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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Ob man es lobt oder tadelt, daß in diesen Jnteressen bisher
der Schwerpunkt der deutschen Frauenbewegung gelegen hat,
daß er darin noch heute liegt, ist zunächst gleichgültig; die That-
sache, daß es so gewesen, gibt den Ausschlag.

Jn dieser Beschränkung ihres hauptsächlichen Gebietes
durchläuft die deutsche Frauenbewegung wiederum verschiedene
Stadien. Sie ist anfänglich, wenigstens in den Berliner An-
fängen, mehr eine Bewegung für weibliche Jnteressen, als eine
Bewegung, deren treibende Kräfte Frauen sind. Erst allmählich
sind es die letzteren, welche in den Vordergrund treten und aus
der Frauenbewegung eine Bewegung für Frauen durch Frauen
machen. Damit geht dann Hand in Hand, daß die treibenden
weiblichen Kräfte zuletzt aufhören, sich auf die Jnteressen ihrer
eigenen Sphäre zu beschränken, daß es die Jnteressen der unteren
Schichten weiblicher Arbeit sind, für die sie wirksam werden,
oder noch besser, daß die Ausfüllung des Daseins der höheren
Schichten weiblicher Wesen durch eine neue Thätigkeit, welche
an die Stelle der alten Leere tritt, gerade in diesem Berufe
der gebildeten Frauen für die unteren Classen der Arbeiterinnen
gefunden wird.

Dieses aber bleibt übrig. Das ohne allen Zweifel breiteste
Gebiet socialer Reform im Dienste des weiblichen Geschlechts,
die Bewegung für die Millionen der Arbeiterinnen, ob nun
durch diese selber oder durch andere für sie, liegt jenseits des
Gebietes, welches uns beschäftigt. Nicht weil seine Anliegen zu
klein, sondern weil sie zu groß sind - zu groß oder zu breit,
um in unseren Rahmen hinein zu passen. Es sind wesent-
lich andersartige Probleme, wenn sie sich auch hie und da über
die Grenze hinüber in einander verschlingen. Es ist öfter be-
reits und treffend gesagt worden: dort Mangel an Arbeit, hier
Ueberbürdung mit Arbeit. Ueberfluß an Thätigkeit da, wo die

Ob man es lobt oder tadelt, daß in diesen Jnteressen bisher
der Schwerpunkt der deutschen Frauenbewegung gelegen hat,
daß er darin noch heute liegt, ist zunächst gleichgültig; die That-
sache, daß es so gewesen, gibt den Ausschlag.

Jn dieser Beschränkung ihres hauptsächlichen Gebietes
durchläuft die deutsche Frauenbewegung wiederum verschiedene
Stadien. Sie ist anfänglich, wenigstens in den Berliner An-
fängen, mehr eine Bewegung für weibliche Jnteressen, als eine
Bewegung, deren treibende Kräfte Frauen sind. Erst allmählich
sind es die letzteren, welche in den Vordergrund treten und aus
der Frauenbewegung eine Bewegung für Frauen durch Frauen
machen. Damit geht dann Hand in Hand, daß die treibenden
weiblichen Kräfte zuletzt aufhören, sich auf die Jnteressen ihrer
eigenen Sphäre zu beschränken, daß es die Jnteressen der unteren
Schichten weiblicher Arbeit sind, für die sie wirksam werden,
oder noch besser, daß die Ausfüllung des Daseins der höheren
Schichten weiblicher Wesen durch eine neue Thätigkeit, welche
an die Stelle der alten Leere tritt, gerade in diesem Berufe
der gebildeten Frauen für die unteren Classen der Arbeiterinnen
gefunden wird.

Dieses aber bleibt übrig. Das ohne allen Zweifel breiteste
Gebiet socialer Reform im Dienste des weiblichen Geschlechts,
die Bewegung für die Millionen der Arbeiterinnen, ob nun
durch diese selber oder durch andere für sie, liegt jenseits des
Gebietes, welches uns beschäftigt. Nicht weil seine Anliegen zu
klein, sondern weil sie zu groß sind – zu groß oder zu breit,
um in unseren Rahmen hinein zu passen. Es sind wesent-
lich andersartige Probleme, wenn sie sich auch hie und da über
die Grenze hinüber in einander verschlingen. Es ist öfter be-
reits und treffend gesagt worden: dort Mangel an Arbeit, hier
Ueberbürdung mit Arbeit. Ueberfluß an Thätigkeit da, wo die

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[9/0025] Ob man es lobt oder tadelt, daß in diesen Jnteressen bisher der Schwerpunkt der deutschen Frauenbewegung gelegen hat, daß er darin noch heute liegt, ist zunächst gleichgültig; die That- sache, daß es so gewesen, gibt den Ausschlag. Jn dieser Beschränkung ihres hauptsächlichen Gebietes durchläuft die deutsche Frauenbewegung wiederum verschiedene Stadien. Sie ist anfänglich, wenigstens in den Berliner An- fängen, mehr eine Bewegung für weibliche Jnteressen, als eine Bewegung, deren treibende Kräfte Frauen sind. Erst allmählich sind es die letzteren, welche in den Vordergrund treten und aus der Frauenbewegung eine Bewegung für Frauen durch Frauen machen. Damit geht dann Hand in Hand, daß die treibenden weiblichen Kräfte zuletzt aufhören, sich auf die Jnteressen ihrer eigenen Sphäre zu beschränken, daß es die Jnteressen der unteren Schichten weiblicher Arbeit sind, für die sie wirksam werden, oder noch besser, daß die Ausfüllung des Daseins der höheren Schichten weiblicher Wesen durch eine neue Thätigkeit, welche an die Stelle der alten Leere tritt, gerade in diesem Berufe der gebildeten Frauen für die unteren Classen der Arbeiterinnen gefunden wird. Dieses aber bleibt übrig. Das ohne allen Zweifel breiteste Gebiet socialer Reform im Dienste des weiblichen Geschlechts, die Bewegung für die Millionen der Arbeiterinnen, ob nun durch diese selber oder durch andere für sie, liegt jenseits des Gebietes, welches uns beschäftigt. Nicht weil seine Anliegen zu klein, sondern weil sie zu groß sind – zu groß oder zu breit, um in unseren Rahmen hinein zu passen. Es sind wesent- lich andersartige Probleme, wenn sie sich auch hie und da über die Grenze hinüber in einander verschlingen. Es ist öfter be- reits und treffend gesagt worden: dort Mangel an Arbeit, hier Ueberbürdung mit Arbeit. Ueberfluß an Thätigkeit da, wo die

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/25>, abgerufen am 29.03.2024.