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Cramer, Wilhelm: Der christliche Vater wie er sein und was er thun soll. Nebst einem Anhange von Gebeten für denselben. Dülmen, 1874.

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allein und nicht zunächst dem Einflusse, welchen die
Mutter durch ihr Wort und Beispiel auf das Kind
ausübt, zuzuschreiben, sondern auch jener geheimniß-
vollen Einrichtung des Schöpfers, vermöge deren
die Mutter ihrem Kinde von ihrem innersten We-
sen mittheilt, gleichwie sie ihm durch die Mitthei-
lung des Blutes, so in ihren Adern rinnt, und
durch die Spende ihrer Mutterbrust das leibliche
Leben vermittelt. Ja, und mit jener Mittheilung
ihrer körperlichen Bestandtheile vollzieht sich auch
geheimnißvoll die Mittheilung der Verfassung ihres
Herzens, der Beschaffenheit ihrer Seele überhaupt
und insbesondere derjenigen Beschaffenheit, welche
während der Zeit, wo jene körperliche Mittheilung
sich vollzieht, stattfindet. Und so geschieht es denn,
daß die Mutter selbst schon vor der Geburt ihres
Kindes jenen merkwürdigen Einfluß auf die Her-
zensverfassung und Gemüthsbeschaffenheit desselben
ausübet, den die Erfahrung so oft bestätigt. Die
Gesinnung, die Herzensverfassung, welche die Mut-
ter in der Zeit, welche der Geburt des Kindes
vorhergeht, in sich nährt, geht nicht selten in der
auffälligsten Art auf das Kind über.*)

*) Man hat Beispiele, daß, wenn Mütter in dieser
Zeit z. B. sich eines Diebstahls schuldig machten, das
Kind zur Zeit einen unwiderstehlichen Hang zum
Stehlen zeigte. - Bei einem jungen Manne trat ein
Hang zu frommen Uebungen und ein Zug inniger
Frömmigkeit in sehr auffälliger Weise zu Tage, wäh-
rend seine Angehörigen sämmtlich eine große Gleich-
gültigkeit gegen Gott und Religion bewiesen; er wurde
später Ordensmann. Erst hintennach erfuhr man, daß
die Mutter desselben in der Zeit vor seiner Geburt
sich mit dem Gedanken getragen, sie werde bald ster-
ben und sich daher durch einen großen Eifer in re-
ligiösen Uebungen zum Tode vorzubereiten suchte (wie
sie denn auch wirklich starb); und das Räthsel war
gelöset.

allein und nicht zunächst dem Einflusse, welchen die
Mutter durch ihr Wort und Beispiel auf das Kind
ausübt, zuzuschreiben, sondern auch jener geheimniß-
vollen Einrichtung des Schöpfers, vermöge deren
die Mutter ihrem Kinde von ihrem innersten We-
sen mittheilt, gleichwie sie ihm durch die Mitthei-
lung des Blutes, so in ihren Adern rinnt, und
durch die Spende ihrer Mutterbrust das leibliche
Leben vermittelt. Ja, und mit jener Mittheilung
ihrer körperlichen Bestandtheile vollzieht sich auch
geheimnißvoll die Mittheilung der Verfassung ihres
Herzens, der Beschaffenheit ihrer Seele überhaupt
und insbesondere derjenigen Beschaffenheit, welche
während der Zeit, wo jene körperliche Mittheilung
sich vollzieht, stattfindet. Und so geschieht es denn,
daß die Mutter selbst schon vor der Geburt ihres
Kindes jenen merkwürdigen Einfluß auf die Her-
zensverfassung und Gemüthsbeschaffenheit desselben
ausübet, den die Erfahrung so oft bestätigt. Die
Gesinnung, die Herzensverfassung, welche die Mut-
ter in der Zeit, welche der Geburt des Kindes
vorhergeht, in sich nährt, geht nicht selten in der
auffälligsten Art auf das Kind über.*)

*) Man hat Beispiele, daß, wenn Mütter in dieser
Zeit z. B. sich eines Diebstahls schuldig machten, das
Kind zur Zeit einen unwiderstehlichen Hang zum
Stehlen zeigte. – Bei einem jungen Manne trat ein
Hang zu frommen Uebungen und ein Zug inniger
Frömmigkeit in sehr auffälliger Weise zu Tage, wäh-
rend seine Angehörigen sämmtlich eine große Gleich-
gültigkeit gegen Gott und Religion bewiesen; er wurde
später Ordensmann. Erst hintennach erfuhr man, daß
die Mutter desselben in der Zeit vor seiner Geburt
sich mit dem Gedanken getragen, sie werde bald ster-
ben und sich daher durch einen großen Eifer in re-
ligiösen Uebungen zum Tode vorzubereiten suchte (wie
sie denn auch wirklich starb); und das Räthsel war
gelöset.
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[53/0264] allein und nicht zunächst dem Einflusse, welchen die Mutter durch ihr Wort und Beispiel auf das Kind ausübt, zuzuschreiben, sondern auch jener geheimniß- vollen Einrichtung des Schöpfers, vermöge deren die Mutter ihrem Kinde von ihrem innersten We- sen mittheilt, gleichwie sie ihm durch die Mitthei- lung des Blutes, so in ihren Adern rinnt, und durch die Spende ihrer Mutterbrust das leibliche Leben vermittelt. Ja, und mit jener Mittheilung ihrer körperlichen Bestandtheile vollzieht sich auch geheimnißvoll die Mittheilung der Verfassung ihres Herzens, der Beschaffenheit ihrer Seele überhaupt und insbesondere derjenigen Beschaffenheit, welche während der Zeit, wo jene körperliche Mittheilung sich vollzieht, stattfindet. Und so geschieht es denn, daß die Mutter selbst schon vor der Geburt ihres Kindes jenen merkwürdigen Einfluß auf die Her- zensverfassung und Gemüthsbeschaffenheit desselben ausübet, den die Erfahrung so oft bestätigt. Die Gesinnung, die Herzensverfassung, welche die Mut- ter in der Zeit, welche der Geburt des Kindes vorhergeht, in sich nährt, geht nicht selten in der auffälligsten Art auf das Kind über. *) *) Man hat Beispiele, daß, wenn Mütter in dieser Zeit z. B. sich eines Diebstahls schuldig machten, das Kind zur Zeit einen unwiderstehlichen Hang zum Stehlen zeigte. – Bei einem jungen Manne trat ein Hang zu frommen Uebungen und ein Zug inniger Frömmigkeit in sehr auffälliger Weise zu Tage, wäh- rend seine Angehörigen sämmtlich eine große Gleich- gültigkeit gegen Gott und Religion bewiesen; er wurde später Ordensmann. Erst hintennach erfuhr man, daß die Mutter desselben in der Zeit vor seiner Geburt sich mit dem Gedanken getragen, sie werde bald ster- ben und sich daher durch einen großen Eifer in re- ligiösen Uebungen zum Tode vorzubereiten suchte (wie sie denn auch wirklich starb); und das Räthsel war gelöset.

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Zitationshilfe: Cramer, Wilhelm: Der christliche Vater wie er sein und was er thun soll. Nebst einem Anhange von Gebeten für denselben. Dülmen, 1874, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_mutter_1874/264>, abgerufen am 29.03.2024.