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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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XV.

-- Und die Thür that sich auf. --

"Herr Doctor Irmer zu sprechen?" fragte Adam
das Mädchen mit halblauter, stolpernder Stimme.

Das Gefühl beherrschte ihn ganz, daß er im
nächsten Augenblicke vor seinem Richter stehen würde.
Es war so altfränkisch, dieses anklagende, beängstigende
Gefühl, Adam empörte sich auch ganz gewaltig gegen
das Rudiment aus seinen Kindertagen, wie er es
affektirt geringschätzig nannte, aber es war doch da,
war doch in ihm, es ließ sich weder durch einen brutalen
Gewaltakt des Willens noch durch ein logisches Rai-
sonnement hinwegdisputiren. Adam hatte alles
Selbstbewußtsein, alle Ueberlegenheit verloren. Er
abstrahirte allerdings aus der Erinnerung, daß er
seine ganze Sicherheit wiedergewinnen würde, sobald
er erst mitten im Feuer stände und es zu starken In-
dividualitätsreibungen gekommen wäre -- er hatte
diese seelische Erscheinung so oft schon an sich er-
lebt. Nur das Unklare, Ungewisse erregte ihn, wühlte
ihn so auf, machte ihn so ängstlich und furchtsam.
Seine Phantasie trieb Alles auf, zog sogleich die
letzten Schlußfolgerungen, zeigte Alles von der un-

XV.

— Und die Thür that ſich auf. —

„Herr Doctor Irmer zu ſprechen?“ fragte Adam
das Mädchen mit halblauter, ſtolpernder Stimme.

Das Gefühl beherrſchte ihn ganz, daß er im
nächſten Augenblicke vor ſeinem Richter ſtehen würde.
Es war ſo altfränkiſch, dieſes anklagende, beängſtigende
Gefühl, Adam empörte ſich auch ganz gewaltig gegen
das Rudiment aus ſeinen Kindertagen, wie er es
affektirt geringſchätzig nannte, aber es war doch da,
war doch in ihm, es ließ ſich weder durch einen brutalen
Gewaltakt des Willens noch durch ein logiſches Rai-
ſonnement hinwegdisputiren. Adam hatte alles
Selbſtbewußtſein, alle Ueberlegenheit verloren. Er
abſtrahirte allerdings aus der Erinnerung, daß er
ſeine ganze Sicherheit wiedergewinnen würde, ſobald
er erſt mitten im Feuer ſtände und es zu ſtarken In-
dividualitätsreibungen gekommen wäre — er hatte
dieſe ſeeliſche Erſcheinung ſo oft ſchon an ſich er-
lebt. Nur das Unklare, Ungewiſſe erregte ihn, wühlte
ihn ſo auf, machte ihn ſo ängſtlich und furchtſam.
Seine Phantaſie trieb Alles auf, zog ſogleich die
letzten Schlußfolgerungen, zeigte Alles von der un-

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[[325]/0333] XV. — Und die Thür that ſich auf. — „Herr Doctor Irmer zu ſprechen?“ fragte Adam das Mädchen mit halblauter, ſtolpernder Stimme. Das Gefühl beherrſchte ihn ganz, daß er im nächſten Augenblicke vor ſeinem Richter ſtehen würde. Es war ſo altfränkiſch, dieſes anklagende, beängſtigende Gefühl, Adam empörte ſich auch ganz gewaltig gegen das Rudiment aus ſeinen Kindertagen, wie er es affektirt geringſchätzig nannte, aber es war doch da, war doch in ihm, es ließ ſich weder durch einen brutalen Gewaltakt des Willens noch durch ein logiſches Rai- ſonnement hinwegdisputiren. Adam hatte alles Selbſtbewußtſein, alle Ueberlegenheit verloren. Er abſtrahirte allerdings aus der Erinnerung, daß er ſeine ganze Sicherheit wiedergewinnen würde, ſobald er erſt mitten im Feuer ſtände und es zu ſtarken In- dividualitätsreibungen gekommen wäre — er hatte dieſe ſeeliſche Erſcheinung ſo oft ſchon an ſich er- lebt. Nur das Unklare, Ungewiſſe erregte ihn, wühlte ihn ſo auf, machte ihn ſo ängſtlich und furchtſam. Seine Phantaſie trieb Alles auf, zog ſogleich die letzten Schlußfolgerungen, zeigte Alles von der un-

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. [325]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/333>, abgerufen am 24.04.2024.