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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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neuen Welt, die er stolzer ist zu verachten als erobert zu haben;
aus den unablässigen Kriegszügen Alexanders hat er jenes trotzige
Selbstgefühl, jenen kalten militärischen Stolz, jene Geringschä-
tzung der Gefahr und des eigenen Lebens heimgebracht, wie ihn
die Zeit der Diadochen oft genug in der Karikatur zeigt; und
wenn eine große geschichtliche Vergangenheit das Leben und die
Physionomie der Völker durchgeistigt und bedeutsam macht, so ist
dem Antlitz des Macedoniers in den Narben des zwölfjährigen
morgenländischen Krieges, in den Stirnfurchen vieler Strapazen
und durchkämpften Gefahren, in den Spuren der Entbehrungen
und Ausschweifungen aller Art das Gepräge einer kurzen aber
großen geschichtlichen Arbeit aufgedrückt. Anders der Grieche;
seine Zeit ist vorüber; weder von dem Drange zu neuen Thaten
noch von dem Bewußtsein politischer Macht gehoben, sonnt er
sich in dem Glanze großer Erinnerungen; ruhmgierig und genuß-
süchtig, wie er ist, liebt er minder Ruhm als Prahlerei, minder
Genuß als dessen grellsten Wechsel; leichtsinnig bis zur Fieberhaf-
tigkeit, aller Innerlichkeit leer, ohne Haltung und Wollen, ohne
Tugend und Religion, geht das Griechenthum in jene geistreiche,
pikante, zerfressende Verworfenheit über, welche stets das letzte
Stadium in dem Leben der Völker bezeichnet; alles Positive,
selbß das Gefühl der eigenen Erniedrigung ist vertilgt, das Werk
der Aufklärung hat sich vollbracht.

Man darf behaupten, daß durch diese Aufklärung, so widrig
und nivellirend sie im Einzelnen erscheint, die Kraft des Heiden-
thums gebrochen und eine geistigere Entwickelung der Religion
möglich geworden ist. Nichts ist in dieser Beziehung förderlicher
gewesen, als jene sonderbare Erscheinung der Göttermischung, der
Theokrasie, an der in den nächstfolgenden Jahrhunderten alle Völ-
ker des Hellenismus Antheil nahmen Wenn man die Gottheiten
und mehr noch die Mythen des Heidenthums als Ausprägung
geschichtlicher, nationeller Verschiedenheit betrachten darf, so traf
Alexander in seinem unablässigen Streben nach Völkervereinigung
das entschieden richtigste Mittel, wenn er, in dessen Person und
Regiment zunächst jene Einheit präformirt sein mußte, jeden Na-
tionalcultus ohne Unterschied ehrte und mit gleicher Frömmigkeit
den Göttern von Aegypten und Indien, von Babylon und Hellas

neuen Welt, die er ſtolzer iſt zu verachten als erobert zu haben;
aus den unablaͤſſigen Kriegszuͤgen Alexanders hat er jenes trotzige
Selbſtgefuͤhl, jenen kalten militaͤriſchen Stolz, jene Geringſchaͤ-
tzung der Gefahr und des eigenen Lebens heimgebracht, wie ihn
die Zeit der Diadochen oft genug in der Karikatur zeigt; und
wenn eine große geſchichtliche Vergangenheit das Leben und die
Phyſionomie der Voͤlker durchgeiſtigt und bedeutſam macht, ſo iſt
dem Antlitz des Macedoniers in den Narben des zwoͤlfjaͤhrigen
morgenlaͤndiſchen Krieges, in den Stirnfurchen vieler Strapazen
und durchkaͤmpften Gefahren, in den Spuren der Entbehrungen
und Ausſchweifungen aller Art das Gepraͤge einer kurzen aber
großen geſchichtlichen Arbeit aufgedruͤckt. Anders der Grieche;
ſeine Zeit iſt voruͤber; weder von dem Drange zu neuen Thaten
noch von dem Bewußtſein politiſcher Macht gehoben, ſonnt er
ſich in dem Glanze großer Erinnerungen; ruhmgierig und genuß-
ſuͤchtig, wie er iſt, liebt er minder Ruhm als Prahlerei, minder
Genuß als deſſen grellſten Wechſel; leichtſinnig bis zur Fieberhaf-
tigkeit, aller Innerlichkeit leer, ohne Haltung und Wollen, ohne
Tugend und Religion, geht das Griechenthum in jene geiſtreiche,
pikante, zerfreſſende Verworfenheit uͤber, welche ſtets das letzte
Stadium in dem Leben der Voͤlker bezeichnet; alles Poſitive,
ſelbß das Gefuͤhl der eigenen Erniedrigung iſt vertilgt, das Werk
der Aufklaͤrung hat ſich vollbracht.

Man darf behaupten, daß durch dieſe Aufklaͤrung, ſo widrig
und nivellirend ſie im Einzelnen erſcheint, die Kraft des Heiden-
thums gebrochen und eine geiſtigere Entwickelung der Religion
moͤglich geworden iſt. Nichts iſt in dieſer Beziehung foͤrderlicher
geweſen, als jene ſonderbare Erſcheinung der Goͤttermiſchung, der
Theokraſie, an der in den naͤchſtfolgenden Jahrhunderten alle Voͤl-
ker des Hellenismus Antheil nahmen Wenn man die Gottheiten
und mehr noch die Mythen des Heidenthums als Auspraͤgung
geſchichtlicher, nationeller Verſchiedenheit betrachten darf, ſo traf
Alexander in ſeinem unablaͤſſigen Streben nach Voͤlkervereinigung
das entſchieden richtigſte Mittel, wenn er, in deſſen Perſon und
Regiment zunaͤchſt jene Einheit praͤformirt ſein mußte, jeden Na-
tionalcultus ohne Unterſchied ehrte und mit gleicher Froͤmmigkeit
den Goͤttern von Aegypten und Indien, von Babylon und Hellas

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[550/0564] neuen Welt, die er ſtolzer iſt zu verachten als erobert zu haben; aus den unablaͤſſigen Kriegszuͤgen Alexanders hat er jenes trotzige Selbſtgefuͤhl, jenen kalten militaͤriſchen Stolz, jene Geringſchaͤ- tzung der Gefahr und des eigenen Lebens heimgebracht, wie ihn die Zeit der Diadochen oft genug in der Karikatur zeigt; und wenn eine große geſchichtliche Vergangenheit das Leben und die Phyſionomie der Voͤlker durchgeiſtigt und bedeutſam macht, ſo iſt dem Antlitz des Macedoniers in den Narben des zwoͤlfjaͤhrigen morgenlaͤndiſchen Krieges, in den Stirnfurchen vieler Strapazen und durchkaͤmpften Gefahren, in den Spuren der Entbehrungen und Ausſchweifungen aller Art das Gepraͤge einer kurzen aber großen geſchichtlichen Arbeit aufgedruͤckt. Anders der Grieche; ſeine Zeit iſt voruͤber; weder von dem Drange zu neuen Thaten noch von dem Bewußtſein politiſcher Macht gehoben, ſonnt er ſich in dem Glanze großer Erinnerungen; ruhmgierig und genuß- ſuͤchtig, wie er iſt, liebt er minder Ruhm als Prahlerei, minder Genuß als deſſen grellſten Wechſel; leichtſinnig bis zur Fieberhaf- tigkeit, aller Innerlichkeit leer, ohne Haltung und Wollen, ohne Tugend und Religion, geht das Griechenthum in jene geiſtreiche, pikante, zerfreſſende Verworfenheit uͤber, welche ſtets das letzte Stadium in dem Leben der Voͤlker bezeichnet; alles Poſitive, ſelbß das Gefuͤhl der eigenen Erniedrigung iſt vertilgt, das Werk der Aufklaͤrung hat ſich vollbracht. Man darf behaupten, daß durch dieſe Aufklaͤrung, ſo widrig und nivellirend ſie im Einzelnen erſcheint, die Kraft des Heiden- thums gebrochen und eine geiſtigere Entwickelung der Religion moͤglich geworden iſt. Nichts iſt in dieſer Beziehung foͤrderlicher geweſen, als jene ſonderbare Erſcheinung der Goͤttermiſchung, der Theokraſie, an der in den naͤchſtfolgenden Jahrhunderten alle Voͤl- ker des Hellenismus Antheil nahmen Wenn man die Gottheiten und mehr noch die Mythen des Heidenthums als Auspraͤgung geſchichtlicher, nationeller Verſchiedenheit betrachten darf, ſo traf Alexander in ſeinem unablaͤſſigen Streben nach Voͤlkervereinigung das entſchieden richtigſte Mittel, wenn er, in deſſen Perſon und Regiment zunaͤchſt jene Einheit praͤformirt ſein mußte, jeden Na- tionalcultus ohne Unterſchied ehrte und mit gleicher Froͤmmigkeit den Goͤttern von Aegypten und Indien, von Babylon und Hellas

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/564>, abgerufen am 28.03.2024.