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Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

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Wat doa to siehn is, ick meen hier buten, hier in'n Goarden, dat hebb' ick siehn, dat weet ick all. Un is ümmer dat Sülwigte."

"Dat Sülwigte?"

"Joa. Nu nich mihr. Awers as noch keen Snee wihr. Doa ..."

"Da. Was denn?"

"Doa wihr se Nachtens ümmer so 'rümm hier."

"So, so," sagte der Gendarm und that vorsichtig allerlei weitere Fragen. Und da sich die Jeschke von guten Beziehungen zur Dorfpolizei nur Vortheile versprechen konnte, so wurde sie trotz aller sonstigen Zurückhaltung immer mittheilsamer und erzählte dem Gendarmen Neues und Altes, namentlich auch das, was sie damals, in der stürmischen November-Nacht, von ihrer Küchenthür aus beobachtet hatte. Hradscheck habe lang da gestanden, ein flackrig Licht in der Hand. "Un wihr binoah so, as ob he wull, dat man em seihn sull." Und dann hab' er einen Spaten genommen und sei bis an den Birnbaum gegangen. Und da hab er ein Loch gegraben. An der Gartenthür aber habe was gestanden wie ein Koffer oder Korb oder eine Kiste. Was? das habe sie nicht genau sehen können. Und dann hab' er das Loch wieder zugeschüttet.

Geelhaar, der sich bis dahin, allem Diensteifer zum Trotz, ebenso sehr mit Line wie mit Hradscheck beschäftigt hatte, ja, vielleicht mehr noch Kourmacher als Beamter gewesen war, war unter diesem Bericht sehr ernsthaft geworden und sagte, während er mit Wichtigkeitsmiene seinen gedunsenen Kopf hin und her wiegte: "Ja, Mutter Jeschke. Das thut mir leid. Aber es wird Euch Ungelegenheiten machen."

"Wat? wat, Geelhaar?"

"Ungelegenheiten, weil Jhr damit so spät herauskommt."

"Joa, Geelhaar, wat sall dat? wat mienens mit ,to spät' ? Et hett mi joa keener nich froagt. Un Se ook nich. Un wat weet ick denn ook? Jck weet joa nix. Jck weet joa joar nix."

"Jhr wißt genug, Mutter Jeschke."

"Nei, nei, Geelhaar. Jck weet joar nix."

"Das ist gerade genug, daß einer Nachts in seinem Garten ein Loch gräbt und wieder zuschüttet."

"Joa, Geelhaar, ick weet nich, awers jed' een möt doch in sien ejen Goarden en Loch buddeln künn'."

"Freilich. Aber nicht um Mitternacht. Und nicht bei solchem Wetter."

"Na, rieden's mi man nich rin. Un moaken Se't good mit mi ... Line, Line, segg doch ook wat."

Und wirklich, Line trat in Folge dieser Aufforderung an den Gendarmen heran und sagte, tief aufathmend, wie wenn sie mit einer plötzlichen und mächtigen Sinnen-Erregung zu kämpfen hätte: "Laß nur, Mutter Jeschke. Herr Geelhaar wird schon wissen, was er zu thun hat. Und wir werden es auch wissen. Das versteht sich doch von selbst. Nicht wahr, Herr Geelhaar?"

Dieser nickte zutraulich und sagte mit plötzlich verändertem und wieder freundlicher werdendem Tone: "Werde schon machen, Mamsell Line. Schulze Woytasch läßt ja, Gott sei Dank, mit sich reden und Vowinkel auch. Hauptsach' is, daß wir den Fuchs überhaupt ins Eisen kriegen. Und is dann am Ende gleich, wann wir ihn haben und ob ihm der Balg heut oder morgen abgezogen wird."



11.

Vierundzwanzig Stunden später kam und zwar auf die Meldung hin, die Geelhaar, gleich nach seinem Gespräche mit der Jeschke, bei der Behörde gemacht hatte - von Küstrin her ein offener Wagen, in dem, außer dem Kutscher, der Justizrath und Hradscheck saßen. Die Luft ging scharf und die Sonne blendete, weßhalb Vowinkel, um sich gegen Beides zu schützen, seinen Mantel aufgeklappt, der Kutscher aber seinen Kopf bis an Nas' und Ohren in den Pelzkragen hineingezogen hatte. Nur Hradscheck saß frei da, Luft und Licht, deren er seit länger als vier Wochen entbehrt hatte, begierig einsaugend. Der Wagen fuhr auf der Dammhöhe, von der aus sich das unten liegende Dorf bequem überblicken und beinah jedes einzelne Haus in aller Deutlichkeit erkennen ließ. Das da, mit dem schwarzen, theergestrichenen Gebälk, war das Schulhaus und das gelbe, mit dem gläsernen Aussichtsthurm, mußte Kunicke's sein. Kunicke's "Villa", wie die Tschechiner es spöttisch nannten. Das niedrige, grad gegenüber aber, das war seine, das sah er an dem Birnbaum, dessen schwarzes Gezweig über die mit Schnee bedeckte Dachfläche wegragte. Vowinkel bemerkte wohl, wie Hradscheck sich unwillkürlich auf seinem Sitze hob, aber nichts von Besorgniß drückte sich in seinen Mienen und Bewegungen aus, sondern nur Freude seine Heimstätte wiederzusehen.

Jm Dorfe selbst schien man der Ankunft des justizräthlichen Wagens schon entgegen gesehen zu haben. Auf dem Vorplatz der Jgelschen Brett- und Schneidemühle, die man, wenn man von der Küstriner Seite her kam, als erstes Gehöft zu passiren hatte (gerade so wie das Orthsche nach der Frankfurter Seite hin), stand der alte Brett- und Schneidemüller und fegte mit einem kurzen storrigen Besen den Schnee von der obersten Bretterlage fort, anscheinend aufs Eifrigste mit dieser seiner Arbeit beschäftigt, in Wahrheit aber nur begierig, den herankommenden Hradscheck eher als irgendein Anderer im Dorf gesehen zu haben. Denn Schneidemüller Jgel, oder der "Schneidigel", wie man ihn kurzweg und in der Regel mit absichtlich undeutlicher Aussprache nannte, war ein Topfkucker. Aber so topfkuckrig er war, so stolz und hochmüthig war er auch, und so wandt' er sich in demselben Augenblicke, wo der Wagen an ihm vorüberfuhr, rasch wieder auf sein Haus zu, bloß um nicht grüßen zu müssen. Hier nahm er, um seine Neugier, deren er sich schämen mochte, vor Niemandem zu verrathen, Hut und Stock mit besonderer Langsamkeit vom Riegel und folgte dann dem Wagen, den er übrigens bald danach schon vor dem Hradscheckschen Hause vorfahren sah.

Frau Hradscheck war nicht da. Statt ihrer übernahm es Kunicke, den sie darum gebeten haben mochte, den Wirth und so zu sagen die Honneurs des Hauses zu machen. Er führte denn auch den Justizrath vom Flur her in den Laden und von diesem in die dahinter befindliche Weinstube, wo man einen Jmbiß bereit gestellt hatte. Vowinkel nahm aber, unter vorläufiger freundlicher Ablehnung, nur ein kleines Glas Portwein und trat dann in den Garten hinaus, wo sich bereits alles, was zur Dorfobrigkeit gehörte, versammelt hatte: Schulze Woytasch, Gendarm Geelhaar, Nachtwächter Mewissen und drei bäuerliche Gerichtsmänner. Geelhaar, der, zur Feier des Tages, seinen Staats-Czako mit dem armslangen schwarzen Lampenputzer aufgesetzt hatte, ragte, mit Hilfe dieser Paradezuthaten, um fast drei Haupteslängen über den Rest aller Anwesenden hinaus. Das war der innere Zirkel. Jm weitern Umkreis aber standen die, die bloß aus Neugier sich eingefunden hatten, darunter der schon stark gefrühstückte Kantorssohn und Dorfdichter, während einige 20 eben aus der Schule herangekommene Jungens mit ihren Klapp-Pantinen auf das Kegelhaus geklettert waren, um von hier aus Zeuge zu sein, was wohl bei der Sache herauskommen würde. Vorläufig indeß begnügten sie sich damit, Schneebälle zu machen, mit denen sie nach den großen und kleinen Mädchen warfen, die hinter dem Gartenzaun der alten Jeschke standen. Alles plapperte, lachte, reckte den Hals, und wäre nicht Hradscheck selbst gewesen, der, die Blicke seiner alten Freunde vermeidend, ernst und schweigend vor sich hin sah, so hätte man glauben können, es sei Kirmeß oder eine winterliche Jahrmarktsscene.

Die Gerichtsmänner flüsterten und steckten die Köpfe zusammen, während Woytasch und Geelhaar sich umsahen. Es schien noch etwas zu fehlen, was auch zutraf. Als aber bald danach der alte Todtengräber Wonnekamp mit noch zwei von seinen Leuten erschien, rückte man näher an den Birnbaum heran und begann den Schnee, der hier lag, fortzuschippen. Das ging leicht genug, bis statt des Schnees die gefrorne Erde kam, wo nun die Pickaxt aushelfen mußte. Der Frost indessen war nicht tief in die Erde gedrungen, und so konnte man den Spaten nicht nur bald wieder zur Hand nehmen, sondern kam auch rascher vorwärts als man anfangs gehofft hatte. Die herausgeworfenen Schollen und Lehmstücke wurden immer größer, je weicher der Boden wurde, bis mit einem Male der alte Todtengräber einem der Arbeiter in den Arm fiel und mit der seinem Stande zuständigen Ruhe sagte: "Nu giw mi moal; nu kümmt wat." Dabei nahm er ihm das Grabscheit ohne weiteres aus der Hand und fing selber an zu graben. Aber ersichtlich mit großer Vorsicht. Alles drängte vor und wollte sehn. Und siehe da, nicht lange, so war ein Todter aufgedeckt, der zu großem Theile noch in Kleiderresten steckte. Die Bewegung wuchs und aller Augen richteten sich auf Hradscheck, der, nach wie vor, vor sich hin sah und nur dann und wann einen scheuen Seitenblick in die Grube that.

Wat doa to siehn is, ick meen hier buten, hier in‘n Goarden, dat hebb‘ ick siehn, dat weet ick all. Un is ümmer dat Sülwigte.“

„Dat Sülwigte?“

„Joa. Nu nich mihr. Awers as noch keen Snee wihr. Doa …“

„Da. Was denn?“

„Doa wihr se Nachtens ümmer so ‘rümm hier.“

„So, so,“ sagte der Gendarm und that vorsichtig allerlei weitere Fragen. Und da sich die Jeschke von guten Beziehungen zur Dorfpolizei nur Vortheile versprechen konnte, so wurde sie trotz aller sonstigen Zurückhaltung immer mittheilsamer und erzählte dem Gendarmen Neues und Altes, namentlich auch das, was sie damals, in der stürmischen November-Nacht, von ihrer Küchenthür aus beobachtet hatte. Hradscheck habe lang da gestanden, ein flackrig Licht in der Hand. „Un wihr binoah so, as ob he wull, dat man em seihn sull.“ Und dann hab‘ er einen Spaten genommen und sei bis an den Birnbaum gegangen. Und da hab er ein Loch gegraben. An der Gartenthür aber habe was gestanden wie ein Koffer oder Korb oder eine Kiste. Was? das habe sie nicht genau sehen können. Und dann hab‘ er das Loch wieder zugeschüttet.

Geelhaar, der sich bis dahin, allem Diensteifer zum Trotz, ebenso sehr mit Line wie mit Hradscheck beschäftigt hatte, ja, vielleicht mehr noch Kourmacher als Beamter gewesen war, war unter diesem Bericht sehr ernsthaft geworden und sagte, während er mit Wichtigkeitsmiene seinen gedunsenen Kopf hin und her wiegte: „Ja, Mutter Jeschke. Das thut mir leid. Aber es wird Euch Ungelegenheiten machen.“

„Wat? wat, Geelhaar?“

„Ungelegenheiten, weil Jhr damit so spät herauskommt.“

„Joa, Geelhaar, wat sall dat? wat mienens mit ‚to spät‘ ? Et hett mi joa keener nich froagt. Un Se ook nich. Un wat weet ick denn ook? Jck weet joa nix. Jck weet joa joar nix.“

„Jhr wißt genug, Mutter Jeschke.“

„Nei, nei, Geelhaar. Jck weet joar nix.“

„Das ist gerade genug, daß einer Nachts in seinem Garten ein Loch gräbt und wieder zuschüttet.“

„Joa, Geelhaar, ick weet nich, awers jed’ een möt doch in sien ejen Goarden en Loch buddeln künn’.“

„Freilich. Aber nicht um Mitternacht. Und nicht bei solchem Wetter.“

„Na, rieden’s mi man nich rin. Un moaken Se’t good mit mi … Line, Line, segg doch ook wat.“

Und wirklich, Line trat in Folge dieser Aufforderung an den Gendarmen heran und sagte, tief aufathmend, wie wenn sie mit einer plötzlichen und mächtigen Sinnen-Erregung zu kämpfen hätte: „Laß nur, Mutter Jeschke. Herr Geelhaar wird schon wissen, was er zu thun hat. Und wir werden es auch wissen. Das versteht sich doch von selbst. Nicht wahr, Herr Geelhaar?“

Dieser nickte zutraulich und sagte mit plötzlich verändertem und wieder freundlicher werdendem Tone: „Werde schon machen, Mamsell Line. Schulze Woytasch läßt ja, Gott sei Dank, mit sich reden und Vowinkel auch. Hauptsach‘ is, daß wir den Fuchs überhaupt ins Eisen kriegen. Und is dann am Ende gleich, wann wir ihn haben und ob ihm der Balg heut oder morgen abgezogen wird.“



11.

Vierundzwanzig Stunden später kam und zwar auf die Meldung hin, die Geelhaar, gleich nach seinem Gespräche mit der Jeschke, bei der Behörde gemacht hatte – von Küstrin her ein offener Wagen, in dem, außer dem Kutscher, der Justizrath und Hradscheck saßen. Die Luft ging scharf und die Sonne blendete, weßhalb Vowinkel, um sich gegen Beides zu schützen, seinen Mantel aufgeklappt, der Kutscher aber seinen Kopf bis an Nas‘ und Ohren in den Pelzkragen hineingezogen hatte. Nur Hradscheck saß frei da, Luft und Licht, deren er seit länger als vier Wochen entbehrt hatte, begierig einsaugend. Der Wagen fuhr auf der Dammhöhe, von der aus sich das unten liegende Dorf bequem überblicken und beinah jedes einzelne Haus in aller Deutlichkeit erkennen ließ. Das da, mit dem schwarzen, theergestrichenen Gebälk, war das Schulhaus und das gelbe, mit dem gläsernen Aussichtsthurm, mußte Kunicke‘s sein. Kunicke‘s „Villa“, wie die Tschechiner es spöttisch nannten. Das niedrige, grad gegenüber aber, das war seine, das sah er an dem Birnbaum, dessen schwarzes Gezweig über die mit Schnee bedeckte Dachfläche wegragte. Vowinkel bemerkte wohl, wie Hradscheck sich unwillkürlich auf seinem Sitze hob, aber nichts von Besorgniß drückte sich in seinen Mienen und Bewegungen aus, sondern nur Freude seine Heimstätte wiederzusehen.

Jm Dorfe selbst schien man der Ankunft des justizräthlichen Wagens schon entgegen gesehen zu haben. Auf dem Vorplatz der Jgelschen Brett- und Schneidemühle, die man, wenn man von der Küstriner Seite her kam, als erstes Gehöft zu passiren hatte (gerade so wie das Orthsche nach der Frankfurter Seite hin), stand der alte Brett- und Schneidemüller und fegte mit einem kurzen storrigen Besen den Schnee von der obersten Bretterlage fort, anscheinend aufs Eifrigste mit dieser seiner Arbeit beschäftigt, in Wahrheit aber nur begierig, den herankommenden Hradscheck eher als irgendein Anderer im Dorf gesehen zu haben. Denn Schneidemüller Jgel, oder der „Schneidigel“, wie man ihn kurzweg und in der Regel mit absichtlich undeutlicher Aussprache nannte, war ein Topfkucker. Aber so topfkuckrig er war, so stolz und hochmüthig war er auch, und so wandt‘ er sich in demselben Augenblicke, wo der Wagen an ihm vorüberfuhr, rasch wieder auf sein Haus zu, bloß um nicht grüßen zu müssen. Hier nahm er, um seine Neugier, deren er sich schämen mochte, vor Niemandem zu verrathen, Hut und Stock mit besonderer Langsamkeit vom Riegel und folgte dann dem Wagen, den er übrigens bald danach schon vor dem Hradscheckschen Hause vorfahren sah.

Frau Hradscheck war nicht da. Statt ihrer übernahm es Kunicke, den sie darum gebeten haben mochte, den Wirth und so zu sagen die Honneurs des Hauses zu machen. Er führte denn auch den Justizrath vom Flur her in den Laden und von diesem in die dahinter befindliche Weinstube, wo man einen Jmbiß bereit gestellt hatte. Vowinkel nahm aber, unter vorläufiger freundlicher Ablehnung, nur ein kleines Glas Portwein und trat dann in den Garten hinaus, wo sich bereits alles, was zur Dorfobrigkeit gehörte, versammelt hatte: Schulze Woytasch, Gendarm Geelhaar, Nachtwächter Mewissen und drei bäuerliche Gerichtsmänner. Geelhaar, der, zur Feier des Tages, seinen Staats-Czako mit dem armslangen schwarzen Lampenputzer aufgesetzt hatte, ragte, mit Hilfe dieser Paradezuthaten, um fast drei Haupteslängen über den Rest aller Anwesenden hinaus. Das war der innere Zirkel. Jm weitern Umkreis aber standen die, die bloß aus Neugier sich eingefunden hatten, darunter der schon stark gefrühstückte Kantorssohn und Dorfdichter, während einige 20 eben aus der Schule herangekommene Jungens mit ihren Klapp-Pantinen auf das Kegelhaus geklettert waren, um von hier aus Zeuge zu sein, was wohl bei der Sache herauskommen würde. Vorläufig indeß begnügten sie sich damit, Schneebälle zu machen, mit denen sie nach den großen und kleinen Mädchen warfen, die hinter dem Gartenzaun der alten Jeschke standen. Alles plapperte, lachte, reckte den Hals, und wäre nicht Hradscheck selbst gewesen, der, die Blicke seiner alten Freunde vermeidend, ernst und schweigend vor sich hin sah, so hätte man glauben können, es sei Kirmeß oder eine winterliche Jahrmarktsscene.

Die Gerichtsmänner flüsterten und steckten die Köpfe zusammen, während Woytasch und Geelhaar sich umsahen. Es schien noch etwas zu fehlen, was auch zutraf. Als aber bald danach der alte Todtengräber Wonnekamp mit noch zwei von seinen Leuten erschien, rückte man näher an den Birnbaum heran und begann den Schnee, der hier lag, fortzuschippen. Das ging leicht genug, bis statt des Schnees die gefrorne Erde kam, wo nun die Pickaxt aushelfen mußte. Der Frost indessen war nicht tief in die Erde gedrungen, und so konnte man den Spaten nicht nur bald wieder zur Hand nehmen, sondern kam auch rascher vorwärts als man anfangs gehofft hatte. Die herausgeworfenen Schollen und Lehmstücke wurden immer größer, je weicher der Boden wurde, bis mit einem Male der alte Todtengräber einem der Arbeiter in den Arm fiel und mit der seinem Stande zuständigen Ruhe sagte: „Nu giw mi moal; nu kümmt wat.“ Dabei nahm er ihm das Grabscheit ohne weiteres aus der Hand und fing selber an zu graben. Aber ersichtlich mit großer Vorsicht. Alles drängte vor und wollte sehn. Und siehe da, nicht lange, so war ein Todter aufgedeckt, der zu großem Theile noch in Kleiderresten steckte. Die Bewegung wuchs und aller Augen richteten sich auf Hradscheck, der, nach wie vor, vor sich hin sah und nur dann und wann einen scheuen Seitenblick in die Grube that.

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[599/0021] Wat doa to siehn is, ick meen hier buten, hier in‘n Goarden, dat hebb‘ ick siehn, dat weet ick all. Un is ümmer dat Sülwigte.“ „Dat Sülwigte?“ „Joa. Nu nich mihr. Awers as noch keen Snee wihr. Doa …“ „Da. Was denn?“ „Doa wihr se Nachtens ümmer so ‘rümm hier.“ „So, so,“ sagte der Gendarm und that vorsichtig allerlei weitere Fragen. Und da sich die Jeschke von guten Beziehungen zur Dorfpolizei nur Vortheile versprechen konnte, so wurde sie trotz aller sonstigen Zurückhaltung immer mittheilsamer und erzählte dem Gendarmen Neues und Altes, namentlich auch das, was sie damals, in der stürmischen November-Nacht, von ihrer Küchenthür aus beobachtet hatte. Hradscheck habe lang da gestanden, ein flackrig Licht in der Hand. „Un wihr binoah so, as ob he wull, dat man em seihn sull.“ Und dann hab‘ er einen Spaten genommen und sei bis an den Birnbaum gegangen. Und da hab er ein Loch gegraben. An der Gartenthür aber habe was gestanden wie ein Koffer oder Korb oder eine Kiste. Was? das habe sie nicht genau sehen können. Und dann hab‘ er das Loch wieder zugeschüttet. Geelhaar, der sich bis dahin, allem Diensteifer zum Trotz, ebenso sehr mit Line wie mit Hradscheck beschäftigt hatte, ja, vielleicht mehr noch Kourmacher als Beamter gewesen war, war unter diesem Bericht sehr ernsthaft geworden und sagte, während er mit Wichtigkeitsmiene seinen gedunsenen Kopf hin und her wiegte: „Ja, Mutter Jeschke. Das thut mir leid. Aber es wird Euch Ungelegenheiten machen.“ „Wat? wat, Geelhaar?“ „Ungelegenheiten, weil Jhr damit so spät herauskommt.“ „Joa, Geelhaar, wat sall dat? wat mienens mit ‚to spät‘ ? Et hett mi joa keener nich froagt. Un Se ook nich. Un wat weet ick denn ook? Jck weet joa nix. Jck weet joa joar nix.“ „Jhr wißt genug, Mutter Jeschke.“ „Nei, nei, Geelhaar. Jck weet joar nix.“ „Das ist gerade genug, daß einer Nachts in seinem Garten ein Loch gräbt und wieder zuschüttet.“ „Joa, Geelhaar, ick weet nich, awers jed’ een möt doch in sien ejen Goarden en Loch buddeln künn’.“ „Freilich. Aber nicht um Mitternacht. Und nicht bei solchem Wetter.“ „Na, rieden’s mi man nich rin. Un moaken Se’t good mit mi … Line, Line, segg doch ook wat.“ Und wirklich, Line trat in Folge dieser Aufforderung an den Gendarmen heran und sagte, tief aufathmend, wie wenn sie mit einer plötzlichen und mächtigen Sinnen-Erregung zu kämpfen hätte: „Laß nur, Mutter Jeschke. Herr Geelhaar wird schon wissen, was er zu thun hat. Und wir werden es auch wissen. Das versteht sich doch von selbst. Nicht wahr, Herr Geelhaar?“ Dieser nickte zutraulich und sagte mit plötzlich verändertem und wieder freundlicher werdendem Tone: „Werde schon machen, Mamsell Line. Schulze Woytasch läßt ja, Gott sei Dank, mit sich reden und Vowinkel auch. Hauptsach‘ is, daß wir den Fuchs überhaupt ins Eisen kriegen. Und is dann am Ende gleich, wann wir ihn haben und ob ihm der Balg heut oder morgen abgezogen wird.“ 11. Vierundzwanzig Stunden später kam und zwar auf die Meldung hin, die Geelhaar, gleich nach seinem Gespräche mit der Jeschke, bei der Behörde gemacht hatte – von Küstrin her ein offener Wagen, in dem, außer dem Kutscher, der Justizrath und Hradscheck saßen. Die Luft ging scharf und die Sonne blendete, weßhalb Vowinkel, um sich gegen Beides zu schützen, seinen Mantel aufgeklappt, der Kutscher aber seinen Kopf bis an Nas‘ und Ohren in den Pelzkragen hineingezogen hatte. Nur Hradscheck saß frei da, Luft und Licht, deren er seit länger als vier Wochen entbehrt hatte, begierig einsaugend. Der Wagen fuhr auf der Dammhöhe, von der aus sich das unten liegende Dorf bequem überblicken und beinah jedes einzelne Haus in aller Deutlichkeit erkennen ließ. Das da, mit dem schwarzen, theergestrichenen Gebälk, war das Schulhaus und das gelbe, mit dem gläsernen Aussichtsthurm, mußte Kunicke‘s sein. Kunicke‘s „Villa“, wie die Tschechiner es spöttisch nannten. Das niedrige, grad gegenüber aber, das war seine, das sah er an dem Birnbaum, dessen schwarzes Gezweig über die mit Schnee bedeckte Dachfläche wegragte. Vowinkel bemerkte wohl, wie Hradscheck sich unwillkürlich auf seinem Sitze hob, aber nichts von Besorgniß drückte sich in seinen Mienen und Bewegungen aus, sondern nur Freude seine Heimstätte wiederzusehen. Jm Dorfe selbst schien man der Ankunft des justizräthlichen Wagens schon entgegen gesehen zu haben. Auf dem Vorplatz der Jgelschen Brett- und Schneidemühle, die man, wenn man von der Küstriner Seite her kam, als erstes Gehöft zu passiren hatte (gerade so wie das Orthsche nach der Frankfurter Seite hin), stand der alte Brett- und Schneidemüller und fegte mit einem kurzen storrigen Besen den Schnee von der obersten Bretterlage fort, anscheinend aufs Eifrigste mit dieser seiner Arbeit beschäftigt, in Wahrheit aber nur begierig, den herankommenden Hradscheck eher als irgendein Anderer im Dorf gesehen zu haben. Denn Schneidemüller Jgel, oder der „Schneidigel“, wie man ihn kurzweg und in der Regel mit absichtlich undeutlicher Aussprache nannte, war ein Topfkucker. Aber so topfkuckrig er war, so stolz und hochmüthig war er auch, und so wandt‘ er sich in demselben Augenblicke, wo der Wagen an ihm vorüberfuhr, rasch wieder auf sein Haus zu, bloß um nicht grüßen zu müssen. Hier nahm er, um seine Neugier, deren er sich schämen mochte, vor Niemandem zu verrathen, Hut und Stock mit besonderer Langsamkeit vom Riegel und folgte dann dem Wagen, den er übrigens bald danach schon vor dem Hradscheckschen Hause vorfahren sah. Frau Hradscheck war nicht da. Statt ihrer übernahm es Kunicke, den sie darum gebeten haben mochte, den Wirth und so zu sagen die Honneurs des Hauses zu machen. Er führte denn auch den Justizrath vom Flur her in den Laden und von diesem in die dahinter befindliche Weinstube, wo man einen Jmbiß bereit gestellt hatte. Vowinkel nahm aber, unter vorläufiger freundlicher Ablehnung, nur ein kleines Glas Portwein und trat dann in den Garten hinaus, wo sich bereits alles, was zur Dorfobrigkeit gehörte, versammelt hatte: Schulze Woytasch, Gendarm Geelhaar, Nachtwächter Mewissen und drei bäuerliche Gerichtsmänner. Geelhaar, der, zur Feier des Tages, seinen Staats-Czako mit dem armslangen schwarzen Lampenputzer aufgesetzt hatte, ragte, mit Hilfe dieser Paradezuthaten, um fast drei Haupteslängen über den Rest aller Anwesenden hinaus. Das war der innere Zirkel. Jm weitern Umkreis aber standen die, die bloß aus Neugier sich eingefunden hatten, darunter der schon stark gefrühstückte Kantorssohn und Dorfdichter, während einige 20 eben aus der Schule herangekommene Jungens mit ihren Klapp-Pantinen auf das Kegelhaus geklettert waren, um von hier aus Zeuge zu sein, was wohl bei der Sache herauskommen würde. Vorläufig indeß begnügten sie sich damit, Schneebälle zu machen, mit denen sie nach den großen und kleinen Mädchen warfen, die hinter dem Gartenzaun der alten Jeschke standen. Alles plapperte, lachte, reckte den Hals, und wäre nicht Hradscheck selbst gewesen, der, die Blicke seiner alten Freunde vermeidend, ernst und schweigend vor sich hin sah, so hätte man glauben können, es sei Kirmeß oder eine winterliche Jahrmarktsscene. Die Gerichtsmänner flüsterten und steckten die Köpfe zusammen, während Woytasch und Geelhaar sich umsahen. Es schien noch etwas zu fehlen, was auch zutraf. Als aber bald danach der alte Todtengräber Wonnekamp mit noch zwei von seinen Leuten erschien, rückte man näher an den Birnbaum heran und begann den Schnee, der hier lag, fortzuschippen. Das ging leicht genug, bis statt des Schnees die gefrorne Erde kam, wo nun die Pickaxt aushelfen mußte. Der Frost indessen war nicht tief in die Erde gedrungen, und so konnte man den Spaten nicht nur bald wieder zur Hand nehmen, sondern kam auch rascher vorwärts als man anfangs gehofft hatte. Die herausgeworfenen Schollen und Lehmstücke wurden immer größer, je weicher der Boden wurde, bis mit einem Male der alte Todtengräber einem der Arbeiter in den Arm fiel und mit der seinem Stande zuständigen Ruhe sagte: „Nu giw mi moal; nu kümmt wat.“ Dabei nahm er ihm das Grabscheit ohne weiteres aus der Hand und fing selber an zu graben. Aber ersichtlich mit großer Vorsicht. Alles drängte vor und wollte sehn. Und siehe da, nicht lange, so war ein Todter aufgedeckt, der zu großem Theile noch in Kleiderresten steckte. Die Bewegung wuchs und aller Augen richteten sich auf Hradscheck, der, nach wie vor, vor sich hin sah und nur dann und wann einen scheuen Seitenblick in die Grube that.

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Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-12T12:36:22Z)

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Die Transkription erfolgte nach den unter https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube#Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/21>, abgerufen am 28.03.2024.