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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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germanischen, nachdem sie den Astatismus wie eine schädliche
Jnfektion aus sich ausgemerzt und sich in ihr eigenes Wesen
versenkt haben, eine neue Weltanschauung und Geistesführung
sich schaffen, die naturgemäß aus ihrem besseren Race-
character resultirt.

Es ist gewiß, daß wie der Einzelne oder ein Volk be-
schaffen ist, so auch sein Verhalten zum Allgemeinen und
seine Auffassung des letzteren ausfallen wird. Der niedrig
stehende Mensch, das niedrig stehende Volk wird nicht
umhin können, die eigene Beschränktheit, die Mängel seines
Geistes- und Gemüthslebens auch in seiner Auffassung der
Natur zu verrathen, während der höhere Mensch, das höhere
Volk naturgemäß auch eine bessere Vorstellung von den Ur-
gründen alles Seins haben muß oder doch einer höheren
Auffassung derselben fähig sein wird. Das Grundverhältniß
des höheren Menschen zur Natur ist ein völlig anderes wie
das des niedrig gearteten. Er steht ihr frei gegenüber, er
wirft sich nicht in den Staub vor ihr. Doch geht Düh-
ring in der Betonung der freien Stellung des Menschen zur
Natur zu weit, indem er den Gefühlen der Bedingtheit
durch dieselbe und der Ehrfurcht vor dem überragenden
Weltganzen keine Stelle einräumt. Dühring's Mensch ist über-
mäßig stolz. Er hält sich gleichsamfür seinen eigenen Schöpfer,
während er doch nur ein freier Sohn der Natur; er an-
erkennt kein Geheimniß, vor dem er verstummen müsse, es giebt
für ihn kein selbstvergessenes Aufgehen im Weltprocesse.

Sehr richtig begründet Dühring die Berechtigung der
vertrauensvollen Auffassung des Kerncharacters der
Dinge von Seiten der edleren Menschen durch die Thatsache
des Vorhandenseins des letzteren. "Der edlere Character
bleibt thatsächlich immer eine Jnstanz, die inmitten vielfacher
Verderbniß für das Dasein des Guten zeugt. Wer selber
gut ist, kann daher auch den Glauben an das Gute nie

germaniſchen, nachdem ſie den Aſtatismus wie eine ſchädliche
Jnfektion aus ſich ausgemerzt und ſich in ihr eigenes Weſen
verſenkt haben, eine neue Weltanſchauung und Geiſtesführung
ſich ſchaffen, die naturgemäß aus ihrem beſſeren Race-
character reſultirt.

Es iſt gewiß, daß wie der Einzelne oder ein Volk be-
ſchaffen iſt, ſo auch ſein Verhalten zum Allgemeinen und
ſeine Auffaſſung des letzteren ausfallen wird. Der niedrig
ſtehende Menſch, das niedrig ſtehende Volk wird nicht
umhin können, die eigene Beſchränktheit, die Mängel ſeines
Geiſtes- und Gemüthslebens auch in ſeiner Auffaſſung der
Natur zu verrathen, während der höhere Menſch, das höhere
Volk naturgemäß auch eine beſſere Vorſtellung von den Ur-
gründen alles Seins haben muß oder doch einer höheren
Auffaſſung derſelben fähig ſein wird. Das Grundverhältniß
des höheren Menſchen zur Natur iſt ein völlig anderes wie
das des niedrig gearteten. Er ſteht ihr frei gegenüber, er
wirft ſich nicht in den Staub vor ihr. Doch geht Düh-
ring in der Betonung der freien Stellung des Menſchen zur
Natur zu weit, indem er den Gefühlen der Bedingtheit
durch dieſelbe und der Ehrfurcht vor dem überragenden
Weltganzen keine Stelle einräumt. Dühring’s Menſch iſt über-
mäßig ſtolz. Er hält ſich gleichſamfür ſeinen eigenen Schöpfer,
während er doch nur ein freier Sohn der Natur; er an-
erkennt kein Geheimniß, vor dem er verſtummen müſſe, es giebt
für ihn kein ſelbſtvergeſſenes Aufgehen im Weltproceſſe.

Sehr richtig begründet Dühring die Berechtigung der
vertrauensvollen Auffaſſung des Kerncharacters der
Dinge von Seiten der edleren Menſchen durch die Thatſache
des Vorhandenſeins des letzteren. „Der edlere Character
bleibt thatſächlich immer eine Jnſtanz, die inmitten vielfacher
Verderbniß für das Daſein des Guten zeugt. Wer ſelber
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[69/0078] germaniſchen, nachdem ſie den Aſtatismus wie eine ſchädliche Jnfektion aus ſich ausgemerzt und ſich in ihr eigenes Weſen verſenkt haben, eine neue Weltanſchauung und Geiſtesführung ſich ſchaffen, die naturgemäß aus ihrem beſſeren Race- character reſultirt. Es iſt gewiß, daß wie der Einzelne oder ein Volk be- ſchaffen iſt, ſo auch ſein Verhalten zum Allgemeinen und ſeine Auffaſſung des letzteren ausfallen wird. Der niedrig ſtehende Menſch, das niedrig ſtehende Volk wird nicht umhin können, die eigene Beſchränktheit, die Mängel ſeines Geiſtes- und Gemüthslebens auch in ſeiner Auffaſſung der Natur zu verrathen, während der höhere Menſch, das höhere Volk naturgemäß auch eine beſſere Vorſtellung von den Ur- gründen alles Seins haben muß oder doch einer höheren Auffaſſung derſelben fähig ſein wird. Das Grundverhältniß des höheren Menſchen zur Natur iſt ein völlig anderes wie das des niedrig gearteten. Er ſteht ihr frei gegenüber, er wirft ſich nicht in den Staub vor ihr. Doch geht Düh- ring in der Betonung der freien Stellung des Menſchen zur Natur zu weit, indem er den Gefühlen der Bedingtheit durch dieſelbe und der Ehrfurcht vor dem überragenden Weltganzen keine Stelle einräumt. Dühring’s Menſch iſt über- mäßig ſtolz. Er hält ſich gleichſamfür ſeinen eigenen Schöpfer, während er doch nur ein freier Sohn der Natur; er an- erkennt kein Geheimniß, vor dem er verſtummen müſſe, es giebt für ihn kein ſelbſtvergeſſenes Aufgehen im Weltproceſſe. Sehr richtig begründet Dühring die Berechtigung der vertrauensvollen Auffaſſung des Kerncharacters der Dinge von Seiten der edleren Menſchen durch die Thatſache des Vorhandenſeins des letzteren. „Der edlere Character bleibt thatſächlich immer eine Jnſtanz, die inmitten vielfacher Verderbniß für das Daſein des Guten zeugt. Wer ſelber gut iſt, kann daher auch den Glauben an das Gute nie

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/78>, abgerufen am 28.03.2024.