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Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

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hoch in den Keller gestiegen. Und warum? Weil der Ede nicht mehr wollte."

"Nu, süh eens. Un worümm wull he nich?"

"Weil's unten spuke. Der Junge war wie verdreht mit seinem ewigen ,et spökt' und ,et grappscht'. Und weil er dabei blieb und wir unsre Bowle doch haben wollten, so sind wir am Ende selber gegangen."

"Nu, süh eens," wiederholte die Alte. "Hätten em salln 'ne Muulschell gewen."

"Wollt' ich auch. Aber als er so dastand und zitterte, da konnt' ich nicht. Und dann dacht' ich auch ..."

"Ach wat, Hradscheck, is joa all dumm Tüg ... Un wenn et wat is, na, denn möt' et de Franzos sinn."

"Der Franzose?"

"Joa, de Franzos. Kuckens moal, de Jhrd' geiht hier so'n beten dahl. He moak woll en beten rutscht sinn."

"Rutscht sinn", wiederholte Hradscheck und lachte mit der Alten um die Wette. "Ja, der Franzos ist gerutscht. Alles gut. Aber wenn ich nur den Jungen erst wieder in Ordnung hätte. Der macht mir das ganze Dorf rebellisch. Und wie die Leute sind, wenn sie von Spuk hören, da wird ihnen ungemüthlich. Und dann kommt zuletzt auch die dumme Geschichte wieder zur Sprache. Sie wissen ja ..."

"Woll, woll, ick weet."

"Und dann, Mutter Jeschke, Spuk ist Unsinn. Natürlich. Aber es giebt doch welche ..."

"Joa, joa."

"Es giebt doch welche, die sagen: Spuk ist nicht Unsinn. Wer hat nu Recht? Nu mal heraus mit der Sprache."

Der Alten entging nicht, in welcher Pein und Beklemmung Hradscheck war, weßhalb sie, wie sie stets zu thun pflegte, mit einem "ja" antwortete, das ebensogut ein "nein", und mit einem "nein", das ebensogut ein "ja" sein konnte.

"Mien leew Hradscheck," begann sie, "Se wullen wat weten von mi. Joa, wat weet ick? Spök! Gewen moak et joa woll so wat. Un am Enn' ook wedder nich. Un ick segg' ümmer, wihr sich jrult, för den is et wat, und wihr sich nich jrult, för den is et nix."

Hradscheck, der mit gespanntester Aufmerksamkeit gefolgt war, nickte zustimmend, während die sich jetzt plötzlich neben ihn setzende Alte mit wachsender Vertraulichkeit fortfuhr: "Jck will Se wat seggen, Hradscheck. Man möt man blot Kourasch hebben. Un Se hebben joa. Wat is Spök? Spök, dat's grad so, as wenn de Müüs' knabbern. Wihr ümmer hinhürt, na, de slöppt nich; wihr awers so bi sich seggen deiht, ,na, worümm salln se nich knabbern,' de slöppt."

Und bei diesen Worten erhob sie sich rasch wieder und ging, zwischen den Beeten hin, auf ihre Wohnung zu. Mit einem Mal aber blieb sie stehn und wandte sich wieder, wie wenn sie 'was vergessen habe. "Hürens, Hradscheck, wat ick Se noch seggen wull, uns' Line kümmt ook wedder. Se hett gestern schrewen. Wat mienens? De wihr so wat för Se."

"Geht nicht, Mutter Jeschke. Was würden die Leute sagen? Un is auch eben erst ein Jahr."

"Woll. Awers se kümmt ook ihrst um Martini 'rümm ... Und denn, Hradscheck, Se bruken se joa nich glieks frijen."



18.

"De Franzos is rutscht," hatte die Jeschke gesagt und war dabei wieder so sonderbar vertraulich gewesen, alles mit Absicht und Berechnung. Denn wenn das Gespräch auch noch nachwirkte, darin ihr vor länger als einem Jahr ihr sonst so gefügiger Nachbar mit einer Verleumdungsklage gedroht hatte, so konnte sie, trotz alledem, von der Angewohnheit nicht lassen, in dunklen Andeutungen zu sprechen, als wisse sie was und halte nur zurück.

"Verdammt!" murmelte Hradscheck vor sich hin. "Und dazu der Ede mit seiner ewigen Angst."

Er sah deutlich die ganze Geschichte wieder lebendig werden, und ein Schwindel ergriff ihn, wenn er an all das dachte, was bei diesem Stande der Dinge jeder Tag bringen konnte.

"Das geht so nicht weiter. Er muß weg. Aber wohin?"

Und bei diesen Worten ging Hradscheck auf und ab und überlegte.

"Wohin? Es heißt, er liege in der Oder. Und dahin muß er ... je eher, je lieber ... Heute noch. Aber ich wollte, dies Stück Arbeit wäre gethan. Damals ging es, das Messer saß mir an der Kehle. Aber jetzt! Wahrhaftig, das Einbetten war nicht so schlimm, als es das Umbetten ist."

Und von Angst und Unruhe getrieben, ging er auf den Kirchhof und trat an das Grab seiner Frau. Da war der Engel mit der Fackel und er las die Jnschrift. Aber seine Gedanken konnten von dem, was er vorhatte, nicht los und als er wieder zurück war, stand es fest: "Ja, heute noch ... Was du thun willst, thue bald."

Und dabei sann er nach, wie's geschehn müsse.

"Wenn ich nur etwas Farrnkraut hätt'. Aber wo giebt es Farrnkraut hier? Hier wächst ja bloß Gras und Gerste, weiter nichts, und ich kann doch nicht zehn Meilen in der Welt herumkutschiren, blos um mit einem großen Busch Farrnkraut wieder nach Hause zu kommen. Und warum auch? Unsinn ist es doch."

Er sprach noch so weiter. Endlich aber entsann er sich, in dem benachbarten Gusower Park einen ganzen Wald von Farrnkraut gesehn zu haben. Und so rief er denn in den Hof hinaus und ließ anspannen.

Um Mittag kam er zurück, und vor ihm, auf dem Rücksitze des Wagens, lag ein riesiger Farrnkrautbusch. Er kratzte die Samenkörnchen ab und that sie sorglich in eine Papierkapsel und die Kapsel in ein Schubfach. Dann ging er noch einmal alles durch, was er brauchte, trug das Grabscheit, das für gewöhnlich neben der Gartenthür stand, in den Keller hinunter und war wie verwandelt, als er mit diesen Vorbereitungen fertig war.

Er pfiff und trällerte vor sich hin und ging in den Laden.

"Ede, Du kannst heute Nachmittag ausgehn. Jn Gusow ist Jahrmarkt mit Karoussel und sind auch Kunstreiter da, das heißt Seiltänzer. Jch habe heut Vormittag das Seil spannen sehn. Und vor acht brauchst Du nicht wieder hier zu sein. Da nimm. Das ist für Dich, und nun amüsire Dich gut. Und is auch 'ne Waffelbude da, mit Eierbier und Punsch. Aber hübsch mäßig, nich zu viel; hörst Du, keine Dummheiten machen."

Ede strahlte vor Glück, machte sich auf den Weg und war Punkt acht wieder da. Zugleich mit ihm kamen die Stammgäste, die, wie gewöhnlich, ihren Platz in der Weinstube nahmen. Einige hatten schon erfahren, daß Hradscheck am Vormittag in Gusow gewesen und mit einem großen Busch Farrnkraut zurückgekommen sei.

"Was Du nur mit dem Farrnkraut willst?" fragte Kunicke.

"Anpflanzen."

"Das wuchert ja. Wenn das drei Jahr in Deinem Garten steht, weißt Du vor Unkraut nicht mehr, wo Du hin sollst."

"Das soll es auch. Jch will einen hohen Zaun davon ziehn. Und je rascher es wächst, desto besser."

"Na, sieh Dich vor damit. Das ist wie die Wasserpest; wo sich das mal eingenistet hat, ist kein Auskommen mehr. Und vertreibt Dich am Ende von Haus und Hof."

Alles lachte, bis man zuletzt auf die Kunstreiter zu sprechen kam und an Hradscheck die Frage richtete, was er denn eigentlich von ihnen gesehn habe?

"Bloß das Seil. Aber Ede, der heute Nachmittag da war, der wird wohl Augen gemacht haben."

Und nun erzählte Hradscheck des Breiteren, daß der, dem die Truppe jetzt gehöre, des alten Kolter Schwiegersohn sei, ja, die Frau nenne sich noch immer nach dem Vater und habe den Namen ihres Mannes gar nicht angenommen.

Er sagte das alles so, wie wenn er die Kolters ganz genau kenne, was den Oelmüller zu verschiedenen Fragen über die berühmte Seiltänzerfamilie veranlaßte. Denn Springer und Kunstreiter waren Quaasens unentwegte Passion, seit er als zwanzigjähriger Junge 'mal auf dem Punkte gestanden hatte, mit einer Kunstreiterin auf und davon zu gehn. Seine Mutter jedoch hatte Wind davon gekriegt, ihn in den Milchkeller gesperrt und den Direktor der Truppe gegen ein erhebliches Geldgeschenk veranlaßt, die "gefährliche Person" bis nach Reppen hin vorauszuschicken. All das, wie sich denken läßt, gab auch heute wieder Veranlassung zu vielfachen Neckereien und um so mehr, als Quaas ohnehin des Vorzugs genoß, Stichblatt der Tafelrunde zu sein.

"Aber was is das mit Kolter?" fragte Kunicke. "Du wolltest von ihm erzählen, Hradscheck. Js es ein Reiter oder ein Springer?"

"Bloß ein Springer. Aber was für einer!"

Und nun fing Hradscheck an, eine seiner Hauptgeschichten zum Besten zu geben, die vom alten Kolter nämlich, der Anno 14 schon sehr berühmt und mit in Wien auf dem Kongreß gewesen sei.

hoch in den Keller gestiegen. Und warum? Weil der Ede nicht mehr wollte.“

„Nu, süh eens. Un worümm wull he nich?“

„Weil’s unten spuke. Der Junge war wie verdreht mit seinem ewigen ‚et spökt‘ und ‚et grappscht‘. Und weil er dabei blieb und wir unsre Bowle doch haben wollten, so sind wir am Ende selber gegangen.“

„Nu, süh eens,“ wiederholte die Alte. „Hätten em salln ’ne Muulschell gewen.“

„Wollt’ ich auch. Aber als er so dastand und zitterte, da konnt’ ich nicht. Und dann dacht’ ich auch …“

„Ach wat, Hradscheck, is joa all dumm Tüg … Un wenn et wat is, na, denn möt’ et de Franzos sinn.“

„Der Franzose?“

„Joa, de Franzos. Kuckens moal, de Jhrd’ geiht hier so’n beten dahl. He moak woll en beten rutscht sinn.“

„Rutscht sinn“, wiederholte Hradscheck und lachte mit der Alten um die Wette. „Ja, der Franzos ist gerutscht. Alles gut. Aber wenn ich nur den Jungen erst wieder in Ordnung hätte. Der macht mir das ganze Dorf rebellisch. Und wie die Leute sind, wenn sie von Spuk hören, da wird ihnen ungemüthlich. Und dann kommt zuletzt auch die dumme Geschichte wieder zur Sprache. Sie wissen ja …“

„Woll, woll, ick weet.“

„Und dann, Mutter Jeschke, Spuk ist Unsinn. Natürlich. Aber es giebt doch welche …“

„Joa, joa.“

„Es giebt doch welche, die sagen: Spuk ist nicht Unsinn. Wer hat nu Recht? Nu mal heraus mit der Sprache.“

Der Alten entging nicht, in welcher Pein und Beklemmung Hradscheck war, weßhalb sie, wie sie stets zu thun pflegte, mit einem „ja“ antwortete, das ebensogut ein „nein“, und mit einem „nein“, das ebensogut ein „ja“ sein konnte.

„Mien leew Hradscheck,“ begann sie, „Se wullen wat weten von mi. Joa, wat weet ick? Spök! Gewen moak et joa woll so wat. Un am Enn’ ook wedder nich. Un ick segg’ ümmer, wihr sich jrult, för den is et wat, und wihr sich nich jrult, för den is et nix.“

Hradscheck, der mit gespanntester Aufmerksamkeit gefolgt war, nickte zustimmend, während die sich jetzt plötzlich neben ihn setzende Alte mit wachsender Vertraulichkeit fortfuhr: „Jck will Se wat seggen, Hradscheck. Man möt man blot Kourasch hebben. Un Se hebben joa. Wat is Spök? Spök, dat’s grad so, as wenn de Müüs’ knabbern. Wihr ümmer hinhürt, na, de slöppt nich; wihr awers so bi sich seggen deiht, ‚na, worümm salln se nich knabbern,‘ de slöppt.“

Und bei diesen Worten erhob sie sich rasch wieder und ging, zwischen den Beeten hin, auf ihre Wohnung zu. Mit einem Mal aber blieb sie stehn und wandte sich wieder, wie wenn sie ’was vergessen habe. „Hürens, Hradscheck, wat ick Se noch seggen wull, uns’ Line kümmt ook wedder. Se hett gestern schrewen. Wat mienens? De wihr so wat för Se.“

„Geht nicht, Mutter Jeschke. Was würden die Leute sagen? Un is auch eben erst ein Jahr.“

„Woll. Awers se kümmt ook ihrst um Martini ’rümm … Und denn, Hradscheck, Se bruken se joa nich glieks frijen.“



18.

„De Franzos is rutscht,“ hatte die Jeschke gesagt und war dabei wieder so sonderbar vertraulich gewesen, alles mit Absicht und Berechnung. Denn wenn das Gespräch auch noch nachwirkte, darin ihr vor länger als einem Jahr ihr sonst so gefügiger Nachbar mit einer Verleumdungsklage gedroht hatte, so konnte sie, trotz alledem, von der Angewohnheit nicht lassen, in dunklen Andeutungen zu sprechen, als wisse sie was und halte nur zurück.

„Verdammt!“ murmelte Hradscheck vor sich hin. „Und dazu der Ede mit seiner ewigen Angst.“

Er sah deutlich die ganze Geschichte wieder lebendig werden, und ein Schwindel ergriff ihn, wenn er an all das dachte, was bei diesem Stande der Dinge jeder Tag bringen konnte.

„Das geht so nicht weiter. Er muß weg. Aber wohin?“

Und bei diesen Worten ging Hradscheck auf und ab und überlegte.

„Wohin? Es heißt, er liege in der Oder. Und dahin muß er … je eher, je lieber … Heute noch. Aber ich wollte, dies Stück Arbeit wäre gethan. Damals ging es, das Messer saß mir an der Kehle. Aber jetzt! Wahrhaftig, das Einbetten war nicht so schlimm, als es das Umbetten ist.“

Und von Angst und Unruhe getrieben, ging er auf den Kirchhof und trat an das Grab seiner Frau. Da war der Engel mit der Fackel und er las die Jnschrift. Aber seine Gedanken konnten von dem, was er vorhatte, nicht los und als er wieder zurück war, stand es fest: „Ja, heute noch … Was du thun willst, thue bald.“

Und dabei sann er nach, wie’s geschehn müsse.

„Wenn ich nur etwas Farrnkraut hätt’. Aber wo giebt es Farrnkraut hier? Hier wächst ja bloß Gras und Gerste, weiter nichts, und ich kann doch nicht zehn Meilen in der Welt herumkutschiren, blos um mit einem großen Busch Farrnkraut wieder nach Hause zu kommen. Und warum auch? Unsinn ist es doch.“

Er sprach noch so weiter. Endlich aber entsann er sich, in dem benachbarten Gusower Park einen ganzen Wald von Farrnkraut gesehn zu haben. Und so rief er denn in den Hof hinaus und ließ anspannen.

Um Mittag kam er zurück, und vor ihm, auf dem Rücksitze des Wagens, lag ein riesiger Farrnkrautbusch. Er kratzte die Samenkörnchen ab und that sie sorglich in eine Papierkapsel und die Kapsel in ein Schubfach. Dann ging er noch einmal alles durch, was er brauchte, trug das Grabscheit, das für gewöhnlich neben der Gartenthür stand, in den Keller hinunter und war wie verwandelt, als er mit diesen Vorbereitungen fertig war.

Er pfiff und trällerte vor sich hin und ging in den Laden.

„Ede, Du kannst heute Nachmittag ausgehn. Jn Gusow ist Jahrmarkt mit Karoussel und sind auch Kunstreiter da, das heißt Seiltänzer. Jch habe heut Vormittag das Seil spannen sehn. Und vor acht brauchst Du nicht wieder hier zu sein. Da nimm. Das ist für Dich, und nun amüsire Dich gut. Und is auch ’ne Waffelbude da, mit Eierbier und Punsch. Aber hübsch mäßig, nich zu viel; hörst Du, keine Dummheiten machen.“

Ede strahlte vor Glück, machte sich auf den Weg und war Punkt acht wieder da. Zugleich mit ihm kamen die Stammgäste, die, wie gewöhnlich, ihren Platz in der Weinstube nahmen. Einige hatten schon erfahren, daß Hradscheck am Vormittag in Gusow gewesen und mit einem großen Busch Farrnkraut zurückgekommen sei.

„Was Du nur mit dem Farrnkraut willst?“ fragte Kunicke.

„Anpflanzen.“

„Das wuchert ja. Wenn das drei Jahr in Deinem Garten steht, weißt Du vor Unkraut nicht mehr, wo Du hin sollst.“

„Das soll es auch. Jch will einen hohen Zaun davon ziehn. Und je rascher es wächst, desto besser.“

„Na, sieh Dich vor damit. Das ist wie die Wasserpest; wo sich das mal eingenistet hat, ist kein Auskommen mehr. Und vertreibt Dich am Ende von Haus und Hof.“

Alles lachte, bis man zuletzt auf die Kunstreiter zu sprechen kam und an Hradscheck die Frage richtete, was er denn eigentlich von ihnen gesehn habe?

„Bloß das Seil. Aber Ede, der heute Nachmittag da war, der wird wohl Augen gemacht haben.“

Und nun erzählte Hradscheck des Breiteren, daß der, dem die Truppe jetzt gehöre, des alten Kolter Schwiegersohn sei, ja, die Frau nenne sich noch immer nach dem Vater und habe den Namen ihres Mannes gar nicht angenommen.

Er sagte das alles so, wie wenn er die Kolters ganz genau kenne, was den Oelmüller zu verschiedenen Fragen über die berühmte Seiltänzerfamilie veranlaßte. Denn Springer und Kunstreiter waren Quaasens unentwegte Passion, seit er als zwanzigjähriger Junge ’mal auf dem Punkte gestanden hatte, mit einer Kunstreiterin auf und davon zu gehn. Seine Mutter jedoch hatte Wind davon gekriegt, ihn in den Milchkeller gesperrt und den Direktor der Truppe gegen ein erhebliches Geldgeschenk veranlaßt, die „gefährliche Person“ bis nach Reppen hin vorauszuschicken. All das, wie sich denken läßt, gab auch heute wieder Veranlassung zu vielfachen Neckereien und um so mehr, als Quaas ohnehin des Vorzugs genoß, Stichblatt der Tafelrunde zu sein.

„Aber was is das mit Kolter?“ fragte Kunicke. „Du wolltest von ihm erzählen, Hradscheck. Js es ein Reiter oder ein Springer?“

„Bloß ein Springer. Aber was für einer!“

Und nun fing Hradscheck an, eine seiner Hauptgeschichten zum Besten zu geben, die vom alten Kolter nämlich, der Anno 14 schon sehr berühmt und mit in Wien auf dem Kongreß gewesen sei.

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[666/0036] hoch in den Keller gestiegen. Und warum? Weil der Ede nicht mehr wollte.“ „Nu, süh eens. Un worümm wull he nich?“ „Weil’s unten spuke. Der Junge war wie verdreht mit seinem ewigen ‚et spökt‘ und ‚et grappscht‘. Und weil er dabei blieb und wir unsre Bowle doch haben wollten, so sind wir am Ende selber gegangen.“ „Nu, süh eens,“ wiederholte die Alte. „Hätten em salln ’ne Muulschell gewen.“ „Wollt’ ich auch. Aber als er so dastand und zitterte, da konnt’ ich nicht. Und dann dacht’ ich auch …“ „Ach wat, Hradscheck, is joa all dumm Tüg … Un wenn et wat is, na, denn möt’ et de Franzos sinn.“ „Der Franzose?“ „Joa, de Franzos. Kuckens moal, de Jhrd’ geiht hier so’n beten dahl. He moak woll en beten rutscht sinn.“ „Rutscht sinn“, wiederholte Hradscheck und lachte mit der Alten um die Wette. „Ja, der Franzos ist gerutscht. Alles gut. Aber wenn ich nur den Jungen erst wieder in Ordnung hätte. Der macht mir das ganze Dorf rebellisch. Und wie die Leute sind, wenn sie von Spuk hören, da wird ihnen ungemüthlich. Und dann kommt zuletzt auch die dumme Geschichte wieder zur Sprache. Sie wissen ja …“ „Woll, woll, ick weet.“ „Und dann, Mutter Jeschke, Spuk ist Unsinn. Natürlich. Aber es giebt doch welche …“ „Joa, joa.“ „Es giebt doch welche, die sagen: Spuk ist nicht Unsinn. Wer hat nu Recht? Nu mal heraus mit der Sprache.“ Der Alten entging nicht, in welcher Pein und Beklemmung Hradscheck war, weßhalb sie, wie sie stets zu thun pflegte, mit einem „ja“ antwortete, das ebensogut ein „nein“, und mit einem „nein“, das ebensogut ein „ja“ sein konnte. „Mien leew Hradscheck,“ begann sie, „Se wullen wat weten von mi. Joa, wat weet ick? Spök! Gewen moak et joa woll so wat. Un am Enn’ ook wedder nich. Un ick segg’ ümmer, wihr sich jrult, för den is et wat, und wihr sich nich jrult, för den is et nix.“ Hradscheck, der mit gespanntester Aufmerksamkeit gefolgt war, nickte zustimmend, während die sich jetzt plötzlich neben ihn setzende Alte mit wachsender Vertraulichkeit fortfuhr: „Jck will Se wat seggen, Hradscheck. Man möt man blot Kourasch hebben. Un Se hebben joa. Wat is Spök? Spök, dat’s grad so, as wenn de Müüs’ knabbern. Wihr ümmer hinhürt, na, de slöppt nich; wihr awers so bi sich seggen deiht, ‚na, worümm salln se nich knabbern,‘ de slöppt.“ Und bei diesen Worten erhob sie sich rasch wieder und ging, zwischen den Beeten hin, auf ihre Wohnung zu. Mit einem Mal aber blieb sie stehn und wandte sich wieder, wie wenn sie ’was vergessen habe. „Hürens, Hradscheck, wat ick Se noch seggen wull, uns’ Line kümmt ook wedder. Se hett gestern schrewen. Wat mienens? De wihr so wat för Se.“ „Geht nicht, Mutter Jeschke. Was würden die Leute sagen? Un is auch eben erst ein Jahr.“ „Woll. Awers se kümmt ook ihrst um Martini ’rümm … Und denn, Hradscheck, Se bruken se joa nich glieks frijen.“ 18. „De Franzos is rutscht,“ hatte die Jeschke gesagt und war dabei wieder so sonderbar vertraulich gewesen, alles mit Absicht und Berechnung. Denn wenn das Gespräch auch noch nachwirkte, darin ihr vor länger als einem Jahr ihr sonst so gefügiger Nachbar mit einer Verleumdungsklage gedroht hatte, so konnte sie, trotz alledem, von der Angewohnheit nicht lassen, in dunklen Andeutungen zu sprechen, als wisse sie was und halte nur zurück. „Verdammt!“ murmelte Hradscheck vor sich hin. „Und dazu der Ede mit seiner ewigen Angst.“ Er sah deutlich die ganze Geschichte wieder lebendig werden, und ein Schwindel ergriff ihn, wenn er an all das dachte, was bei diesem Stande der Dinge jeder Tag bringen konnte. „Das geht so nicht weiter. Er muß weg. Aber wohin?“ Und bei diesen Worten ging Hradscheck auf und ab und überlegte. „Wohin? Es heißt, er liege in der Oder. Und dahin muß er … je eher, je lieber … Heute noch. Aber ich wollte, dies Stück Arbeit wäre gethan. Damals ging es, das Messer saß mir an der Kehle. Aber jetzt! Wahrhaftig, das Einbetten war nicht so schlimm, als es das Umbetten ist.“ Und von Angst und Unruhe getrieben, ging er auf den Kirchhof und trat an das Grab seiner Frau. Da war der Engel mit der Fackel und er las die Jnschrift. Aber seine Gedanken konnten von dem, was er vorhatte, nicht los und als er wieder zurück war, stand es fest: „Ja, heute noch … Was du thun willst, thue bald.“ Und dabei sann er nach, wie’s geschehn müsse. „Wenn ich nur etwas Farrnkraut hätt’. Aber wo giebt es Farrnkraut hier? Hier wächst ja bloß Gras und Gerste, weiter nichts, und ich kann doch nicht zehn Meilen in der Welt herumkutschiren, blos um mit einem großen Busch Farrnkraut wieder nach Hause zu kommen. Und warum auch? Unsinn ist es doch.“ Er sprach noch so weiter. Endlich aber entsann er sich, in dem benachbarten Gusower Park einen ganzen Wald von Farrnkraut gesehn zu haben. Und so rief er denn in den Hof hinaus und ließ anspannen. Um Mittag kam er zurück, und vor ihm, auf dem Rücksitze des Wagens, lag ein riesiger Farrnkrautbusch. Er kratzte die Samenkörnchen ab und that sie sorglich in eine Papierkapsel und die Kapsel in ein Schubfach. Dann ging er noch einmal alles durch, was er brauchte, trug das Grabscheit, das für gewöhnlich neben der Gartenthür stand, in den Keller hinunter und war wie verwandelt, als er mit diesen Vorbereitungen fertig war. Er pfiff und trällerte vor sich hin und ging in den Laden. „Ede, Du kannst heute Nachmittag ausgehn. Jn Gusow ist Jahrmarkt mit Karoussel und sind auch Kunstreiter da, das heißt Seiltänzer. Jch habe heut Vormittag das Seil spannen sehn. Und vor acht brauchst Du nicht wieder hier zu sein. Da nimm. Das ist für Dich, und nun amüsire Dich gut. Und is auch ’ne Waffelbude da, mit Eierbier und Punsch. Aber hübsch mäßig, nich zu viel; hörst Du, keine Dummheiten machen.“ Ede strahlte vor Glück, machte sich auf den Weg und war Punkt acht wieder da. Zugleich mit ihm kamen die Stammgäste, die, wie gewöhnlich, ihren Platz in der Weinstube nahmen. Einige hatten schon erfahren, daß Hradscheck am Vormittag in Gusow gewesen und mit einem großen Busch Farrnkraut zurückgekommen sei. „Was Du nur mit dem Farrnkraut willst?“ fragte Kunicke. „Anpflanzen.“ „Das wuchert ja. Wenn das drei Jahr in Deinem Garten steht, weißt Du vor Unkraut nicht mehr, wo Du hin sollst.“ „Das soll es auch. Jch will einen hohen Zaun davon ziehn. Und je rascher es wächst, desto besser.“ „Na, sieh Dich vor damit. Das ist wie die Wasserpest; wo sich das mal eingenistet hat, ist kein Auskommen mehr. Und vertreibt Dich am Ende von Haus und Hof.“ Alles lachte, bis man zuletzt auf die Kunstreiter zu sprechen kam und an Hradscheck die Frage richtete, was er denn eigentlich von ihnen gesehn habe? „Bloß das Seil. Aber Ede, der heute Nachmittag da war, der wird wohl Augen gemacht haben.“ Und nun erzählte Hradscheck des Breiteren, daß der, dem die Truppe jetzt gehöre, des alten Kolter Schwiegersohn sei, ja, die Frau nenne sich noch immer nach dem Vater und habe den Namen ihres Mannes gar nicht angenommen. Er sagte das alles so, wie wenn er die Kolters ganz genau kenne, was den Oelmüller zu verschiedenen Fragen über die berühmte Seiltänzerfamilie veranlaßte. Denn Springer und Kunstreiter waren Quaasens unentwegte Passion, seit er als zwanzigjähriger Junge ’mal auf dem Punkte gestanden hatte, mit einer Kunstreiterin auf und davon zu gehn. Seine Mutter jedoch hatte Wind davon gekriegt, ihn in den Milchkeller gesperrt und den Direktor der Truppe gegen ein erhebliches Geldgeschenk veranlaßt, die „gefährliche Person“ bis nach Reppen hin vorauszuschicken. All das, wie sich denken läßt, gab auch heute wieder Veranlassung zu vielfachen Neckereien und um so mehr, als Quaas ohnehin des Vorzugs genoß, Stichblatt der Tafelrunde zu sein. „Aber was is das mit Kolter?“ fragte Kunicke. „Du wolltest von ihm erzählen, Hradscheck. Js es ein Reiter oder ein Springer?“ „Bloß ein Springer. Aber was für einer!“ Und nun fing Hradscheck an, eine seiner Hauptgeschichten zum Besten zu geben, die vom alten Kolter nämlich, der Anno 14 schon sehr berühmt und mit in Wien auf dem Kongreß gewesen sei.

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Die Transkription erfolgte nach den unter https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube#Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/36>, abgerufen am 19.04.2024.