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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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wolle ihnen ihren Mirabeau verderben, indem er das
Geheimniß seiner übermenschlichen Thätigkeit enthüllt
und auch anderen Leuten einigen Antheil an dem gro¬
ßen Verdienst vindicirt, das bisher der Name Mirabeau
allein verschlang."

"Die Franzosen erblicken in Mirabeau ihren Her¬
kules; und sie haben vollkommen Recht. Allein sie
vergessen, daß auch der Coloß aus einzelnen Theilen
besteht und daß auch der Herkules des Alterthums ein
collectives Wesen ist, ein großer Träger seiner eigenen
Thaten und der Thaten Anderer."

"Im Grunde aber sind wir Alle collective Wesen, wir
mögen uns stellen, wie wir wollen. Denn wie Weni¬
ges haben und sind wir, das wir im reinsten Sinne
unser Eigenthum nennen! Wir müssen Alle empfangen
und lernen, sowohl von denen die vor uns waren,
als von denen die mit uns sind. Selbst das größte
Genie würde nicht weit kommen, wenn es Alles seinem
eigenen Innern verdanken wollte. Das begreifen aber
viele sehr gute Menschen nicht und tappen mit ihren
Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dun¬
keln. Ich habe Künstler gekannt, die sich rühmten
keinem Meister gefolgt zu seyn, vielmehr Alles ihrem
eigenen Genie zu danken haben. Die Narren! als ob
das überall anginge! Und als ob sich die Welt ihnen
nicht bei jedem Schritt aufdränge und aus ihnen, trotz
ihrer eigenen Dummheit, etwas machte! Ja ich be¬

wolle ihnen ihren Mirabeau verderben, indem er das
Geheimniß ſeiner übermenſchlichen Thätigkeit enthüllt
und auch anderen Leuten einigen Antheil an dem gro¬
ßen Verdienſt vindicirt, das bisher der Name Mirabeau
allein verſchlang.“

„Die Franzoſen erblicken in Mirabeau ihren Her¬
kules; und ſie haben vollkommen Recht. Allein ſie
vergeſſen, daß auch der Coloß aus einzelnen Theilen
beſteht und daß auch der Herkules des Alterthums ein
collectives Weſen iſt, ein großer Träger ſeiner eigenen
Thaten und der Thaten Anderer.“

„Im Grunde aber ſind wir Alle collective Weſen, wir
mögen uns ſtellen, wie wir wollen. Denn wie Weni¬
ges haben und ſind wir, das wir im reinſten Sinne
unſer Eigenthum nennen! Wir müſſen Alle empfangen
und lernen, ſowohl von denen die vor uns waren,
als von denen die mit uns ſind. Selbſt das größte
Genie würde nicht weit kommen, wenn es Alles ſeinem
eigenen Innern verdanken wollte. Das begreifen aber
viele ſehr gute Menſchen nicht und tappen mit ihren
Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dun¬
keln. Ich habe Künſtler gekannt, die ſich rühmten
keinem Meiſter gefolgt zu ſeyn, vielmehr Alles ihrem
eigenen Genie zu danken haben. Die Narren! als ob
das überall anginge! Und als ob ſich die Welt ihnen
nicht bei jedem Schritt aufdränge und aus ihnen, trotz
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[366/0388] wolle ihnen ihren Mirabeau verderben, indem er das Geheimniß ſeiner übermenſchlichen Thätigkeit enthüllt und auch anderen Leuten einigen Antheil an dem gro¬ ßen Verdienſt vindicirt, das bisher der Name Mirabeau allein verſchlang.“ „Die Franzoſen erblicken in Mirabeau ihren Her¬ kules; und ſie haben vollkommen Recht. Allein ſie vergeſſen, daß auch der Coloß aus einzelnen Theilen beſteht und daß auch der Herkules des Alterthums ein collectives Weſen iſt, ein großer Träger ſeiner eigenen Thaten und der Thaten Anderer.“ „Im Grunde aber ſind wir Alle collective Weſen, wir mögen uns ſtellen, wie wir wollen. Denn wie Weni¬ ges haben und ſind wir, das wir im reinſten Sinne unſer Eigenthum nennen! Wir müſſen Alle empfangen und lernen, ſowohl von denen die vor uns waren, als von denen die mit uns ſind. Selbſt das größte Genie würde nicht weit kommen, wenn es Alles ſeinem eigenen Innern verdanken wollte. Das begreifen aber viele ſehr gute Menſchen nicht und tappen mit ihren Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dun¬ keln. Ich habe Künſtler gekannt, die ſich rühmten keinem Meiſter gefolgt zu ſeyn, vielmehr Alles ihrem eigenen Genie zu danken haben. Die Narren! als ob das überall anginge! Und als ob ſich die Welt ihnen nicht bei jedem Schritt aufdränge und aus ihnen, trotz ihrer eigenen Dummheit, etwas machte! Ja ich be¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/388>, abgerufen am 24.04.2024.