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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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Ein Einfluß auf die Oeffentlichkeit wird den Frauen des-
halb nur indirekt, durch den Mann nämlich, zugestanden.
Jndem sie also zu keiner öffentlichen Thätigkeit gelangen
können, oder doch nur in Ausnahmefällen, die Comte zugibt,
ist ihnen eine subjektive Existenz nur dann gesichert, wenn
sie Einfluß auf ihre Männer gewinnen und dieselben zu wür-
digen Dienern des Grand-Etre heranbilden. Denn dies ge-
hört neben der Erziehung der Kinder zu ihren vornehmsten
und heiligsten Aufgaben. Vom Erwerb sollen sie völlig aus-
geschlossen werden: l'homme doit nourrir la femme. Der
Franzose verräth sich, wenn Comte der Frau im "positivis-
tischen Salon" eine bedeutende Rolle einräumt.

Ungemein eingehend behandelt Comte den Kultus der
neuen Religion. Wir wollen nur einige Elemente desselben
hervorheben. Derselbe zerfällt in den Privat- und in den
öffentlichen Kultus. Sein Medium bildet, wie in den über-
natürlichen Religionen, das Gebet, welches hier jedoch nicht
dazu dienen soll, eine höhere Macht zur Güte zu bewegen,
oder ihr für Empfangenes zu danken, sondern Gefühle der Sym-
pathie, der Liebe oder Verehrung für würdige Personen in
einer edlen Form auszudrücken.*) Der Privatkultus soll nicht
weniger als zwei Stunden des Tags in Anspruch nehmen,
wovon auf das Morgengebet allein eine Stunde entfällt.
Es folgt demselben ein Gebet unter Tags, als Ruhe- und
Sammelpunkt inmitten der Geschäfte und eins vor dem Ein-
schlafen. Der Mann richtet sein Gebet Morgens an die
Mutter, Mittags an die Gattin, Abends an die Tochter --

*) Das Gebet zerfällt in zwei Theile, in die Commemoration und
in die Effusion. Vergl. Catechisme positiviste p. 95: "Quand une
heureuse combinaison de signes et d'images a suffisemment ranime
nous sentiments envers l'etre adore, nous les epanchons avec une
veritable ferveur, qui tend bientot a les augmenter encore, et des lors
a nous mieux rapprocher de l'evocation finale."
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Ein Einfluß auf die Oeffentlichkeit wird den Frauen des-
halb nur indirekt, durch den Mann nämlich, zugeſtanden.
Jndem ſie alſo zu keiner öffentlichen Thätigkeit gelangen
können, oder doch nur in Ausnahmefällen, die Comte zugibt,
iſt ihnen eine ſubjektive Exiſtenz nur dann geſichert, wenn
ſie Einfluß auf ihre Männer gewinnen und dieſelben zu wür-
digen Dienern des Grand-Être heranbilden. Denn dies ge-
hört neben der Erziehung der Kinder zu ihren vornehmſten
und heiligſten Aufgaben. Vom Erwerb ſollen ſie völlig aus-
geſchloſſen werden: l’homme doit nourrir la femme. Der
Franzoſe verräth ſich, wenn Comte der Frau im „poſitiviſ-
tiſchen Salon“ eine bedeutende Rolle einräumt.

Ungemein eingehend behandelt Comte den Kultus der
neuen Religion. Wir wollen nur einige Elemente desſelben
hervorheben. Derſelbe zerfällt in den Privat- und in den
öffentlichen Kultus. Sein Medium bildet, wie in den über-
natürlichen Religionen, das Gebet, welches hier jedoch nicht
dazu dienen ſoll, eine höhere Macht zur Güte zu bewegen,
oder ihr für Empfangenes zu danken, ſondern Gefühle der Sym-
pathie, der Liebe oder Verehrung für würdige Perſonen in
einer edlen Form auszudrücken.*) Der Privatkultus ſoll nicht
weniger als zwei Stunden des Tags in Anſpruch nehmen,
wovon auf das Morgengebet allein eine Stunde entfällt.
Es folgt demſelben ein Gebet unter Tags, als Ruhe- und
Sammelpunkt inmitten der Geſchäfte und eins vor dem Ein-
ſchlafen. Der Mann richtet ſein Gebet Morgens an die
Mutter, Mittags an die Gattin, Abends an die Tochter —

*) Das Gebet zerfällt in zwei Theile, in die Commemoration und
in die Effuſion. Vergl. Catéchisme positiviste p. 95: „Quand une
heureuse combinaison de signes et d’images a suffisemment ranimé
nous sentiments envers l’être adoré, nous les épanchons avec une
véritable ferveur, qui tend bientôt à les augmenter encore, et dès lors
à nous mieux rapprocher de l’évocation finale.“
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[19/0028] Ein Einfluß auf die Oeffentlichkeit wird den Frauen des- halb nur indirekt, durch den Mann nämlich, zugeſtanden. Jndem ſie alſo zu keiner öffentlichen Thätigkeit gelangen können, oder doch nur in Ausnahmefällen, die Comte zugibt, iſt ihnen eine ſubjektive Exiſtenz nur dann geſichert, wenn ſie Einfluß auf ihre Männer gewinnen und dieſelben zu wür- digen Dienern des Grand-Être heranbilden. Denn dies ge- hört neben der Erziehung der Kinder zu ihren vornehmſten und heiligſten Aufgaben. Vom Erwerb ſollen ſie völlig aus- geſchloſſen werden: l’homme doit nourrir la femme. Der Franzoſe verräth ſich, wenn Comte der Frau im „poſitiviſ- tiſchen Salon“ eine bedeutende Rolle einräumt. Ungemein eingehend behandelt Comte den Kultus der neuen Religion. Wir wollen nur einige Elemente desſelben hervorheben. Derſelbe zerfällt in den Privat- und in den öffentlichen Kultus. Sein Medium bildet, wie in den über- natürlichen Religionen, das Gebet, welches hier jedoch nicht dazu dienen ſoll, eine höhere Macht zur Güte zu bewegen, oder ihr für Empfangenes zu danken, ſondern Gefühle der Sym- pathie, der Liebe oder Verehrung für würdige Perſonen in einer edlen Form auszudrücken. *) Der Privatkultus ſoll nicht weniger als zwei Stunden des Tags in Anſpruch nehmen, wovon auf das Morgengebet allein eine Stunde entfällt. Es folgt demſelben ein Gebet unter Tags, als Ruhe- und Sammelpunkt inmitten der Geſchäfte und eins vor dem Ein- ſchlafen. Der Mann richtet ſein Gebet Morgens an die Mutter, Mittags an die Gattin, Abends an die Tochter — *) Das Gebet zerfällt in zwei Theile, in die Commemoration und in die Effuſion. Vergl. Catéchisme positiviste p. 95: „Quand une heureuse combinaison de signes et d’images a suffisemment ranimé nous sentiments envers l’être adoré, nous les épanchons avec une véritable ferveur, qui tend bientôt à les augmenter encore, et dès lors à nous mieux rapprocher de l’évocation finale.“ 2*

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/28>, abgerufen am 28.03.2024.