Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729.

Bild:
<< vorherige Seite

welcher jederman das Gesicht verblende. Im übrigen gestünde er
willig und gerne, daß auch ohne diese seine Regeln, die er vorgeschrie-
ben,
Poetische Gedichte in der höchsten Vollkommenheit geschrieben
und verfertiget werden, und solche auch hernach wiederum andern an
statt dieser Regeln, dienlich und beförderlich seyn könten.
In Anse-
hung dieses freyen Geständnisses und der gethanen unterthänigen Bitte ward
Aristoteles von dem Apolline pardoniret, und wieder auf freyen Fuß gestellet.

In der jetzt-kommenden Relation können sich die fal-
schen und aufgeblasenen gelehrten Politici
bespiegeln.

VOr zweyen Monaten verschiede der Fürst in Lesbo, wannenhero die Land-
stände selbigen Fürstenthums, weil es nicht Erblich, sondern in der
Wahl bestehet, an Apollinem ihre Gesandten, abfertigten, mit unterthänigster
Bitte, Ihro Parnassische Majestät möchten geruhen ihnen eine tüchtige
Person vorzuschlagen, welche sie wieder vor ihren rechtmäßigen Herrn
erwehlen und aunehmen sollten.
Ihro Parnassische Majestät benenne-
ten ihnen unterschiedene gelehrte und qualificirte Männer. Aber es liessen sich
die Abgesandten bedüncken, daß gleichwie Cornelius Tacitus der vornehmste
unter denen Politicis; also wäre er auch billig allen andern vorzuziehen. Ehe
sie aber in dieser wichtigen Sache weiter verführen, wurden sie Raths sich zu
ihm selbst zu verfügen, um zu vernehmen, im Fall sie ihn zu ihrem Fürsten auf-
und annehmen würden, auf was Art und Weise er sie zu gouverniren und zu
regieren gedächte? Tacitus, nachdem er sich selber wacker heraus gestrichen gab
denen Gesandten zur Antwort, was er in der Wissenschafft, Landen
und Leuten wohl vorzustehen, vor ein Mann seye, das wäre
Welt-kündig. Denn weil jedermann seine Schrifften so hoch hiel-
te, bedünckte ihn, er könne sich mit Wahrheit rühmen, es werde die
gantze Welt von denen heutigen Potentaten eintzig und allein
durch seine
Politic regieret. Da er nun andere Leute in der aller-
spitzfindigsten und
subtilsten Ratio Status so wohl informiret und un-
terwiesen, so könten sie leichtlich gedencken und abnehmen, daß er

sich
R

welcher jederman das Geſicht verblende. Im uͤbrigen geſtuͤnde er
willig und gerne, daß auch ohne dieſe ſeine Regeln, die er vorgeſchrie-
ben,
Poëtiſche Gedichte in der hoͤchſten Vollkommenheit geſchrieben
und verfertiget werden, und ſolche auch hernach wiederum andern an
ſtatt dieſer Regeln, dienlich und befoͤrderlich ſeyn koͤnten.
In Anſe-
hung dieſes freyen Geſtaͤndniſſes und der gethanen unterthaͤnigen Bitte ward
Ariſtoteles von dem Apolline pardoniret, und wieder auf freyen Fuß geſtellet.

In der jetzt-kommenden Relation koͤnnen ſich die fal-
ſchen und aufgeblaſenen gelehrten Politici
beſpiegeln.

VOr zweyen Monaten verſchiede der Fuͤrſt in Lesbo, wannenhero die Land-
ſtaͤnde ſelbigen Fuͤrſtenthums, weil es nicht Erblich, ſondern in der
Wahl beſtehet, an Apollinem ihre Geſandten, abfertigten, mit unterthaͤnigſter
Bitte, Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt moͤchten geruhen ihnen eine tuͤchtige
Perſon vorzuſchlagen, welche ſie wieder vor ihren rechtmaͤßigen Herrn
erwehlen und aunehmen ſollten.
Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt benenne-
ten ihnen unterſchiedene gelehrte und qualificirte Maͤnner. Aber es lieſſen ſich
die Abgeſandten beduͤncken, daß gleichwie Cornelius Tacitus der vornehmſte
unter denen Politicis; alſo waͤre er auch billig allen andern vorzuziehen. Ehe
ſie aber in dieſer wichtigen Sache weiter verfuͤhren, wurden ſie Raths ſich zu
ihm ſelbſt zu verfuͤgen, um zu vernehmen, im Fall ſie ihn zu ihrem Fuͤrſten auf-
und annehmen wuͤrden, auf was Art und Weiſe er ſie zu gouverniren und zu
regieren gedaͤchte? Tacitus, nachdem er ſich ſelber wacker heraus geſtrichen gab
denen Geſandten zur Antwort, was er in der Wiſſenſchafft, Landen
und Leuten wohl vorzuſtehen, vor ein Mann ſeye, das waͤre
Welt-kuͤndig. Denn weil jedermann ſeine Schrifften ſo hoch hiel-
te, beduͤnckte ihn, er koͤnne ſich mit Wahrheit ruͤhmen, es werde die
gantze Welt von denen heutigen Potentaten eintzig und allein
durch ſeine
Politic regieret. Da er nun andere Leute in der aller-
ſpitzfindigſten und
ſubtilſten Ratio Status ſo wohl informiret und un-
terwieſen, ſo koͤnten ſie leichtlich gedencken und abnehmen, daß er

ſich
R
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0173" n="129"/><hi rendition="#fr">welcher jederman das Ge&#x017F;icht verblende. Im u&#x0364;brigen ge&#x017F;tu&#x0364;nde er<lb/>
willig und gerne, daß auch ohne die&#x017F;e &#x017F;eine Regeln, die er vorge&#x017F;chrie-<lb/>
ben,</hi><hi rendition="#aq">Poëti</hi><hi rendition="#fr">&#x017F;che Gedichte in der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Vollkommenheit ge&#x017F;chrieben<lb/>
und verfertiget werden, und &#x017F;olche auch hernach wiederum andern an<lb/>
&#x017F;tatt die&#x017F;er Regeln, dienlich und befo&#x0364;rderlich &#x017F;eyn ko&#x0364;nten.</hi> In An&#x017F;e-<lb/>
hung die&#x017F;es freyen Ge&#x017F;ta&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;es und der gethanen untertha&#x0364;nigen Bitte ward<lb/><hi rendition="#aq">Ari&#x017F;toteles</hi> von dem <hi rendition="#aq">Apolline pardoni</hi>ret, und wieder auf freyen Fuß ge&#x017F;tellet.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">In der jetzt-kommenden <hi rendition="#aq">Relation</hi> ko&#x0364;nnen &#x017F;ich die fal-<lb/>
&#x017F;chen und aufgebla&#x017F;enen gelehrten <hi rendition="#aq">Politici</hi><lb/>
be&#x017F;piegeln.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">V</hi>Or zweyen Monaten ver&#x017F;chiede der Fu&#x0364;r&#x017F;t in <hi rendition="#aq">Lesbo,</hi> wannenhero die Land-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;elbigen Fu&#x0364;r&#x017F;tenthums, weil es nicht Erblich, &#x017F;ondern in der<lb/>
Wahl be&#x017F;tehet, an <hi rendition="#aq">Apollinem</hi> ihre Ge&#x017F;andten, abfertigten, mit untertha&#x0364;nig&#x017F;ter<lb/>
Bitte, <hi rendition="#fr">Ihro</hi> <hi rendition="#aq">Parna&#x017F;&#x017F;i</hi><hi rendition="#fr">&#x017F;che Maje&#x017F;ta&#x0364;t mo&#x0364;chten geruhen ihnen eine tu&#x0364;chtige<lb/>
Per&#x017F;on vorzu&#x017F;chlagen, welche &#x017F;ie wieder vor ihren rechtma&#x0364;ßigen Herrn<lb/>
erwehlen und aunehmen &#x017F;ollten.</hi> Ihro <hi rendition="#aq">Parna&#x017F;&#x017F;i</hi>&#x017F;che Maje&#x017F;ta&#x0364;t benenne-<lb/>
ten ihnen unter&#x017F;chiedene gelehrte und <hi rendition="#aq">qualificir</hi>te Ma&#x0364;nner. Aber es lie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich<lb/>
die Abge&#x017F;andten bedu&#x0364;ncken, daß gleichwie <hi rendition="#aq">Cornelius Tacitus</hi> der vornehm&#x017F;te<lb/>
unter denen <hi rendition="#aq">Politicis;</hi> al&#x017F;o wa&#x0364;re er auch billig allen andern vorzuziehen. Ehe<lb/>
&#x017F;ie aber in die&#x017F;er wichtigen Sache weiter verfu&#x0364;hren, wurden &#x017F;ie Raths &#x017F;ich zu<lb/>
ihm &#x017F;elb&#x017F;t zu verfu&#x0364;gen, um zu vernehmen, im Fall &#x017F;ie ihn zu ihrem Fu&#x0364;r&#x017F;ten auf-<lb/>
und annehmen wu&#x0364;rden, auf was Art und Wei&#x017F;e er &#x017F;ie zu <hi rendition="#aq">gouverni</hi>ren und zu<lb/>
regieren geda&#x0364;chte? <hi rendition="#aq">Tacitus,</hi> nachdem er &#x017F;ich &#x017F;elber wacker heraus ge&#x017F;trichen gab<lb/>
denen Ge&#x017F;andten zur Antwort, <hi rendition="#fr">was er in der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft, Landen<lb/>
und Leuten wohl vorzu&#x017F;tehen, vor ein Mann &#x017F;eye, das wa&#x0364;re<lb/>
Welt-ku&#x0364;ndig. Denn weil jedermann &#x017F;eine Schrifften &#x017F;o hoch hiel-<lb/>
te, bedu&#x0364;nckte ihn, er ko&#x0364;nne &#x017F;ich mit Wahrheit ru&#x0364;hmen, es werde die<lb/>
gantze Welt von denen heutigen Potentaten eintzig und allein<lb/>
durch &#x017F;eine</hi> <hi rendition="#aq">Politic</hi> <hi rendition="#fr">regieret. Da er nun andere Leute in der aller-<lb/>
&#x017F;pitzfindig&#x017F;ten und</hi> <hi rendition="#aq">&#x017F;ubtil&#x017F;ten Ratio Status</hi> <hi rendition="#fr">&#x017F;o wohl</hi> <hi rendition="#aq">informi</hi><hi rendition="#fr">ret und un-<lb/>
terwie&#x017F;en, &#x017F;o ko&#x0364;nten &#x017F;ie leichtlich gedencken und abnehmen, daß er</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">&#x017F;ich</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0173] welcher jederman das Geſicht verblende. Im uͤbrigen geſtuͤnde er willig und gerne, daß auch ohne dieſe ſeine Regeln, die er vorgeſchrie- ben, Poëtiſche Gedichte in der hoͤchſten Vollkommenheit geſchrieben und verfertiget werden, und ſolche auch hernach wiederum andern an ſtatt dieſer Regeln, dienlich und befoͤrderlich ſeyn koͤnten. In Anſe- hung dieſes freyen Geſtaͤndniſſes und der gethanen unterthaͤnigen Bitte ward Ariſtoteles von dem Apolline pardoniret, und wieder auf freyen Fuß geſtellet. In der jetzt-kommenden Relation koͤnnen ſich die fal- ſchen und aufgeblaſenen gelehrten Politici beſpiegeln. VOr zweyen Monaten verſchiede der Fuͤrſt in Lesbo, wannenhero die Land- ſtaͤnde ſelbigen Fuͤrſtenthums, weil es nicht Erblich, ſondern in der Wahl beſtehet, an Apollinem ihre Geſandten, abfertigten, mit unterthaͤnigſter Bitte, Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt moͤchten geruhen ihnen eine tuͤchtige Perſon vorzuſchlagen, welche ſie wieder vor ihren rechtmaͤßigen Herrn erwehlen und aunehmen ſollten. Ihro Parnaſſiſche Majeſtaͤt benenne- ten ihnen unterſchiedene gelehrte und qualificirte Maͤnner. Aber es lieſſen ſich die Abgeſandten beduͤncken, daß gleichwie Cornelius Tacitus der vornehmſte unter denen Politicis; alſo waͤre er auch billig allen andern vorzuziehen. Ehe ſie aber in dieſer wichtigen Sache weiter verfuͤhren, wurden ſie Raths ſich zu ihm ſelbſt zu verfuͤgen, um zu vernehmen, im Fall ſie ihn zu ihrem Fuͤrſten auf- und annehmen wuͤrden, auf was Art und Weiſe er ſie zu gouverniren und zu regieren gedaͤchte? Tacitus, nachdem er ſich ſelber wacker heraus geſtrichen gab denen Geſandten zur Antwort, was er in der Wiſſenſchafft, Landen und Leuten wohl vorzuſtehen, vor ein Mann ſeye, das waͤre Welt-kuͤndig. Denn weil jedermann ſeine Schrifften ſo hoch hiel- te, beduͤnckte ihn, er koͤnne ſich mit Wahrheit ruͤhmen, es werde die gantze Welt von denen heutigen Potentaten eintzig und allein durch ſeine Politic regieret. Da er nun andere Leute in der aller- ſpitzfindigſten und ſubtilſten Ratio Status ſo wohl informiret und un- terwieſen, ſo koͤnten ſie leichtlich gedencken und abnehmen, daß er ſich R

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/173
Zitationshilfe: Fassmann, David: Der Gelehrte Narr. Freiburg, 1729, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fassmann_narr_1729/173>, abgerufen am 28.03.2024.