Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

frequentiret und besuchet worden, ist eine Zeit her in solches Abnehmen ge-
kommen, daß er einem zerstörten und verwüsteten Hause nicht ungleich siehet;
dahero auch die Residentz dieser berühmten Tugend endlich gantz verschlossen.
Apollo, nachdem er von einer so hochwichtigen Sache Nachricht bekommen,
befahl die Thüren dieses Pallastes mit Gewalt zu öffnen, und von dieser Durch-
lauchtigsten Tugend der Treue selbsten die Ursachen solcher Neuerungen zu ver-
nehmen. Der Befehl Ihrer Parnassischen Majestät wurde alsobald exequiret,
und diese Königliche Behausung gantz ohne Einwohner befunden. Die sämtli-
chen Tugendhafften, so bald sie solches verstanden, legten ihre Trauer-Kleider
an, bestreueten ihre Häupter mit Asche, gaben auch andere Zeichen einer wah-
ren und hertzlichen Traurigkeit von sich. Absonderlich war Apollo dermas-
sen betrübet, daß man Augenscheinlich die innerliche Schwermüthigkeit an ihm
verspühren kunte. Und weil Ihro Parnassische Majestät leichtlich abnehmen
kunte, es würde alle gute Policey unter dem menschlichen Geschlechte zu Grun-
de gehen, wann dieses feste und unbewegliche Fundament der Treue und des
Glaubens, auf dem dieses Gebäude bißhers geruhet, sich verlieren solte, lies-
sen sie an allen Orten durch ein öffentliches Gebot publiciren, daß derjenige,
welcher offenbaren würde, wo sich die vortreffliche Tugend der Treue hin ver-
krochen habe, einen unsterblichen Namen zur Belohnung erlangen solte. Da-
mit auch keiner der Zahlung halber zu zweiffeln hätte, ertheilte der Königliche
Fiscus Wechsel-Brieffe an Homerum, Virgilium und Livium, wie auch an
den überaus reichen Tacitum, als welche die vornehmsten Kauff-Leute in
dem Parnasso unter denenjenigen sind, so mit ihren Schrifften andern Leuten
einen unsterblichen Namen zu machen begehren. Die grosse Belohnung gab
vielen Ursache zu suchen, wo doch die Treue hingekommen wäre. Endlich
ward sie in einem Stall unter denen Hunden des weit berühmten Jägers Acteo-
nis
und Adonidis gefunden. Diese gewünschte neue Zeitung wurde dem Apollini
unverzüglich zu wissen gethan. Der spedirte in aller Eil die zwo Musen Telpome-
nem
und Taliam dahin, eine so Durchlauchtige Printzeßin aus einem solchen
schändlichen Orte abzuholen, und wieder in ihr gewöhnliches Logement einzu-
führen. Aber es war alles vergebens. Die Durchlauchtige Printzeßin be-
weinte zum höchsten ihren unglückseligen Zustand und sagte zu denen zwo Musis:
Vermeldet dem Apollini, meinem gnädigen Herren wieder, es
hätte der Betrug und die Falschheit, meine ewigen und unsterbli-
chen Todt-Feinde, endlich in dem Streit, den sie jederzeit mit mir
gehabt, den völligen Sieg wieder mich erhalten, der gestalt, daß

sie

frequentiret und beſuchet worden, iſt eine Zeit her in ſolches Abnehmen ge-
kommen, daß er einem zerſtoͤrten und verwuͤſteten Hauſe nicht ungleich ſiehet;
dahero auch die Reſidentz dieſer beruͤhmten Tugend endlich gantz verſchloſſen.
Apollo, nachdem er von einer ſo hochwichtigen Sache Nachricht bekommen,
befahl die Thuͤren dieſes Pallaſtes mit Gewalt zu oͤffnen, und von dieſer Durch-
lauchtigſten Tugend der Treue ſelbſten die Urſachen ſolcher Neuerungen zu ver-
nehmen. Der Befehl Ihrer Parnaſſiſchen Majeſtaͤt wurde alſobald exequiret,
und dieſe Koͤnigliche Behauſung gantz ohne Einwohner befunden. Die ſaͤmtli-
chen Tugendhafften, ſo bald ſie ſolches verſtanden, legten ihre Trauer-Kleider
an, beſtreueten ihre Haͤupter mit Aſche, gaben auch andere Zeichen einer wah-
ren und hertzlichen Traurigkeit von ſich. Abſonderlich war Apollo dermaſ-
ſen betruͤbet, daß man Augenſcheinlich die innerliche Schwermuͤthigkeit an ihm
verſpuͤhren kunte. Und weil Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt leichtlich abnehmen
kunte, es wuͤrde alle gute Policey unter dem menſchlichen Geſchlechte zu Grun-
de gehen, wann dieſes feſte und unbewegliche Fundament der Treue und des
Glaubens, auf dem dieſes Gebaͤude bißhers geruhet, ſich verlieren ſolte, lieſ-
ſen ſie an allen Orten durch ein oͤffentliches Gebot publiciren, daß derjenige,
welcher offenbaren wuͤrde, wo ſich die vortreffliche Tugend der Treue hin ver-
krochen habe, einen unſterblichen Namen zur Belohnung erlangen ſolte. Da-
mit auch keiner der Zahlung halber zu zweiffeln haͤtte, ertheilte der Koͤnigliche
Fiſcus Wechſel-Brieffe an Homerum, Virgilium und Livium, wie auch an
den uͤberaus reichen Tacitum, als welche die vornehmſten Kauff-Leute in
dem Parnaſſo unter denenjenigen ſind, ſo mit ihren Schrifften andern Leuten
einen unſterblichen Namen zu machen begehren. Die groſſe Belohnung gab
vielen Urſache zu ſuchen, wo doch die Treue hingekommen waͤre. Endlich
ward ſie in einem Stall unter denen Hunden des weit beruͤhmten Jaͤgers Acteo-
nis
und Adonidis gefunden. Dieſe gewuͤnſchte neue Zeitung wurde dem Apollini
unverzuͤglich zu wiſſen gethan. Der ſpedirte in aller Eil die zwo Muſen Telpome-
nem
und Taliam dahin, eine ſo Durchlauchtige Printzeßin aus einem ſolchen
ſchaͤndlichen Orte abzuholen, und wieder in ihr gewoͤhnliches Logement einzu-
fuͤhren. Aber es war alles vergebens. Die Durchlauchtige Printzeßin be-
weinte zum hoͤchſten ihren ungluͤckſeligen Zuſtand und ſagte zu denen zwo Muſis:
Vermeldet dem Apollini, meinem gnaͤdigen Herren wieder, es
haͤtte der Betrug und die Falſchheit, meine ewigen und unſterbli-
chen Todt-Feinde, endlich in dem Streit, den ſie jederzeit mit mir
gehabt, den voͤlligen Sieg wieder mich erhalten, der geſtalt, daß

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0152" n="108"/><hi rendition="#aq">frequenti</hi>ret und be&#x017F;uchet worden, i&#x017F;t eine Zeit her in &#x017F;olches Abnehmen ge-<lb/>
kommen, daß er einem zer&#x017F;to&#x0364;rten und verwu&#x0364;&#x017F;teten Hau&#x017F;e nicht ungleich &#x017F;iehet;<lb/>
dahero auch die <hi rendition="#aq">Re&#x017F;iden</hi>tz die&#x017F;er beru&#x0364;hmten Tugend endlich gantz ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.<lb/><hi rendition="#aq">Apollo,</hi> nachdem er von einer &#x017F;o hochwichtigen Sache Nachricht bekommen,<lb/>
befahl die Thu&#x0364;ren die&#x017F;es Palla&#x017F;tes mit Gewalt zu o&#x0364;ffnen, und von die&#x017F;er Durch-<lb/>
lauchtig&#x017F;ten Tugend der Treue &#x017F;elb&#x017F;ten die Ur&#x017F;achen &#x017F;olcher Neuerungen zu ver-<lb/>
nehmen. Der Befehl Ihrer <hi rendition="#aq">Parna&#x017F;&#x017F;i</hi>&#x017F;chen Maje&#x017F;ta&#x0364;t wurde al&#x017F;obald <hi rendition="#aq">exequi</hi>ret,<lb/>
und die&#x017F;e Ko&#x0364;nigliche Behau&#x017F;ung gantz ohne Einwohner befunden. Die &#x017F;a&#x0364;mtli-<lb/>
chen Tugendhafften, &#x017F;o bald &#x017F;ie &#x017F;olches ver&#x017F;tanden, legten ihre Trauer-Kleider<lb/>
an, be&#x017F;treueten ihre Ha&#x0364;upter mit A&#x017F;che, gaben auch andere Zeichen einer wah-<lb/>
ren und hertzlichen Traurigkeit von &#x017F;ich. Ab&#x017F;onderlich war <hi rendition="#aq">Apollo</hi> derma&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en betru&#x0364;bet, daß man Augen&#x017F;cheinlich die innerliche Schwermu&#x0364;thigkeit an ihm<lb/>
ver&#x017F;pu&#x0364;hren kunte. Und weil Ihro <hi rendition="#aq">Parna&#x017F;&#x017F;i</hi>&#x017F;che Maje&#x017F;ta&#x0364;t leichtlich abnehmen<lb/>
kunte, es wu&#x0364;rde alle gute <hi rendition="#aq">Policey</hi> unter dem men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlechte zu Grun-<lb/>
de gehen, wann die&#x017F;es fe&#x017F;te und unbewegliche <hi rendition="#aq">Fundament</hi> der Treue und des<lb/>
Glaubens, auf dem die&#x017F;es Geba&#x0364;ude bißhers geruhet, &#x017F;ich verlieren &#x017F;olte, lie&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ie an allen Orten durch ein o&#x0364;ffentliches Gebot <hi rendition="#aq">publici</hi>ren, daß derjenige,<lb/>
welcher offenbaren wu&#x0364;rde, wo &#x017F;ich die vortreffliche Tugend der Treue hin ver-<lb/>
krochen habe, einen un&#x017F;terblichen Namen zur Belohnung erlangen &#x017F;olte. Da-<lb/>
mit auch keiner der Zahlung halber zu zweiffeln ha&#x0364;tte, ertheilte der Ko&#x0364;nigliche<lb/><hi rendition="#aq">Fi&#x017F;cus</hi> Wech&#x017F;el-Brieffe an <hi rendition="#aq">Homerum, Virgilium</hi> und <hi rendition="#aq">Livium,</hi> wie auch an<lb/>
den u&#x0364;beraus reichen <hi rendition="#aq">Tacitum,</hi> als welche die vornehm&#x017F;ten Kauff-Leute in<lb/>
dem <hi rendition="#aq">Parna&#x017F;&#x017F;o</hi> unter denenjenigen &#x017F;ind, &#x017F;o mit ihren Schrifften andern Leuten<lb/>
einen un&#x017F;terblichen Namen zu machen begehren. Die gro&#x017F;&#x017F;e Belohnung gab<lb/>
vielen Ur&#x017F;ache zu &#x017F;uchen, wo doch die Treue hingekommen wa&#x0364;re. Endlich<lb/>
ward &#x017F;ie in einem Stall unter denen Hunden des weit beru&#x0364;hmten Ja&#x0364;gers <hi rendition="#aq">Acteo-<lb/>
nis</hi> und <hi rendition="#aq">Adonidis</hi> gefunden. Die&#x017F;e gewu&#x0364;n&#x017F;chte neue Zeitung wurde dem <hi rendition="#aq">Apollini</hi><lb/>
unverzu&#x0364;glich zu wi&#x017F;&#x017F;en gethan. Der <hi rendition="#aq">&#x017F;pedir</hi>te in aller Eil die zwo <hi rendition="#aq">Mu&#x017F;en Telpome-<lb/>
nem</hi> und <hi rendition="#aq">Taliam</hi> dahin, eine &#x017F;o Durchlauchtige Printzeßin aus einem &#x017F;olchen<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ndlichen Orte abzuholen, und wieder in ihr gewo&#x0364;hnliches <hi rendition="#aq">Logement</hi> einzu-<lb/>
fu&#x0364;hren. Aber es war alles vergebens. Die Durchlauchtige Printzeßin be-<lb/>
weinte zum ho&#x0364;ch&#x017F;ten ihren unglu&#x0364;ck&#x017F;eligen Zu&#x017F;tand und &#x017F;agte zu denen zwo <hi rendition="#aq">Mu&#x017F;is:</hi><lb/><hi rendition="#fr">Vermeldet dem</hi> <hi rendition="#aq">Apollini,</hi> <hi rendition="#fr">meinem gna&#x0364;digen Herren wieder, es<lb/>
ha&#x0364;tte der Betrug und die Fal&#x017F;chheit, meine ewigen und un&#x017F;terbli-<lb/>
chen Todt-Feinde, endlich in dem Streit, den &#x017F;ie jederzeit mit mir<lb/>
gehabt, den vo&#x0364;lligen Sieg wieder mich erhalten, der ge&#x017F;talt, daß</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">&#x017F;ie</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0152] frequentiret und beſuchet worden, iſt eine Zeit her in ſolches Abnehmen ge- kommen, daß er einem zerſtoͤrten und verwuͤſteten Hauſe nicht ungleich ſiehet; dahero auch die Reſidentz dieſer beruͤhmten Tugend endlich gantz verſchloſſen. Apollo, nachdem er von einer ſo hochwichtigen Sache Nachricht bekommen, befahl die Thuͤren dieſes Pallaſtes mit Gewalt zu oͤffnen, und von dieſer Durch- lauchtigſten Tugend der Treue ſelbſten die Urſachen ſolcher Neuerungen zu ver- nehmen. Der Befehl Ihrer Parnaſſiſchen Majeſtaͤt wurde alſobald exequiret, und dieſe Koͤnigliche Behauſung gantz ohne Einwohner befunden. Die ſaͤmtli- chen Tugendhafften, ſo bald ſie ſolches verſtanden, legten ihre Trauer-Kleider an, beſtreueten ihre Haͤupter mit Aſche, gaben auch andere Zeichen einer wah- ren und hertzlichen Traurigkeit von ſich. Abſonderlich war Apollo dermaſ- ſen betruͤbet, daß man Augenſcheinlich die innerliche Schwermuͤthigkeit an ihm verſpuͤhren kunte. Und weil Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt leichtlich abnehmen kunte, es wuͤrde alle gute Policey unter dem menſchlichen Geſchlechte zu Grun- de gehen, wann dieſes feſte und unbewegliche Fundament der Treue und des Glaubens, auf dem dieſes Gebaͤude bißhers geruhet, ſich verlieren ſolte, lieſ- ſen ſie an allen Orten durch ein oͤffentliches Gebot publiciren, daß derjenige, welcher offenbaren wuͤrde, wo ſich die vortreffliche Tugend der Treue hin ver- krochen habe, einen unſterblichen Namen zur Belohnung erlangen ſolte. Da- mit auch keiner der Zahlung halber zu zweiffeln haͤtte, ertheilte der Koͤnigliche Fiſcus Wechſel-Brieffe an Homerum, Virgilium und Livium, wie auch an den uͤberaus reichen Tacitum, als welche die vornehmſten Kauff-Leute in dem Parnaſſo unter denenjenigen ſind, ſo mit ihren Schrifften andern Leuten einen unſterblichen Namen zu machen begehren. Die groſſe Belohnung gab vielen Urſache zu ſuchen, wo doch die Treue hingekommen waͤre. Endlich ward ſie in einem Stall unter denen Hunden des weit beruͤhmten Jaͤgers Acteo- nis und Adonidis gefunden. Dieſe gewuͤnſchte neue Zeitung wurde dem Apollini unverzuͤglich zu wiſſen gethan. Der ſpedirte in aller Eil die zwo Muſen Telpome- nem und Taliam dahin, eine ſo Durchlauchtige Printzeßin aus einem ſolchen ſchaͤndlichen Orte abzuholen, und wieder in ihr gewoͤhnliches Logement einzu- fuͤhren. Aber es war alles vergebens. Die Durchlauchtige Printzeßin be- weinte zum hoͤchſten ihren ungluͤckſeligen Zuſtand und ſagte zu denen zwo Muſis: Vermeldet dem Apollini, meinem gnaͤdigen Herren wieder, es haͤtte der Betrug und die Falſchheit, meine ewigen und unſterbli- chen Todt-Feinde, endlich in dem Streit, den ſie jederzeit mit mir gehabt, den voͤlligen Sieg wieder mich erhalten, der geſtalt, daß ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/152
Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/152>, abgerufen am 29.03.2024.