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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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sonen, auf die sie sich beziehen, vollführen können, doch darf
die Sympathie nie das eigentlich bestimmende Motiv werden,
wenn anders unsere Handlungen moralischen Werth besitzen
sollen.

Auch mit Feuerbach's Begründung der Moral auf das
fremde Glückseligkeitsbedürfniß können wir uns nicht
für einverstanden erklären. Wir müssen wiederholen, was
wir soeben gesagt: daß es sich in der Moral nicht nur um
das Verhältniß von Mensch zu Mensch, sondern auch um das
zum eigenen Jch und zur Wahrheit handelt, und daß uns das
intellektuelle Gewissen zu Handlungen führen kann, welche
nichts weniger als das Wohl der Mitmenschen zur Folge
haben. Es ist allerdings unbestreitbar, daß mit der Ver-
schärfung des moralischen Gefühls im Verhältniß von
Mensch zu Mensch viel Leid und Elend, welches bei dem
jetzigen tiefen Stande der Kultur besonders in den niederen
Volksschichten die Folge von Roheit und Zügellosigkeit, (wir
erinnern hauptsächlich an die elende Lage der Frauen) ein Ende
nehmen würde; andererseits aber bedenke man, um wie viel
ernster, strenger, schwieriger sich das Leben gestalten würde,
wenn ein jeder höhere sittliche Anforderungen an sich selbst
und an Andere stellen würde, wenn jeder sich streng über-
wachte und mit der Riesenmacht des Egoismus im ständigen
Kampfe läge!

Mag also eine vollkommenere Moral nach einer gewissen
Richtung immerhin im Stande sein, das Glück der Gesell-
schaft zu fördern, so wird sie dasselbe nach einer anderen
eher vermindern, woraus folgt, daß die Glückseligkeit nicht
Ziel und Zweck der Moral sein kann.

Der Vorzug von Feuerbach's neuer Lehre vor derjenigen
Comte's besteht nun darin, daß er den Menschen, den Comte
der Natur wie etwas Fremdem gegenüberstellt, innig mit ihr
verbindet und so dem in der Religion zum Ausdruck gelan-

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ſonen, auf die ſie ſich beziehen, vollführen können, doch darf
die Sympathie nie das eigentlich beſtimmende Motiv werden,
wenn anders unſere Handlungen moraliſchen Werth beſitzen
ſollen.

Auch mit Feuerbach’s Begründung der Moral auf das
fremde Glückſeligkeitsbedürfniß können wir uns nicht
für einverſtanden erklären. Wir müſſen wiederholen, was
wir ſoeben geſagt: daß es ſich in der Moral nicht nur um
das Verhältniß von Menſch zu Menſch, ſondern auch um das
zum eigenen Jch und zur Wahrheit handelt, und daß uns das
intellektuelle Gewiſſen zu Handlungen führen kann, welche
nichts weniger als das Wohl der Mitmenſchen zur Folge
haben. Es iſt allerdings unbeſtreitbar, daß mit der Ver-
ſchärfung des moraliſchen Gefühls im Verhältniß von
Menſch zu Menſch viel Leid und Elend, welches bei dem
jetzigen tiefen Stande der Kultur beſonders in den niederen
Volksſchichten die Folge von Roheit und Zügelloſigkeit, (wir
erinnern hauptſächlich an die elende Lage der Frauen) ein Ende
nehmen würde; andererſeits aber bedenke man, um wie viel
ernſter, ſtrenger, ſchwieriger ſich das Leben geſtalten würde,
wenn ein jeder höhere ſittliche Anforderungen an ſich ſelbſt
und an Andere ſtellen würde, wenn jeder ſich ſtreng über-
wachte und mit der Rieſenmacht des Egoismus im ſtändigen
Kampfe läge!

Mag alſo eine vollkommenere Moral nach einer gewiſſen
Richtung immerhin im Stande ſein, das Glück der Geſell-
ſchaft zu fördern, ſo wird ſie dasſelbe nach einer anderen
eher vermindern, woraus folgt, daß die Glückſeligkeit nicht
Ziel und Zweck der Moral ſein kann.

Der Vorzug von Feuerbach’s neuer Lehre vor derjenigen
Comte’s beſteht nun darin, daß er den Menſchen, den Comte
der Natur wie etwas Fremdem gegenüberſtellt, innig mit ihr
verbindet und ſo dem in der Religion zum Ausdruck gelan-

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[35/0044] ſonen, auf die ſie ſich beziehen, vollführen können, doch darf die Sympathie nie das eigentlich beſtimmende Motiv werden, wenn anders unſere Handlungen moraliſchen Werth beſitzen ſollen. Auch mit Feuerbach’s Begründung der Moral auf das fremde Glückſeligkeitsbedürfniß können wir uns nicht für einverſtanden erklären. Wir müſſen wiederholen, was wir ſoeben geſagt: daß es ſich in der Moral nicht nur um das Verhältniß von Menſch zu Menſch, ſondern auch um das zum eigenen Jch und zur Wahrheit handelt, und daß uns das intellektuelle Gewiſſen zu Handlungen führen kann, welche nichts weniger als das Wohl der Mitmenſchen zur Folge haben. Es iſt allerdings unbeſtreitbar, daß mit der Ver- ſchärfung des moraliſchen Gefühls im Verhältniß von Menſch zu Menſch viel Leid und Elend, welches bei dem jetzigen tiefen Stande der Kultur beſonders in den niederen Volksſchichten die Folge von Roheit und Zügelloſigkeit, (wir erinnern hauptſächlich an die elende Lage der Frauen) ein Ende nehmen würde; andererſeits aber bedenke man, um wie viel ernſter, ſtrenger, ſchwieriger ſich das Leben geſtalten würde, wenn ein jeder höhere ſittliche Anforderungen an ſich ſelbſt und an Andere ſtellen würde, wenn jeder ſich ſtreng über- wachte und mit der Rieſenmacht des Egoismus im ſtändigen Kampfe läge! Mag alſo eine vollkommenere Moral nach einer gewiſſen Richtung immerhin im Stande ſein, das Glück der Geſell- ſchaft zu fördern, ſo wird ſie dasſelbe nach einer anderen eher vermindern, woraus folgt, daß die Glückſeligkeit nicht Ziel und Zweck der Moral ſein kann. Der Vorzug von Feuerbach’s neuer Lehre vor derjenigen Comte’s beſteht nun darin, daß er den Menſchen, den Comte der Natur wie etwas Fremdem gegenüberſtellt, innig mit ihr verbindet und ſo dem in der Religion zum Ausdruck gelan- 3*

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/44>, abgerufen am 24.04.2024.