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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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alte historische Gott bleibt doch immer die Grundlage einer
Religion*).


Die Allmacht des Gemüths oder das Geheimniß des
Gebetes.

Israel ist die historische Definition der specifischen Natur
des religiösen Bewußtseins, nur daß dieses hier noch mit der
Schranke eines besondern, des Nationalinteresses behaftet war.
Wir dürfen daher diese Schranke nur fallen lassen, so haben
wir die christliche Religion. Das Judenthum ist das welt-
liche Christenthum
, das Christenthum das geistliche Ju-
denthum
. Die christliche Religion ist die vom National-
egoismus gereinigte jüdische Religion, allerdings zugleich eine
neue, andere Religion; denn jede Reformation, jede Reinigung
bringt, namentlich in religiösen Dingen, wo selbst das Unbe-
deutende Bedeutung hat, eine wesentliche Veränderung her-
vor. Dem Juden war der Israelite der Mittler, das Band
zwischen Gott und Mensch; er bezog sich in seiner Beziehung
auf Jehovah auf sich als Israeliten; Jehovah war selbst nichts
andres als die Identität, das sich als absolutes Wesen gegen-
ständliche Selbstbewußtsein Israels, das Nationalgewissen, das

*) Die Bemerkung stehe noch hier, daß allerdings die Bewunderung
der Macht und Herrlichkeit Gottes überhaupt, so auch Jehovahs in der
Natur
zwar nicht im Bewußtsein des Israeliten, aber doch in Wahr-
heit nur die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit der Natur ist. (S.
hierüber P. Bayle, Ein Beitrag etc. p. 25--29.) Aber dieß förmlich zu
beweisen, liegt außer unserm Plan, da wir uns hier nur auf das Christen-
thum, d. h. die Verehrung Gottes im Menschen (Deum colimus per
Christum
. Tertullian. Apolog. c.
21.) beschränken. Gleichwohl ist jedoch
das Princip dieses Beweises auch in dieser Schrift ausgesprochen.

alte hiſtoriſche Gott bleibt doch immer die Grundlage einer
Religion*).


Die Allmacht des Gemüths oder das Geheimniß des
Gebetes.

Iſrael iſt die hiſtoriſche Definition der ſpecifiſchen Natur
des religiöſen Bewußtſeins, nur daß dieſes hier noch mit der
Schranke eines beſondern, des Nationalintereſſes behaftet war.
Wir dürfen daher dieſe Schranke nur fallen laſſen, ſo haben
wir die chriſtliche Religion. Das Judenthum iſt das welt-
liche Chriſtenthum
, das Chriſtenthum das geiſtliche Ju-
denthum
. Die chriſtliche Religion iſt die vom National-
egoismus gereinigte jüdiſche Religion, allerdings zugleich eine
neue, andere Religion; denn jede Reformation, jede Reinigung
bringt, namentlich in religiöſen Dingen, wo ſelbſt das Unbe-
deutende Bedeutung hat, eine weſentliche Veränderung her-
vor. Dem Juden war der Iſraelite der Mittler, das Band
zwiſchen Gott und Menſch; er bezog ſich in ſeiner Beziehung
auf Jehovah auf ſich als Iſraeliten; Jehovah war ſelbſt nichts
andres als die Identität, das ſich als abſolutes Weſen gegen-
ſtändliche Selbſtbewußtſein Iſraels, das Nationalgewiſſen, das

*) Die Bemerkung ſtehe noch hier, daß allerdings die Bewunderung
der Macht und Herrlichkeit Gottes überhaupt, ſo auch Jehovahs in der
Natur
zwar nicht im Bewußtſein des Iſraeliten, aber doch in Wahr-
heit nur die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit der Natur iſt. (S.
hierüber P. Bayle, Ein Beitrag ꝛc. p. 25—29.) Aber dieß förmlich zu
beweiſen, liegt außer unſerm Plan, da wir uns hier nur auf das Chriſten-
thum, d. h. die Verehrung Gottes im Menſchen (Deum colimus per
Christum
. Tertullian. Apolog. c.
21.) beſchränken. Gleichwohl iſt jedoch
das Princip dieſes Beweiſes auch in dieſer Schrift ausgeſprochen.
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[154/0172] alte hiſtoriſche Gott bleibt doch immer die Grundlage einer Religion *). Die Allmacht des Gemüths oder das Geheimniß des Gebetes. Iſrael iſt die hiſtoriſche Definition der ſpecifiſchen Natur des religiöſen Bewußtſeins, nur daß dieſes hier noch mit der Schranke eines beſondern, des Nationalintereſſes behaftet war. Wir dürfen daher dieſe Schranke nur fallen laſſen, ſo haben wir die chriſtliche Religion. Das Judenthum iſt das welt- liche Chriſtenthum, das Chriſtenthum das geiſtliche Ju- denthum. Die chriſtliche Religion iſt die vom National- egoismus gereinigte jüdiſche Religion, allerdings zugleich eine neue, andere Religion; denn jede Reformation, jede Reinigung bringt, namentlich in religiöſen Dingen, wo ſelbſt das Unbe- deutende Bedeutung hat, eine weſentliche Veränderung her- vor. Dem Juden war der Iſraelite der Mittler, das Band zwiſchen Gott und Menſch; er bezog ſich in ſeiner Beziehung auf Jehovah auf ſich als Iſraeliten; Jehovah war ſelbſt nichts andres als die Identität, das ſich als abſolutes Weſen gegen- ſtändliche Selbſtbewußtſein Iſraels, das Nationalgewiſſen, das *) Die Bemerkung ſtehe noch hier, daß allerdings die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit Gottes überhaupt, ſo auch Jehovahs in der Natur zwar nicht im Bewußtſein des Iſraeliten, aber doch in Wahr- heit nur die Bewunderung der Macht und Herrlichkeit der Natur iſt. (S. hierüber P. Bayle, Ein Beitrag ꝛc. p. 25—29.) Aber dieß förmlich zu beweiſen, liegt außer unſerm Plan, da wir uns hier nur auf das Chriſten- thum, d. h. die Verehrung Gottes im Menſchen (Deum colimus per Christum. Tertullian. Apolog. c. 21.) beſchränken. Gleichwohl iſt jedoch das Princip dieſes Beweiſes auch in dieſer Schrift ausgeſprochen.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/172>, abgerufen am 19.04.2024.