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Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.

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der Darstellung des Systems seiner Philosophie von 1801,1) welche pdi_324.005
die Welt als das Product des Genius, d. h. der absoluten Vernunft pdi_324.006
auffasst, in der Natur und Geist eins sind. Das schaffende Vermögen pdi_324.007
Schillers ist hier Grund der Welt geworden. Dann eröffnete pdi_324.008
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über schöne Literatur und Kunst, welche nun eine durchgeführte pdi_324.010
Aesthetik in unsrem Verstande sind und das Schöne unter einer pdi_324.011
verwandten Formel als die symbolische Darstellung des Unendlichen pdi_324.012
bestimmen. Darauf begann Schelling mit Hilfe dieser pdi_324.013
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welche aus der "Kunst an sich", der Wurzel der Kunst im pdi_324.015
Absoluten, das Schaffen des Künstlers ableiten, ohne doch zu pdi_324.016
dem Reichthum A. W. Schlegels etwas Erhebliches hinzuzufügen. pdi_324.017
Die vollkommenste Darstellung dieses metaphysischen Prinzips pdi_324.018
der Kunst enthält Schellings spätere Rede über das Verhältniss pdi_324.019
der bildenden Künste zur Natur von 1807; der Künstler pdi_324.020
muss "dem im Inneren der Dinge schaffenden Naturgeist nacheifern". pdi_324.021
Und die Aesthetik Hegels und seiner Schüler hat pdi_324.022
dieses metaphysische Princip durch alle Erscheinungen der pdi_324.023
Kunst durchgeführt. Negativ hat diese ästhetische Philosophie pdi_324.024
das Verdienst, das Princip der Nachahmung abgethan zu haben. pdi_324.025
Dagegen hat ihre positive, Schiller überschreitende Aufstellung pdi_324.026
die Grenzen verwischt, welche die ästhetische Lebendigkeit des pdi_324.027
Anschauens von dem wissenschaftlichen Denken, dem philosophischen pdi_324.028
Erkennen trennen.

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Begründung des Schiller'schen Gesetzes. Er ist schon von Kant pdi_324.031
einleuchtend aus einer Analyse des Geschmacks und des Gefallens pdi_324.032
entwickelt worden und kann vermittelst des Satzes, dass pdi_324.033
im ästhetischen Eindruck nur gemindert derselbe zusammengesetzte pdi_324.034
Vorgang vorliegt wie im ästhetischen Schaffen, auch

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Zeitschrift für speculative Physik II 2. 1801 S. W. IV 105 ff.

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der Schönheit in der Natur und des sie heraushebenden und steigernden pdi_324.002
Schaffens im Künstler benutzt werden.

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  Zunächst entstand die ästhetische Weltansicht Schellings in pdi_324.004
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  Der zweite Satz dieser Aesthetik enthält die elementare pdi_324.030
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einleuchtend aus einer Analyse des Geschmacks und des Gefallens pdi_324.032
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[324/0026] pdi_324.001 der Schönheit in der Natur und des sie heraushebenden und steigernden pdi_324.002 Schaffens im Künstler benutzt werden. pdi_324.003   Zunächst entstand die ästhetische Weltansicht Schellings in pdi_324.004 der Darstellung des Systems seiner Philosophie von 1801, 1) welche pdi_324.005 die Welt als das Product des Genius, d. h. der absoluten Vernunft pdi_324.006 auffasst, in der Natur und Geist eins sind. Das schaffende Vermögen pdi_324.007 Schillers ist hier Grund der Welt geworden. Dann eröffnete pdi_324.008 A. W. Schlegel im November 1801 seine Vorlesungen pdi_324.009 über schöne Literatur und Kunst, welche nun eine durchgeführte pdi_324.010 Aesthetik in unsrem Verstande sind und das Schöne unter einer pdi_324.011 verwandten Formel als die symbolische Darstellung des Unendlichen pdi_324.012 bestimmen. Darauf begann Schelling mit Hilfe dieser pdi_324.013 Vorlesungen Schlegels 1802 seine Vorlesungen über Kunst, pdi_324.014 welche aus der „Kunst an sich“, der Wurzel der Kunst im pdi_324.015 Absoluten, das Schaffen des Künstlers ableiten, ohne doch zu pdi_324.016 dem Reichthum A. W. Schlegels etwas Erhebliches hinzuzufügen. pdi_324.017 Die vollkommenste Darstellung dieses metaphysischen Prinzips pdi_324.018 der Kunst enthält Schellings spätere Rede über das Verhältniss pdi_324.019 der bildenden Künste zur Natur von 1807; der Künstler pdi_324.020 muss „dem im Inneren der Dinge schaffenden Naturgeist nacheifern“. pdi_324.021 Und die Aesthetik Hegels und seiner Schüler hat pdi_324.022 dieses metaphysische Princip durch alle Erscheinungen der pdi_324.023 Kunst durchgeführt. Negativ hat diese ästhetische Philosophie pdi_324.024 das Verdienst, das Princip der Nachahmung abgethan zu haben. pdi_324.025 Dagegen hat ihre positive, Schiller überschreitende Aufstellung pdi_324.026 die Grenzen verwischt, welche die ästhetische Lebendigkeit des pdi_324.027 Anschauens von dem wissenschaftlichen Denken, dem philosophischen pdi_324.028 Erkennen trennen. pdi_324.029   Der zweite Satz dieser Aesthetik enthält die elementare pdi_324.030 Begründung des Schiller'schen Gesetzes. Er ist schon von Kant pdi_324.031 einleuchtend aus einer Analyse des Geschmacks und des Gefallens pdi_324.032 entwickelt worden und kann vermittelst des Satzes, dass pdi_324.033 im ästhetischen Eindruck nur gemindert derselbe zusammengesetzte pdi_324.034 Vorgang vorliegt wie im ästhetischen Schaffen, auch 1) pdi_324.035 Zeitschrift für speculative Physik II 2. 1801 S. W. IV 105 ff.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482, hier S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887/26>, abgerufen am 25.04.2024.