur- zustande, bildet Analogien dazu. Jch sagte, wenn wir ihm zugeben wollten, daß die Natur- wissenschaft ein zureichendes Urtheil über die Natur des Weibes liefert. Aber ich gebe es nicht zu. Wie sich das Weib ent- wickelt, wie es sich entwickelt hat, wie es sich fernerhin ent- wickeln kann, das sind Aufgaben mindestens eben so sehr der historischen Forschung wie der naturwissenschaftlichen, ja weit überwiegend der ersteren. Selbst jene Freunde der Frauenbewegung, welche wohl- meinend in dem „natürlichen“ Beruf des Weibes den un- wandelbaren Ausgangspunkt suchen, um daraus jede Entwicke- lung als Nothwendigkeit im Sinne der Natur abzuleiten – sie beweisen mehr den guten Willen oder den Eifer um einen zwingenden Beweis für das gute Recht ihrer Bestrebungen, als

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/120>, abgerufen am 25.04.2024.