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Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

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Hradscheck," fuhr sie fort, "er soll doch nur still sein. Jn Neu-Lewin reden sie nicht viel Gutes von ihm. Die Rese hat er sitzenlassen. Und mit eins war sie weg, und keiner weiß wie und warum. Und war auch von ausgraben die Rede, bis unser alter Woytasch 'rüberfuhr und alles wieder still machte. Natürlich, er will keinen Lärm haben und is 'ne Suse. Zu Hause darf er ohnehin nicht reden. Oder ob er der Hradschecken nach den Augen sieht? Sie hat so was. Und ich sage blos, wenn wir alles hergelaufene Volk ins Dorf kriegen, so haben wir nächstens auch die Zigeuner hier, und Frau Woytasch kann sich dann nach 'nem Schwiegersohn umsehn. Zeit wird es mit der Rike; dreißig is sie ja schon."

So ging gleich am ersten Tage das Geklatsch. Als aber eine halbe Woche später die Hradscheck geradeso wieder kam, wie sie gegangen war, das heißt ohne Sammthut und Straußenfeder, und noch ebenso grüßte, ja womöglich noch artiger als vorher, da trat ein Umschlag ein, und man fing an, sie gelten zu lassen und sich einzureden, daß die Erbschaft sie verändert habe.

"Man sieht doch gleich," sagte die Quaas, "daß sie jetzt was haben. Sonst sollte das immer was sein, und sie logen einen grausam an, und war eigentlich nicht zum aushalten. Aber gestern war sie anders und sagte ganz klein und bescheiden, daß es nur wenig sei."

"Wieviel mag es denn wohl sein?" unterbrach hier die Mietzel. "Jch denke mir so tausend Thaler."

"O mehr, viel mehr. Wenn es nicht mehr wäre, wäre sie nicht so; da zierte sie sich ruhig weiter. Nein, liebe Mietzel, da hat man denn doch so seine Zeichen, und denken Sie sich, als ich sie gestern frug, ,ob es ihr nicht ängstlich gewesen wäre, so ganz allein mit dem vielen Geld', da sagte sie: ,nein, es wär' ihr nicht ängstlich gewesen, denn sie habe nur wenig mitgebracht, eigentlich nicht der Rede werth. Das Meiste habe sie bei dem Kaufmann in Berlin gleich stehen lassen.' Jch weiß ganz bestimmt, sie sagte: das Meiste. So wenig kann es also nicht sein."



Unterredungen wie diese wurden ein paar Wochen lang in jedem Tschechiner Hause geführt, ohne daß man mit Hilfe derselben im Geringsten weiter gekommen wäre, weßhalb man sich schließlich hinter den Postboten steckte. Dieser aber war entweder schweigsam oder wußte nichts, und erst Mitte November erfuhr man von ihm, daß er neuerdings einen rekommandirten Brief bei den Hradschecks abgegeben habe.

"Von woher denn?"

"Aus Krakau."

Man überlegte sich's, ob das in irgend einer Beziehung zur Erbschaft stehen könne, fand aber nichts.

Und war auch nichts zu finden. Denn der eingeschriebene Brief lautete:


Herrn Abel Hradscheck in Tschechin. Oderbruch.

Ew. Wohlgeboren bringen wir hiermit zu ganz ergebenster Kenntniß, daß unser Reisender, Herr Szulski, wie alljährlich so auch in diesem Jahre wieder, in der letzten Novemberwoche bei Jhnen eintreffen und Jhre weitern geneigten Aufträge im Empfang nehmen wird. Zugleich aber gewärtigen wir, daß Sie, hochgeehrter Herr, bei dieser Gelegenheit Veranlassung nehmen wollen, unsre seit drei Jahren anstehende Forderung zu begleichen. Wir rechnen um so bestimmter darauf, als es uns, durch die politischen Verhältnisse des Landes und den Rückschlag derselben auf unser Geschäft, unmöglich gemacht wird, einen ferneren Kredit zu bewilligen. Genehmigen Sie die Versicherung unserer Ergebenheit.

Olszewski-Goldschmidt & Sohn."

Hradscheck, als er diesen Brief empfangen hatte, hatte nicht gesäumt, auch seine Frau mit dem Jnhalte desselben bekannt zu machen. Diese blieb anscheinend ruhig, nur um ihre Lippen flog ein nervöses Zittern.

"Wo willst Du's hernehmen, Abel? Und doch muß es geschafft werden. Und ihm eingehändigt werden ... Und zwar vor Zeugen. Willst Du's borgen?"

Er schwieg.

"Bei Kunicke?"

"Nein. Geht nicht. Das sieht aus nach Verlegenheit. Und die darf es nach der Erbschaftsgeschichte nicht mehr geben. Und giebt auch nicht. Jch glaube, daß ich's schaffe."

"Gut. Aber wie?"

"Bis zum 30. hab ich noch die Feuerkassengelder."

"Die reichen nicht."

"Nein. Aber doch beinah. Und den Rest deck' ich mit einem kleinen Wechsel. Ein großer geht nicht, aber ein kleiner ist gut und eigentlich besser als baar."

Sie nickte.

Dann trennte man sich, ohne daß weiter ein Wort gewechselt worden wäre.

Was zwischen ihnen zu sagen war, war gesagt und jedem seine Rolle zugetheilt. Nur fanden sie sich sehr verschieden hinein, wie schon die nächste Minute zeigen sollte.

Hradscheck, voll Beherrschung über sich selbst, ging in den Laden, der gerade voll hübscher Bauernmädchen war, und zupfte hier der einen am Busentuch, während er der andern die Schürzenbänder aufband. Einer Alten aber gab er einen Kuß. "Einen Kuß in Ehren darf niemand wehren - nich wahr, Mutter Schickedanz?"

Mutter Schickedanz lachte.

Der Frau Hradscheck aber fehlten die guten Nerven, deren ihr Gatte sich rühmen konnte. Sie ging in ihr Schlafzimmer, sah in den Garten und überschlug ihr Leben. Dabei murmelte sie halb unverständliche Worte vor sich hin und schien, den Bewegungen ihrer Hand nach, einen Rosenkranz abzubeten. Aber es half alles nichts. Jhr Athem blieb schwer, und sie riß endlich das Fenster auf, um die frische Luft einzusaugen.

So vergingen Stunden. Und als Mittag kam, kamen nur Hradscheck und Ede zu Tisch.   (Fortsetzung folgt.)



[irrelevantes Material]

Hradscheck,“ fuhr sie fort, „er soll doch nur still sein. Jn Neu-Lewin reden sie nicht viel Gutes von ihm. Die Rese hat er sitzenlassen. Und mit eins war sie weg, und keiner weiß wie und warum. Und war auch von ausgraben die Rede, bis unser alter Woytasch ’rüberfuhr und alles wieder still machte. Natürlich, er will keinen Lärm haben und is ’ne Suse. Zu Hause darf er ohnehin nicht reden. Oder ob er der Hradschecken nach den Augen sieht? Sie hat so was. Und ich sage blos, wenn wir alles hergelaufene Volk ins Dorf kriegen, so haben wir nächstens auch die Zigeuner hier, und Frau Woytasch kann sich dann nach ’nem Schwiegersohn umsehn. Zeit wird es mit der Rike; dreißig is sie ja schon.“

So ging gleich am ersten Tage das Geklatsch. Als aber eine halbe Woche später die Hradscheck geradeso wieder kam, wie sie gegangen war, das heißt ohne Sammthut und Straußenfeder, und noch ebenso grüßte, ja womöglich noch artiger als vorher, da trat ein Umschlag ein, und man fing an, sie gelten zu lassen und sich einzureden, daß die Erbschaft sie verändert habe.

„Man sieht doch gleich,“ sagte die Quaas, „daß sie jetzt was haben. Sonst sollte das immer was sein, und sie logen einen grausam an, und war eigentlich nicht zum aushalten. Aber gestern war sie anders und sagte ganz klein und bescheiden, daß es nur wenig sei.“

„Wieviel mag es denn wohl sein?“ unterbrach hier die Mietzel. „Jch denke mir so tausend Thaler.“

„O mehr, viel mehr. Wenn es nicht mehr wäre, wäre sie nicht so; da zierte sie sich ruhig weiter. Nein, liebe Mietzel, da hat man denn doch so seine Zeichen, und denken Sie sich, als ich sie gestern frug, ‚ob es ihr nicht ängstlich gewesen wäre, so ganz allein mit dem vielen Geld‘, da sagte sie: ‚nein, es wär’ ihr nicht ängstlich gewesen, denn sie habe nur wenig mitgebracht, eigentlich nicht der Rede werth. Das Meiste habe sie bei dem Kaufmann in Berlin gleich stehen lassen.‘ Jch weiß ganz bestimmt, sie sagte: das Meiste. So wenig kann es also nicht sein.“



Unterredungen wie diese wurden ein paar Wochen lang in jedem Tschechiner Hause geführt, ohne daß man mit Hilfe derselben im Geringsten weiter gekommen wäre, weßhalb man sich schließlich hinter den Postboten steckte. Dieser aber war entweder schweigsam oder wußte nichts, und erst Mitte November erfuhr man von ihm, daß er neuerdings einen rekommandirten Brief bei den Hradschecks abgegeben habe.

„Von woher denn?“

„Aus Krakau.“

Man überlegte sich’s, ob das in irgend einer Beziehung zur Erbschaft stehen könne, fand aber nichts.

Und war auch nichts zu finden. Denn der eingeschriebene Brief lautete:


Herrn Abel Hradscheck in Tschechin. Oderbruch.

Ew. Wohlgeboren bringen wir hiermit zu ganz ergebenster Kenntniß, daß unser Reisender, Herr Szulski, wie alljährlich so auch in diesem Jahre wieder, in der letzten Novemberwoche bei Jhnen eintreffen und Jhre weitern geneigten Aufträge im Empfang nehmen wird. Zugleich aber gewärtigen wir, daß Sie, hochgeehrter Herr, bei dieser Gelegenheit Veranlassung nehmen wollen, unsre seit drei Jahren anstehende Forderung zu begleichen. Wir rechnen um so bestimmter darauf, als es uns, durch die politischen Verhältnisse des Landes und den Rückschlag derselben auf unser Geschäft, unmöglich gemacht wird, einen ferneren Kredit zu bewilligen. Genehmigen Sie die Versicherung unserer Ergebenheit.

Olszewski-Goldschmidt & Sohn.“

Hradscheck, als er diesen Brief empfangen hatte, hatte nicht gesäumt, auch seine Frau mit dem Jnhalte desselben bekannt zu machen. Diese blieb anscheinend ruhig, nur um ihre Lippen flog ein nervöses Zittern.

„Wo willst Du’s hernehmen, Abel? Und doch muß es geschafft werden. Und ihm eingehändigt werden … Und zwar vor Zeugen. Willst Du’s borgen?“

Er schwieg.

„Bei Kunicke?“

„Nein. Geht nicht. Das sieht aus nach Verlegenheit. Und die darf es nach der Erbschaftsgeschichte nicht mehr geben. Und giebt auch nicht. Jch glaube, daß ich’s schaffe.“

„Gut. Aber wie?“

„Bis zum 30. hab ich noch die Feuerkassengelder.“

„Die reichen nicht.“

„Nein. Aber doch beinah. Und den Rest deck’ ich mit einem kleinen Wechsel. Ein großer geht nicht, aber ein kleiner ist gut und eigentlich besser als baar.“

Sie nickte.

Dann trennte man sich, ohne daß weiter ein Wort gewechselt worden wäre.

Was zwischen ihnen zu sagen war, war gesagt und jedem seine Rolle zugetheilt. Nur fanden sie sich sehr verschieden hinein, wie schon die nächste Minute zeigen sollte.

Hradscheck, voll Beherrschung über sich selbst, ging in den Laden, der gerade voll hübscher Bauernmädchen war, und zupfte hier der einen am Busentuch, während er der andern die Schürzenbänder aufband. Einer Alten aber gab er einen Kuß. „Einen Kuß in Ehren darf niemand wehren – nich wahr, Mutter Schickedanz?“

Mutter Schickedanz lachte.

Der Frau Hradscheck aber fehlten die guten Nerven, deren ihr Gatte sich rühmen konnte. Sie ging in ihr Schlafzimmer, sah in den Garten und überschlug ihr Leben. Dabei murmelte sie halb unverständliche Worte vor sich hin und schien, den Bewegungen ihrer Hand nach, einen Rosenkranz abzubeten. Aber es half alles nichts. Jhr Athem blieb schwer, und sie riß endlich das Fenster auf, um die frische Luft einzusaugen.

So vergingen Stunden. Und als Mittag kam, kamen nur Hradscheck und Ede zu Tisch.   (Fortsetzung folgt.)



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[552/0010] Hradscheck,“ fuhr sie fort, „er soll doch nur still sein. Jn Neu-Lewin reden sie nicht viel Gutes von ihm. Die Rese hat er sitzenlassen. Und mit eins war sie weg, und keiner weiß wie und warum. Und war auch von ausgraben die Rede, bis unser alter Woytasch ’rüberfuhr und alles wieder still machte. Natürlich, er will keinen Lärm haben und is ’ne Suse. Zu Hause darf er ohnehin nicht reden. Oder ob er der Hradschecken nach den Augen sieht? Sie hat so was. Und ich sage blos, wenn wir alles hergelaufene Volk ins Dorf kriegen, so haben wir nächstens auch die Zigeuner hier, und Frau Woytasch kann sich dann nach ’nem Schwiegersohn umsehn. Zeit wird es mit der Rike; dreißig is sie ja schon.“ So ging gleich am ersten Tage das Geklatsch. Als aber eine halbe Woche später die Hradscheck geradeso wieder kam, wie sie gegangen war, das heißt ohne Sammthut und Straußenfeder, und noch ebenso grüßte, ja womöglich noch artiger als vorher, da trat ein Umschlag ein, und man fing an, sie gelten zu lassen und sich einzureden, daß die Erbschaft sie verändert habe. „Man sieht doch gleich,“ sagte die Quaas, „daß sie jetzt was haben. Sonst sollte das immer was sein, und sie logen einen grausam an, und war eigentlich nicht zum aushalten. Aber gestern war sie anders und sagte ganz klein und bescheiden, daß es nur wenig sei.“ „Wieviel mag es denn wohl sein?“ unterbrach hier die Mietzel. „Jch denke mir so tausend Thaler.“ „O mehr, viel mehr. Wenn es nicht mehr wäre, wäre sie nicht so; da zierte sie sich ruhig weiter. Nein, liebe Mietzel, da hat man denn doch so seine Zeichen, und denken Sie sich, als ich sie gestern frug, ‚ob es ihr nicht ängstlich gewesen wäre, so ganz allein mit dem vielen Geld‘, da sagte sie: ‚nein, es wär’ ihr nicht ängstlich gewesen, denn sie habe nur wenig mitgebracht, eigentlich nicht der Rede werth. Das Meiste habe sie bei dem Kaufmann in Berlin gleich stehen lassen.‘ Jch weiß ganz bestimmt, sie sagte: das Meiste. So wenig kann es also nicht sein.“ Unterredungen wie diese wurden ein paar Wochen lang in jedem Tschechiner Hause geführt, ohne daß man mit Hilfe derselben im Geringsten weiter gekommen wäre, weßhalb man sich schließlich hinter den Postboten steckte. Dieser aber war entweder schweigsam oder wußte nichts, und erst Mitte November erfuhr man von ihm, daß er neuerdings einen rekommandirten Brief bei den Hradschecks abgegeben habe. „Von woher denn?“ „Aus Krakau.“ Man überlegte sich’s, ob das in irgend einer Beziehung zur Erbschaft stehen könne, fand aber nichts. Und war auch nichts zu finden. Denn der eingeschriebene Brief lautete: „Krakau, den 9. November 1831 Herrn Abel Hradscheck in Tschechin. Oderbruch. Ew. Wohlgeboren bringen wir hiermit zu ganz ergebenster Kenntniß, daß unser Reisender, Herr Szulski, wie alljährlich so auch in diesem Jahre wieder, in der letzten Novemberwoche bei Jhnen eintreffen und Jhre weitern geneigten Aufträge im Empfang nehmen wird. Zugleich aber gewärtigen wir, daß Sie, hochgeehrter Herr, bei dieser Gelegenheit Veranlassung nehmen wollen, unsre seit drei Jahren anstehende Forderung zu begleichen. Wir rechnen um so bestimmter darauf, als es uns, durch die politischen Verhältnisse des Landes und den Rückschlag derselben auf unser Geschäft, unmöglich gemacht wird, einen ferneren Kredit zu bewilligen. Genehmigen Sie die Versicherung unserer Ergebenheit. Olszewski-Goldschmidt & Sohn.“ Hradscheck, als er diesen Brief empfangen hatte, hatte nicht gesäumt, auch seine Frau mit dem Jnhalte desselben bekannt zu machen. Diese blieb anscheinend ruhig, nur um ihre Lippen flog ein nervöses Zittern. „Wo willst Du’s hernehmen, Abel? Und doch muß es geschafft werden. Und ihm eingehändigt werden … Und zwar vor Zeugen. Willst Du’s borgen?“ Er schwieg. „Bei Kunicke?“ „Nein. Geht nicht. Das sieht aus nach Verlegenheit. Und die darf es nach der Erbschaftsgeschichte nicht mehr geben. Und giebt auch nicht. Jch glaube, daß ich’s schaffe.“ „Gut. Aber wie?“ „Bis zum 30. hab ich noch die Feuerkassengelder.“ „Die reichen nicht.“ „Nein. Aber doch beinah. Und den Rest deck’ ich mit einem kleinen Wechsel. Ein großer geht nicht, aber ein kleiner ist gut und eigentlich besser als baar.“ Sie nickte. Dann trennte man sich, ohne daß weiter ein Wort gewechselt worden wäre. Was zwischen ihnen zu sagen war, war gesagt und jedem seine Rolle zugetheilt. Nur fanden sie sich sehr verschieden hinein, wie schon die nächste Minute zeigen sollte. Hradscheck, voll Beherrschung über sich selbst, ging in den Laden, der gerade voll hübscher Bauernmädchen war, und zupfte hier der einen am Busentuch, während er der andern die Schürzenbänder aufband. Einer Alten aber gab er einen Kuß. „Einen Kuß in Ehren darf niemand wehren – nich wahr, Mutter Schickedanz?“ Mutter Schickedanz lachte. Der Frau Hradscheck aber fehlten die guten Nerven, deren ihr Gatte sich rühmen konnte. Sie ging in ihr Schlafzimmer, sah in den Garten und überschlug ihr Leben. Dabei murmelte sie halb unverständliche Worte vor sich hin und schien, den Bewegungen ihrer Hand nach, einen Rosenkranz abzubeten. Aber es half alles nichts. Jhr Athem blieb schwer, und sie riß endlich das Fenster auf, um die frische Luft einzusaugen. So vergingen Stunden. Und als Mittag kam, kamen nur Hradscheck und Ede zu Tisch. (Fortsetzung folgt.) _

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-07-12T12:36:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-12T12:36:22Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube#Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
  • I/J in Fraktur: wie Vorlage;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
  • Spaltenumbrüche markiert: nein;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;



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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/10>, abgerufen am 16.04.2024.